© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/20 / 13. März 2020

Wieviel bist du wert?
Materialismus: „How much is your outfit“-Formate erobern Youtube und jugendliche Zuschauer
Boris T. Kaiser

Ob durch Mottopartys, Serien, Musik oder Unterhaltungsshows: Die neunziger Jahre erleben gerade ein großes popkulturelles Revival. Damit einher geht auch die Rückkehr großer Markenlogos auf der Kleidung trendbewußter „Fashion Victims“. Modefirmen wie „Ellesse“, „Fila“ oder „Champion“ erleben mit dem Retro-Trend einen Wiederaufstieg in den Mainstream. 

Zu den klassischen Sportartikelherstellern, deren Freizeitkleidung schon immer sehr den Trikots der Mannschaften glich, an die sie für das öffentliche Zur-Schau-tragen ihres Firmenaufdrucks hohe Sponsorengelder zahlen, gesellen sich immer häufiger auch Designer aus einer Preisklasse, in der in der Vergangenheit eher auf vornehmes Understatement gesetzt wurde. Auch weil sich der besondere Reiz für ihre gutbetuchte Kundschaft eben gerade dadurch ergab, daß der Wert oder besser der Preis der edlen Kleidung vor allem von Leuten aus dem eigenen Milieu erkannt wurde. Heute füllen die Logos von Mon­cler, Fendi, Balenciaga, Versage, Chanel oder Louis Vuitton dagegen ganze Pullis, Hemden und Jacken aus. Und selbst das in diesen Gehaltsklassen frühere No-go, der Trainingsanzug, wird mit einer Ganzkörper-Gucci-Beschriftung plötzlich en vogue.

Aus „Über Geld spricht man nicht“ ist durch das plakative „Branding“ bei den sogenannten „Rich Kids“ und Social-Media-Sternchen mittlerweile ein Wettkampf um die teuersten Klamotten entstanden.

„How much is your outfit?“ ist zu einem Geschäftsmodell diverser Instagram- und Youtube-Kanäle geworden, auf denen sich die jungen Protagonisten mit nichts anderem beschäftigen, als sich gegenseitig auf der Straße die Preise ihrer „Outfits“ vorzulesen. Inklusive Sammlerturnschuh an den Füßen und Golduhren ums Handgelenk, versteht sich. Vorreiter dieses Trends ist der Fashion-Kanal „The Unknown Vlogs“ (344.000 Abonnenten), auf dem Moderator Kofi durch die Metropolen der Welt reist und Jugendliche abcheckt, wieviel sie von oben bis unten wert sind. Bis in die Garderobe des Sängers Drake hat es der Brite geschafft. Der kanadische Musiker hält mit einer Million Dollar für Hose, Schuhe, Pullover, Mantel und Halskette auch den bisherigen Preisrekord.

Viele Fälschungen auf den Straßen

Die Formate erinnern ebenfalls an die Neunziger und die afroamerikanische HipHop-Kultur, als es in den Musikclips auf MTV gar nicht genug „Bling-Bling“ geben konnte. Die Verbindung von Subkultur und Werbemarketing hatte schon damals enormen Einfluß auf das Image einer Modemarke. Eine von einer echten Musikgröße bei einem Videodreh getragene Jacke wurde mit ziemlicher Sicherheit zu einem Verkaufsschlager in der jugendlichen Zielgruppe. Dabei war es stets ganz egal, ob sich die Künstler in ihrem öffentlichen Auftreten ansonsten betont antikapitalistisch oder als Innere-Werte-Fetischisten gaben solange sie dabei immer auf den „richtigen Style“ achteten.

Mittlerweile wurde diese Attitüde von deutschsprachigen Rappern übernommen – vor allem von jenen mit Migrationshintergrund aus vorgeblich oder auch tatsächlich ärmlichen Verhältnissen, die von solcherlei Luxus lange nur träumen konnten, und ihn nun um so stärker nach außen tragen. 

Und auch deutsche Youtuber haben den Markt erkannt. Die deutsche Kofi-Konkurrenz heißen Lion (287.000 Abonnenten) und Mahan (136.000 Abonnenten). Sie präsentieren aus heimischen Fußgängerzonen aufgetragene Kleidungsstücke im jeweiligen Gesamtwert von bis zu mehreren zehntausend Euro. Der Berliner Rapper Ufo 361 kommt dabei beispielsweise auf 200.000 Euro am Leib.

Da sich viele Jungs „von der Straße“ jedoch nicht den neuen „Streetstyle“ leisten können, sind allerdings auch immer mehr billige Imitate unterwegs, was den berüchtigten Markenpiraterie-Hochburgen China und Türkei einen Produktionsboom bescheren dürfte. Ganz zum vorgespielten Ärger von Youtubern wie MaxaMillion, dessen Erfolgskonzept hauptsächlich darauf beruht, auf die „How much is your outfit?“-Straßenumfragen emotionsreich zu reagieren und bei jeder Fälschung gestenreich „auszurasten“.

Längst kritisiert das deutsche Bessermenschentum den ausufernden Materialismus. Doch wenn der dauermahnende Frontmann der Band Kraftklub, Felix Kummer, im Song „Wieviel ist dein Outfit wert“ soziale Ungleichheit und prekäre Produktionsbedingungen kritisiert, vergißt er die Mitverantwortung der linken „No border, no nation“-Politik an derartigen Globalismus-Exzessen.