© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Aus 2015 nichts gelernt
Wie vor fünf Jahren: Deutsche Medien trommeln erneut für eine Aufnahme angeblicher Flüchtlinge
Ronald Berthold / Felix Krautkrämer

Mit ihrem Versprechen, der Kontrollverlust von 2015 werde sich nicht wiederholen, stößt die Bundesregierung jetzt, da erneut eine Masseneinwanderung droht, in den Medien auf wenig Sympathie. Trotz des bis heute anhaltenden Vertrauensverlustes aufgrund einseitiger Berichterstattung und der Stigmatisierung der Kritiker der Flüchtlingspolitik haben Journalisten ihr Vokabular von damals aus den Archiven geholt. Knapp fünf Jahre später scheinen sie aus ihrem Fehlverhalten nichts gelernt zu haben. Erneut heißt es: „Alle rein!“

Diese plakative Forderung findet sich in der Überschrift eines Beitrages der Zeit. Und angeblich handelt es sich aus Sicht der Autorin Mely Kiyak bei den Migranten, die an der türkisch-griechischen Grenze auf Einwanderung in die EU drängen, wieder vor allem um Kinder. Empathie verlangend schreibt sie: „Was diese Flüchtlinge, darunter ungewöhnlich viele Kinder, erleben, ist das Katastrophalste, was einem Menschen in seinem Dasein widerfahren kann.“ Und: „Man läßt sie sterben.“ Es könne nur um eins gehen: „Das Ziel sind alle.“ Doch „um Menschlichkeit geht es in Europa schon lange nicht mehr“, sekundiert Andrea Backhaus auf Zeit Online. „Stattdessen werden die Syrerinnen und Syrer erneut alleingelassen.“

Auch die ARD-„Tagesthemen“ schwören ihre Zuschauer darauf ein, daß Deutschland jetzt die Grenzen öffnen müsse: „Frauen, Kinder, Kranke – völlig schutzlos. Diese Menschen brauchen Hilfe. Sofort!“, fordert Sabine Scholt in einem Kommentar: „140 deutsche Kommunen stehen bereit. Sie haben Erfahrungen gemacht, sie wissen, wie es geht – nicht planlos, sondern koordiniert.“ Es spreche „alles dafür, sie jetzt helfen zu lassen“.

„Das ist nicht mein Europa“

Drastischer drückt sich der ebenfalls öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk angesichts des Grenzschutzes in Griechenland aus. Christian Buttkereit kommentiert: „Der Staat wird in diesem Fall zum Verbrecher.“ Die „Weltspiegel“-Moderatorin und Journalistin des arabisch- und persischsprachigen Formats „WDR for you“ (JF 51/16), Isabel Schayani, verbreitet auf Twitter gleich eine Europakarte des türkischen Fernsehens mit „Routen“ und „verschiedenen Optionen“. 

Schon zu Jahresanfang war Schayani in die Kritik geraten, Werbung für die Einwanderung nach Deutschland zu machen. Damals hatte sie bei WDRfor­you die Bereitschaft zahlreicher deutscher Städte zur Flüchtlingsaufnahme „aus Italien und Griechenland“ betont. Eine Botschaft, die über Facebook und andere soziale Kanäle mit großer Wahrscheinlichkeit in vielen Herkunftsländern gehört wurde.

In der ARD-Sendung „Das Wort zum Sonntag“ ruft die evangelische Pastorin Annette Behnken sogar dazu auf, „die Parlamente zu stürmen, in denen Neofaschisten sitzen und uns in Schreckstarre verfallen lassen“. Europa müsse „all seine Kräfte aufbringen, um jedes einzelne Kind, jede einzelne Frau und jeden einzelnen Mann aus der Not zu retten. Und wenn Europa das nicht einhellig hinkriegt, dann müssen es die tun, die dazu bereit sind. Wir dürfen Europas Schönheit nicht billig verkaufen: den Glauben an Menschlichkeit. Solidarität. Gerechtigkeit.“

Andere Medien versuchen cleverer, Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer erneuten Grenzöffnung zu bewegen. Damals galt als eines ihrer Motive, häßliche Bilder zu vermeiden, die ein Einreisestopp mit sich brächte. Die Süddeutsche Zeitung schreibt nun: „Sie werden am türkischen Grenzzaun stehen, im Rücken den Tod und vor sich den Stacheldraht. Diese Bilder darf Europa nicht ertragen.“

Ins selbe Horn bläst ARD-Journalist Gábor Halász. In Anlehnung an Merkels Worte von 2015, wenn sie sich für die offenen Grenzen zu entschuldigen habe, „dann ist das nicht mein Land“, twittert der TV-Korrespondent: „Das ist nicht mein Europa.“ Auch die Bild schreibt online von „der Grenze der Schande“ und setzt bei der Bildsprache gezielt auf Fotos mit Kindern. Politik-Redakteur Julian Röpke verweist auf Twitter beim Hashtag Griechenland mit erhobenem Zeigefinger auf die Grundrechte der EU. 

Das beliebte Narrativ der Wehrlosen, denen geholfen werden müsse, bedient auch die taz. Sie will „über Kinder sprechen, die von ihren weinenden Eltern aus Tränengaswolken getragen wurden. Oder über ein Kind, das vor der Küste von Lesbos ertrank.“ Den damaligen Kontrollverlust, den die Zeitung nicht leugnet, habe Deutschland doch gut überstanden. Heute solle man das Wort anders verwenden: „Ein Kontrollverlust ist es, wenn auf Lesbos Rechtsextreme patrouillieren. Ein Kontrollverlust ist es, wenn Polizisten dulden, daß Journalisten bedroht werden.“ Oder wenn Grenzschützer Tränengas „auf Kinder schießen“.

Der Tagesspiegel fordert, „weder der AfD noch Pegida, weder französischen, ungarischen oder polnischen Populisten … sollten wir die Macht über uns geben, Untätigkeit und Unmenschlichkeit angesichts des Leides zu erzwingen“. Deutschland müsse, so der Berater der Chefredaktion, Gerd Appenzeller, „ein Zeichen setzen“.

Kritische Stimmen werden gleichzeitig diffamiert. „AfD-Politiker gerät mit Linken aneinander“ titelten zahlreiche Mainstreammedien vom Stern bis zum MDR. Der Spiegel wußte zu berichten, der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt und Oppositionsführer, Oliver Kirchner, habe gemeinsam mit dem Blogger und Youtuber Oliver Flesch, der für den Kanal des Deutschlandkuriers aus Griechenland berichtete, „bei einer antifaschistischen Demonstration in der Inselhauptstadt agitiert“. Ursprung für die Berichterstattung der meisten deutschen Medien war zudem die Nachrichtenagentur dpa, die mit als erste vermeldete, der AfD-Politiker Kirchner sei auf Lesbos in eine Auseinandersetzung mit linken Demonstranten geraten. 

Das Blöde an der Geschichte: Kirchner war überhaupt nicht auf Lesbos. Stattdessen war er vergangenes Wochenende in seinem Landtagsbüro in Magdeburg, wie er auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT berichtet. „Meine Frau hat mich dann angerufen und mir erzählt, was da gerade über mich in den Nachrichten zu lesen ist. Ich konnte das erst gar nicht glauben.“ Er behalte sich rechtliche Schritte gegen die Falschberichte vor. 

AfD-Politiker war gar nicht in Griechenland

Zwar wurde Flesch nach eigenen Aussagen auf seinem Internetportal 19vierundachtzig.com tatsächlich „von etwa 20 bis 25 Antifa-Anhängern eingekesselt“ und dank der griechischen Polizei „da rausgeholt“, aber Kirchner kenne er nicht einmal, geschweige denn sei er mit ihm auf der Insel gewesen. Während die dpa ihre Meldung korrigierte und der MDR seine löschte, hat sich die Korrektur beim Spiegel bislang offenbar noch nicht herumgesprochen. 

Anscheinend ist man beim Hamburger Magazin mit wichtigerem beschäftigt. Um die Europäische Union unter Druck zu setzen, die für viele Journalisten bis eben noch als sakrosankt galt und die sie gegen Kritik verteidigten, kommen nun ganz andere Worte. Spiegel-Reporter Hasnain Kazim fordert: „Kann mal bitte jemand endlich der EU den 2012 verliehenen Friedensnobelpreis wegnehmen?“ Sein Kollege Nils Minkmar schreibt schlicht: „Deutschland braucht Leute.“ Und der mit Medienpreisen überhäufte Mohamed Amjahid, wie Kiyak Autor der Zeit, argumentiert gar nicht mehr, sondern äußert schlicht seinen Traum: „Ich würde mir wünschen, daß ganz Afrika tatsächlich nach Europa kommt und wir eine große Party feiern.“ Ze.tt, das Jugentportal der Zeit, veröffentlicht passend auf Instagram alle deutschlandweiten Demonstrationstermine der Organisation Seebrücke.

Um die Forderungen aus der journalistischen Filterblase auf die Politik zu projizieren greift die ARD-„Tagesschau“ zu einem altbekannten Trick. Selbstreferentiell titelt sie über die „Aufnahme von Flüchtlingen“: „Druck auf Bundesregierung wächst“. Der Sender illustriert den Bericht mit einem Bild von drei in Decken gehüllten, traurig blickenden arabischen Kindern. Der mediale Dauerbeschuß zeigt erfolgreich Wirkung: Die Bundesregierung plant die Aufnahme minderjähriger Migranten aus dem griechisch-türkischen Grenzgebiet. Für Zeit-Autorin Katharina Schuler reicht das jedoch „nicht aus“ und ist „beschämend“.