© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Wasserstoff verlangt seinen Platz an der Sonne
Da Wind- und Solarstrom Atom- und Kohlekraft nicht ersetzen können, wird nach Alternativen gesucht
Tobias Albert

Peter Altmaier gilt seit 2005 als treuester Paladin der Klimakanzlerin. In seinen wechselnden Funktionen äußerte der Saarländer nie offene Kritik. Doch der polyglotte Jurist blieb dennoch Realist: Als Umweltminister bezifferte er 2013 die Kosten der Energiewende auf eine Billion Euro. Als Wirtschaftsminister nannte er ­Angela Merkels Energiewende auf dem Energie-Gipfel des Handelsblattes nun eine „Operation am offenen Herzen der Volkswirtschaft“. Deutschland habe mit Dänemark die höchsten Strompreise in Europa, und „die Sonne scheint nicht nachts, und der Wind weht auch nicht immer“ – sprich: Dieser Ökostrom kann Atom- und Kohleenergie nicht ersetzen.

„Wenn es die Regierung schafft, den heutigen Anteil der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch auf Dauer stabil bei 15 Prozent zu halten, wäre das schon ein Riesenerfolg“, prognostizierte Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion (CEC), unwidersprochen in einem Handelsblatt-Gespräch mit Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Doch leistungsfähige Energiespeicher für Dunkelflauten gibt es bislang nicht. Die 31 Pumpspeicherwerke in Deutschland (JF 43/19) haben einen Wirkungsgrad von 70 bis 85 Prozent, doch ihre Speicherenergie liegt bei 0,04 Terawattstunden – das Braunkohlekraftwerk Neurath speist hingegen jährlich stabil 31,3 TWh ins Stromnetz ein.

Auch Altmaier weiß, daß leistungsfähige Energiespeicher unverzichtbar sind: „Der grüne Wasserstoff kann das vielleicht, wir arbeiten daran.“ Schlögl und das CEC haben hierfür Vorarbeit geleistet. Und die Niederlande, die 2022 wegen Erdbebengefahr aus der heimischen Erdgasförderung aussteigen wollen, planen für 2027 die Eröffnung von „NortH2“, einer Großanlage zur „Umwandlung“ von Windkraftstrom in Wasserstoff (H2) als Energiespeicher (Power-To-X). Man sei „überzeugt, daß sich die Investition rechnet“, erklärte Marjan van Loon, Regionalchefin von Royal Dutch Shell.

Globale Lieferketten zum Import von Wasserstoff?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt, auch China und Südkorea investierten „massiv in entsprechende Infrastrukturprojekte und Technologien“. Japan habe bereits 2017 eine H2-Strategie“ verabschiedet: „Bis zum Jahr 2050 will das Land seine Wirtschaft komplett danach ausrichten und globale Lieferketten zum Import von Wasserstoff aufbauen“, heißt es im aktuellen BDI-Positionspapier „Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie“. Und angesichts des politischen Ziels der „Klimaneutralität“ sei eine globale Wasserstoffwirtschaft „absehbar die einzige Chance, um den Industriestandort Deutschland in seiner vertrauten Form auch jenseits von 2050 zu sichern“.

Doch es gibt großen Forschungsbedarf – nicht nur bei der H2-Elektrolyse in sonnen- oder windreichen Gebieten in Nord- und Westafrika, Australien, Feuerland oder an Kap Horn. Diese Wasserstoff-Industriekomplexe würden „aussehen wie die BASF in Ludwigshafen“, so Schlögl. Die größten Probleme sieht er an den Schnittstellen Transport, Umwandlung im Exporthafen und bei der Rückumwandlung im Zielhafen. Hingegen könnten „zwei Drittel unseres hervorragenden Gasleitungsnetzes“ schon heute mit Wasserstoff befüllt werden. Der Wirkungsgrad der drei gängigen H2-Produktionsverfahren – alkalische, Protonen-Austausch-Membran- und Hochtemperatur-Elektrolyse – liegt laut einer Studie der TU Berlin zwischen 62 und 74 Prozent. Die Erzeugung von Methan (CH4/Hauptanteil von Erdgas) kommt nur auf 55 Prozent – 45 Prozent der eingesetzten Energie gehen also verloren.

Doch nur CH4 kann unbegrenzt ins Erdgasnetz eingespeist werden – bei H2 sind es maximal zehn Prozent. „Wasserstoff besitzt das höchste Diffusionsvermögen aller Gase“ und zur Entzündung reiche „die Reibung von Wassertröpfchen an Wasserstoffgasteilchen oder durch Ableitung der elektrostatischen Ladung von Kleidung“ aus, heißt es im „Leitfaden für Feuerwehren“.

Ersatzleistung von 4.200 mittelgroßen AKWs nötig

Auch der große Zündbereich (von vier bis 73 Prozent bezogen auf die Gasatmosphäre), die achtmal größere Flammengeschwindigkeit und die hohe Detonation machen H2 gefährlicher als CH4. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches kann sich nur bei „netz- und geräteseitigen Anpassungen“ und „anderen Werkstoffen in Verdichtern, Heizkesseln oder Fahrzeugtanks“ 50 Prozent „grüne Gase“ vorstellen. Doch wer will wirklich in solch einer hochexplosiven Umgebung leben?

Reiner Wasserstoff wird unter hohem Energieaufwand gasförmig bei 200 bis 700 bar in Druckbehältern oder in flüssiger Form bei minus 253 °C in gut isolierten Kühlgeräten (Kryostaten) gespeichert. Forscher um Peter Wasserscheid, Direktor des Helmholtz-Instituts für Erneuerbare Energien, haben eine Methode entwickelt, H2 an die Trägerflüssigkeit Dibenzyltoluol zu binden. Diese könne dann in denselben Tankfahrzeugen transportiert werden wie Benzin – die ganze Infrastruktur der Petrochemie könnte übernommen werden.

Der BDI sieht H2 nicht nur als Kraftstoff- und Heizalternative: „Wasserstoff spielt in vielen industriellen Prozessen eine wichtige Rolle: Als Prozeßgas für Raffinerien, als Grundstoff für Basis­chemikalien wie Ammoniak oder Methanol in der chemischen Industrie oder als Ersatz für Kohle­ bzw. koksbasierte Prozesse in der Stahlindustrie“, wenn Kohle, Erdöl und Gas nicht mehr verwendet werden dürfen. Allein um die Hälfte der derzeitigen globalen Nachfrage nach Rohöl zu ersetzen, müßten „Wasserstoffanlagen mit einer Leistung von bis zu 6.000 Gigawatt entstehen – vergleichbar mit der Leistung von 4.200 mittelgroßen Atomkraftwerken“, rechnet der BDI vor. Aber was ist mit dem Kosten- und Umweltaufwand für die entsprechende Menge an Windrädern, Solarzellen und Elektrolysewerken?

Australien hat, wie auch der BDI anerkennt, schon deutlich ausgereifte H2-Planungen und ist zudem in der komfortablen Situation, massenhaft eigenen Sonnenstrom im australischen Outback erzeugen zu können, anstatt sich von Importen aus instabilen Staaten in Afrika abhängig zu machen. Wie allerdings der Londoner Guardian berichtet, wurde die ausländische Nachfrage nach australischem Wasserstoff von der Regierung in Canberra weit überschätzt, so daß die H2-Strategie ins Wanken gerät: Grüner Wasserstoff ist schlicht zu teuer, verglichen mit der H2-Produktion aus fossilen Quellen wie Erdgas.

Die Rückverstromung von H2-gespeichertem Wind- und Sonnenstrom hat laut einer Studie der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik einen Wirkungsgrad von 30 bis 40 Prozent – das ist die Hälfte von Pumpspeicherwerken, die es seit über hundert Jahren gibt.

 bdi.eu

Technischer Stand Power-To-X-Verfahrens:  er.tu-berlin.de





Wasserstoff als Benzin-Ersatz?

Deutsche U-Boote haben Weltniveau – dank Brennstoffzellen-Zusatzantrieb für die Schleichfahrt ohne den lauten Dieselgenerator. Auch in der Raumfahrt kommt der Strom aus „Fuel cells“ (FC), wo Sauer- und Wasserstoff unter Energieabgabe kontrolliert zu Wasser reagieren. Das Prinzip wurde schon 1838 in Basel von Christian Friedrich Schönbein entdeckt, doch die hohen FC-Kosten verhinderten bislang den Masseneinsatz im Automobilbereich. Pionier war 1966 General Motors mit dem GM Electrovan. Auch BMW, Chrysler, Fiat oder VW versuchten sich jahrelang am FC-Antrieb. Bei Honda, Hyundai und Toyota werden sogar Kleinserien kommerziell angeboten. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann erhielt 2018 den Mercedes GLC F-Cell als Dienstwagen – einen 2,2-Tonnen-SUV mit 200 PS. Die bis 2019 produzierte Kleinlimousine Toyota Mirai für 76.600 Euro braucht nur 760 Gramm H2 auf 100 Kilometer – bei etwa 500 Kilometern Reichweite, fünf Minuten fürs Volltanken und null Gramm CO2-Ausstoß, wenn das Kraftgas als „grüner Wasserstoff“ aus Ökostrom gewonnen wurde.