© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Verlustbringer auf Rädern
Deutsche Post: Streetscooter-Pleite und weniger Leistung fürs gleiche Geld
Paul Leonhard

Wäre Frank Appel Neurobiologe geworden, hätte er nicht jene Zigmillionen verdient, die ihn nach zwölf Jahren an der Spitze der Deutschen Post privat finanziell unabhängig gemacht haben. Deswegen heuerte der promovierte Chemiker 1993 lieber bei McKinsey an und wechselte sieben Jahre später in den teilstaatlichen Dax-Konzern. Und im Gegensatz zu anderen Ex-Unternehmensberatern hält der 58jährige sich seit zwei Jahrzehnten in der Bonner Post-Zentrale.

Der Umsatz der global aktiven Deutsche Post DHL Group stieg 2019 um 2,9 Prozent auf 63,3 Milliarden Euro. Trotz des „herausfordernden weltwirtschaftlichen Umfelds“ wurde mit 550.000 Mitarbeitern (davon 222.000 in Deutschland) ein Gewinn von 4,13 Milliarden Euro vor Zinsen und Steuern verbucht. Der vergleichbar große, aber auf den Heimatmarkt beschränkte staatliche United States Postal Service verzeichnet hingegen seit 2009 jährliche Verluste im einstelligen Milliardenbereich. Ob Appel auch im März 2021 wieder die neuesten Jahresergebnisse vorstellen darf, ist hingegen nicht sicher – und das liegt nicht nur an dem Umsatzeinbruch durch den Corona-Virus.

Denn die „tolle Erfolgsgeschichte“ des Streetscooters (Appel 2019) ist in Wahrheit ein dreistelliges Millionengrab: 2014 wurde die 2010 gegründete Aachener Streetscooter GmbH für einen unbekannten Millionenbetrag übernommen, um die „Mission 2050, das heißt Null-Emissionen-Logistik“, zu erfüllen – sprich: Die 90.000 dieselnden Postautos sollten durch emissionsfreie „Werkzeuge auf Rädern“ (Streetscooter-Werbung) ersetzt werden. Doch die in Kleinserie fabrizierten E-Transporter (JF 3/17) waren weder zweckmäßig noch robust oder gar wirtschaftlich: Schon für 2018 wurde ein Verlust von 70 Millionen kolportiert, 2019 kostete Appels „Impuls in Sachen Elektromobilität“ einen „signifikanten zweistelligen Millionenbetrag“.

Soll die Post nur noch an fünf Tagen Briefe ausliefern?

Dieses Jahr seien „Anpassungsaufwendungen zwischen 300 und 400 Millionen Euro zu erwarten“. Auf deutsch: Die Streetscooter-Produktion wird eingestellt, die Firma wird „Bestandsflottenbetreiber“ für die 10.000 E-Postautos, deren technische Entwicklung laut Welt mit knapp zehn Millionen Euro (entspricht dem Appel-Salär von 2017) vom Steuerzahler gepäppelt wurde.

Wer dennoch „die Umstellung unserer Flotte auf E-Mobilität“ weiter „entschieden vorantreiben“ will, muß etwa weiter Briefkästen von selbständigen Dieselfahrern leeren lassen. Doch die McKinsey-Rezepte – Abbau von Postämtern und Briefkästen, prekäre Beschäftigung, schlechter Service, Portoerhöhung – sind ausgereizt, nun soll weniger Leistung fürs gleiche Geld die Marschrichtung sein. „Noch immer kommt in Deutschland sechsmal die Woche der Postbote, das ist anachronistisch und überflüssig“, befand schon vor zwei Jahren die konzernnahe FAZ. Nicht die diesbezüglich konservativen USA, sondern die damals linksregierten EU-Länder Griechenland, Frankreich und Italien sollten nun Vorbild sein, wo an weniger als fünf Wochentagen zugestellt werde. Zeitgleich hatte die Post gerade einen Versuchsballon gestartet: Ausgewählte Kunden sollten wählen dürfen, ob sie Briefe als Sammelzustellung an einem, drei oder fünf Tagen zugestellt bekommen. Doch kaum einer wollte sich mit dem Modell anfreunden. Die Gewerkschaft Verdi befürchtete Entlassungen und verwies – wie der private Postverband BIEK – auf den gesetzlichen Universaldienstauftrag der Post, flächendeckend an allen Werktagen Briefe zuzustellen.

„Bei uns macht die Briefzustellung montags weniger als zwei Prozent der Wochenmenge aus“, behauptet hingegen Post-Sprecher Dirk Klasen. Zudem verlange das EU-Recht keine Postzustellung an fünf Tagen pro Woche. Die angekündigte Digitalisierungsoffensive könnte die Serviceeinschränkung schmackhafter machen: Briefmarken sollen einen Matrixcode bekommen, der eine bessere Nachverfolgung ermöglicht. Bei Paketen wird ein „Live-Tracking“ via Internet und DHL-App angekündigt: Dem Empfänger werde so ein 60- bis 90minütiges Zeitfenster angezeigt. 15 Minuten vor der Zustellung soll es eine weitere Benachrichtigung geben, versprach Post-Vorstand Tobias Meyer. Bleibt zu hoffen, daß der neue Wunderautomat, der neben Paketen auch Briefe verschicken und bargeldlos Brief- und Paketmarken verkaufen soll, besser funktioniert als der Streetscooter.