© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/20 / 06. März 2020

Antworten auf grüne Verschwörungstheorien
Wolfgang Königs „Geschichte der Wegwerfgesellschaft“ ist ein Buch zur Versachlichung der Umweltdebatte
Christoph Keller

Gerald Braunberger mahnte kürzlich in einem FAZ-Leitartikel, die vom chinesischen Coronavirus ausgelöste, inzwischen auch Amerika und Europa erfassende Pandemie sollte als „dringend notwendiger Weckruf“ verstanden werden. Aber nicht etwa, wie derzeit aus den Reihen der „Postwachstum“-Bewegung zu hören ist, um den weltweit vernetzten Konsumgesellschaften einen nachhaltigeren Lebensstil zu empfehlen. Sondern eher im Gegenteil: Die expandierende Infektionskrankheit möge alle auf Globalisierung als Wachstumsgenerator setzenden Kräfte wecken, um sich gegen den nun von Sars-CoV-2 befeuerten Pandemie-Protektionismus zu stemmen.

Ökologisch kontraproduktive Stromsparinitiativen

Wolfgang König ist – anders als der FAZ-Mitherausgeber – kein Wachstumsfetischist. In seinem Buch über die „Geschichte der Wegwerfgesellschaft“ versucht er über die richtige Mischung zwischen Ökonomie und Ökologie nachzudenken. Mit Blick auf die düstere „Kehrseite des Konsums“ plädiert der emeritierte Professor für Technikgeschichte (TU Berlin) darin für ein umweltschonendes Wachstum mit Augenmaß, das gleichwohl partiell radikalen Verzicht auf gewohnte Wonnen der Bequemlichkeit und alltäglicher Verschwendung fordert.

In historisch vertieften Kapiteln über Müll und Recycling, über die Strukturen und Perversionen des Wegwerfens, die Unkultur des Wegwerfens bei Hygieneartikeln, Lebensmitteln, Kleidung und Möbeln, gibt der Autor eine im besten Sinne populärwissenschaftliche Einführung in alle Facetten des hochaktuellen Themas. Für Königs rationalen, klug abwägenden Standpunkt, den er in zur Hysterie neigenden Debatten einnimmt, seien drei Beispiele genannt:

1. Als Reaktion auf die Finanzkrise wollte die Bundesregierung 2009 die Autoindustrie unterstützen und fürte die „Abwrackprämie“ für ältere Modelle ein. 2018/19 kam dann die „Dieselprämie“, die Autohersteller jenen Kunden offerierten, die sich für den Kauf eines abgasärmeren Wagens entschieden. Auf diesen Zug sprangen die Grünen und diverse Umweltorganisationen auf, um für den staatlich dirigierten Austausch stromfressender durch stromsparende Haushaltsgeräte zu trommeln. Für König waren und sind solche Aktionen „ökologisch kontraproduktiv“. Denn bei der Herstellung neuer Produkte entstünden regelmäßig mehr Schadstoffe, als bei ihrer Verwendung eingespart würden. „Es wäre also umweltfreundlicher, alte Dieselfahrzeuge bis an ihr technisches Lebensende zu benutzen, als auf neue Fahrzeuge umzusteigen.“ Das gelte auch für Haushaltsgeräte.

2. Auf ein nur scheinbar abseitiges Feld begibt sich König beim Streit um die Umweltbilanz von – ja, Windeln. Bei einem jährlichen Windelabsatz von drei Milliarden Baby-Windeln allein in Deutschland ist das kein kleiner Müllposten. Veranschlagt man nur das Windelmaterial ohne Fäkalien und Urin sind das nach Gewicht immerhin ein Prozent des Hausmülls. Wie viele andere Wegwerfprodukte sind Einwegwindeln daher ökologisch höchst umstritten, und die Mehrwegwindel wird als Alternative eifrig beworben. Sie kann bis zu 180mal wiederverwendet werden.

Die Nachteile sind: Die Reinigung ist arbeitsintensiv, zeitaufwendig und teuer – falls man die benutzten Stücke von einem Windeldienst behandeln läßt. Zudem wenig hautfreundlich, geringere Mengen an Feuchtigkeit aufnehmend und zu häufigem Wechsel zwingend. Kein Wunder, daß deshalb eine Studie zur vergleichenden Ökobilanz bei beiden Varianten zu dem Ergebnis kommt: „Keine der beiden Windeln zeigt bei Berücksichtigung sämtlicher Umweltaspekte, das heißt Rohstoffbedarf, Abfälle, Abwässer, Abluft und Energiebedarf eindeutige Vorteile. Bei der Entscheidung über die zu verwendende Windelart kann sich der Verbraucher daher von anderen Gesichtspunkten als von Umweltfragen leiten lassen. Dieser Bereich eignet sich nicht für prinzipielle Umweltauseinandersetzungen.“

Kann Kreislaufwirtschaft die Abfallwirtschaft ersetzen?

3. Nicht nur bei der Windel-Wahl helfen „prinzipielle“, weltanschaulich simplifizierende Antworten auf komplexe ökologische Probleme nicht weiter. König demonstriert das anhand eines Klassikers aus dem großen Repertoire grüner Verschwörungstheorien, dem „geplanten Verschleiß“. Damit ist die gezielte, durch den Hersteller nicht offengelegte Reduzierung der ökonomischen Haltbarkeit von Produkten verstanden mit dem Zweck, vorzeitige Ersatzkäufe zu provozieren.

Dazu gebe es mittlerweile eine reiche „verschwörungstheoretische Literatur“, die ein Spektrum von der kalkuliert verkürzten Brenndauer bei Glühlampen bis zu programmierten Schwachstellen in Tintenstrahldruckern bedient. Die Schuldigen sind, für publizistische Multiplikatoren dieser Legende wie den Aachener Volkswirtschaftler Burkhardt Röper, der schon 1976 damit auf den Plan trat, oder den Betriebswirt Stefan Schridde („Murks? Nein danke!“, Oekom Verlag 2014), in jedem Fall eindeutig die „profitgierigen Produzenten“.

Schriddes von einer OECD-Studie widerlegte Ansichten flossen 2014 in ein von Schuldzuweisungen an die Industrie strotzendes Gutachten der Grünen im Bundestag ein. Um die Verantwortung nach dem bekannten Schwarz-Weiß-Schema, das die Weltsicht dieser Partei prägt, von den Konsumenten auf die Hersteller abzuwälzen. Statt von „Wegwerfgesellschaft“ sollte fortan nur von „Wegwerfproduktion“ gesprochen werden. Obwohl das Papier auch sachlich verwertbare und zukunftsfähige Vorschläge zur nachhaltigen, ressourcenschonenden und klimaverträglichen Produktion enthielt, spielte es letztlich mit dem Phantasma, Kreislaufwirtschaft könne Abfallwirtschaft ersetzen.

Einfache, ideologisch aufgeladene Dualismen der Marke richtig – falsch, gut – böse, Täter – Opfer haben, wie diese Beispiele zeigen, in Umweltdebatten für König nichts verloren. Sie führen auch nicht zum Kern der ökologischen Probleme, die in den Wegwerfgesellschaften der westlichen Welt vor bald 150 Jahren zu entstehen begannen und bei deren Entwicklung Hersteller und Konsumenten gleichermaßen ihre Rolle als Täter und Opfer spielen. Was jeder an seinem eigenen Konsumverhalten ablesen kann, wenn er der „Mode wegen“ sein Smartphone, das zehn Jahre funktionstüchtig ist, nach durchschnittlich zwei Jahren entsorgt.

Bewegung gegen geplante Obsoleszenz: 

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www.murks-nein-danke.de

 technikgeschichte.tu-berlin.de/

Wolfgang König: Geschichte der Wegwerfgesellschaft: Die Kehrseite des Konsums. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019, 168 Seiten, gebunden, 21,90 Euro