© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte einen großen Artikel über die AfD mit der Titelzeile: „Partei im Getto“. Nach üblichem Verständnis bezeichnet „Getto“ einen Wohnbezirk, in dem Menschen, die einer sozialen oder religiösen Randgruppe angehören, zwangsweise zusammengepfercht werden, und den sie nicht ohne Erlaubnis der Machthaber verlassen dürfen.

˜

Ernst Jünger, wiedergelesen, A: „Den Diktaturen ist der Nachweis wichtig, daß die Freiheit, Nein zu sagen, bei ihnen nicht ausgestorben ist.“

˜

Angesichts des Weltfrauentages: Sprechen wir über toxische Weiblichkeit.

˜

Bildungsbericht in loser Folge CXXV: Das von Mathias Brodkorb, dem ehemaligen Kultusminister Mecklenburg-Vorpommerns, und Katja Koch, Professorin für Pädagogik an der Universität Rostock, geschriebene Buch „Der Abiturbetrug“ hat schon vor Erscheinen für Irritation und Empörung gesorgt. Das hängt zum einen mit der scharfen Kritik am deutschen Bildungsföderalismus zusammen, zum anderen mit der hektischen Suche nach Ausreden für die eklatanten Leistungs- und Bewertungsunterschiede zwischen Bundesländern, wenn es um die „Reifeprüfung“ geht. Herausgegriffen sei in dem Zusammenhang die Interpretation der Untersuchungsergebnisse für den Fall Niedersachsens, wo man angeblich „hart“ – wegen der relativ schlechten Durchschnittsnoten –, aber „gerecht“ – wegen des Kenntnisabstands von bis zu einem Jahr gegenüber bayerischen Abiturienten – bewerte. Das ist als Einschätzung unhaltbar. Gemessen an den bayerischen Anforderungen sind die niedersächsischen Noten offenbar zu „weich“.

˜

Mantra in Momenten äußerster Niedergeschlagenheit: „Bedenke, du könntest in Lüttich leben müssen.“

˜

Bei den Wahlen zum Amt des Oberbürgermeisters von Paris konkurrieren zwei Frauen: Anne Hidalgo, für die Sozialisten, und Rachida Dati, für die Republikaner. Bis vor kurzem schien die Position Datis aussichtslos. Das hat sich allerdings geändert, nachdem Jean-Marie Le Pen äußerte, daß er für sie stimmen werde. Zur Erklärung gab er an, daß sie – Tochter arabischer Einwanderer muslimischen Glaubens – eine katholische Erziehung genossen habe und für Werte eintrete, die den seinen jedenfalls ähnlicher seien als die ihrer Konkurrentin. Dati hat angekündigt, daß sie für den Fall ihrer Wahl 100 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern für die Restaurierung der Kirchen von Paris – nicht eingerechnet den Wiederaufbau Notre-Dames – zur Verfügung stellen werde.

˜

Wenn man durch die Gebiete des alten Zwischenreichs fährt, das einmal West- und Ostfranken trennte, überrascht immer wieder das Unscharfe der Abgrenzung. Da trifft man im ländlichen Luxemburg auf Bauern, die einen – kaum verständlichen, aber noch erkennbaren – deutschen Dialekt sprechen, im Elsaß auf Winzer, deren Vorfahren nicht nur ins Gebiet um Basel, sondern selbstverständlich auch in den Schwarzwald heirateten, in Brüssel auf Leute, die nicht nur wie Franzosen reden, sondern auch so aussehen und sich entsprechend benehmen, im niederländischen Maastricht auf eine bleibende Prägung als katholische Reichsstadt und in Cambrai auf Menschen, die unschwer auf einem westfälischen Hof vorzustellen sind, das Bier – ein schweres „Charles Quint“ mit dem Konterfei des Habsburgers auf dem Etikett – ihrer belgischen Nachbarn schätzen und dabei strahlend erklären „Je suis Flamand“ – „Ich bin Flame“.

˜

Das Bemühen, in der Ausbreitung des Coronavirus kein Menetekel der Globalisierung zu erkennen, hat etwas Verzweifeltes. Dabei sind weniger die hysterischen Ausbrüche von Belang, eher die Unterschiede im Hinblick auf die praktischen Maßnahmen, mit deren Hilfe betroffene Staaten zeigen, daß sie ihre Grenzen kontrollieren können (China, Iran) oder eben nicht (Italien). Was den letzten Punkt betrifft, darf man gespannt sein, was geschehen sollte, falls die Epidemie Afrika erreicht, mit seiner Überbevölkerung und seinen „failed states“. Daß das Virus dort Opfer finden wird, ist schon wegen der intensiven Kontakte mit China wahrscheinlich, das den Schwarzen Kontinent seit Jahren systematisch zu seiner Einflußzone macht.

˜

„Radikal bedeutet: an die Wurzel gehen. Das finde ich nichts Schlechtes.“ Sagte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen. Halt, Irrtum, sagte der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger. Weshalb auch der im anderen Fall erwartbare Aufschrei ausblieb.

˜

Ernst Jünger, wiedergelesen, B: „Die Propaganda ist auf einen Zustand angewiesen, in dem der Staatsfeind, der Klassenfeind, der Volksfeind zwar durchaus aufs Haupt geschlagen und schon fast lächerlich geworden, doch immerhin noch nicht ganz ausgestorben ist.“


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 27. März in der JF-Ausgabe 14/20.