© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bundes-Berlin steht still
Paul Rosen

Es wird einsam in Berlin. Das Virus macht auch vor dem politischen Betrieb nicht halt. Inzwischen haben die meisten Vertretungen der Länder beim Bund geschlossen. So bleibt zum Beispiel der prachtvolle Bierkeller der Bayerischen Vertretung – etwa eine Viertelstunde zu Fuß vom Reichstag entfernt – dunkel.  

Für die 709 Abgeordneten des Bundestages, die eigentlich am Montag wieder zur Sitzungswoche anreisen sollten, bedeutet dies nichts Gutes. Denn das Leben des Volksvertreters zeichnet sich durch zahlreiche Annehmlichkeiten aus. Sie beginnen morgens mit einem schönen Arbeitsfrühstück eines Lobbyverbandes, der den Volksvertretern seine Ziele verdeutlichen will. Mittags gibt es Essen mit Lobbyisten – besonders gerne im Café Einstein Unter den Linden, in dessen Umgebung es von Interessenverbänden nur so wimmelt. Die Abende verbringen Politiker gerne auf Einladung von Lobbyisten bei einem der exzellenten Italiener in Berlin-Mitte, bei sogenannten Parlamentarischen Abenden der Lobbyverbände. Auch die Landesvertretungen bieten Termine an – zum Beispiel den Maibock-Anstich der Bayern. 

Schon zu Bonner Zeiten meinte ein älterer Abgeordneter schmunzelnd, man komme montags mit 50 Pfennig in der Tasche an und fahre am Freitag mit denselben 50 Pfennig wieder nach Hause. Und jetzt? Alles geschlossen. Kein Freitisch mehr verfügbar. Für Abgeordnete ein ganz neues Gefühl: Man zahlt selbst, falls sich noch ein offenes Restaurant findet. Und falls es überhaupt zu einer Sitzungswoche des Bundestages kommen sollte. 

Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, selbst Arzt, rät dringend davon ab, in der nächsten Woche – also ab dem 23. März – den Bundestag tagen zu lassen: „Ich halte es nicht für so sinnvoll, daß wir zu Tausenden in den Bundestag kommen.“ Denn es kommen nicht nur die 709 Abgeordneten, sondern außerdem reisen viele Mitarbeiter von ihnen aus ganz Deutschland eigens nur zu Sitzungswochen an. Schätzungsweise sind in den Parlamentsgebäuden rund 8.000 bis 10.000 Personen. Desinfektionsmittel gebe es demnächst nicht mehr, hieß es in einem Rundschreiben der Verwaltung. Derzeit ist für viele Fraktions- und Verwaltungsmitarbeiter Heimarbeit möglich. Aber in einer Sitzungswoche müssen alle wieder im Hause sein und in den durch die Aufblähung des Bundestages viel zu kleinen Sitzungsräumen dann Schulter an Schulter an Besprechungen teilnehmen.

Im Bayerischen Landtag hat man eine passable Lösung gefunden. Die sechs Fraktionen im Münchener Maximilianeum einigten sich, jeweils nur eine Notbesetzung von einem Fünftel der Abgeordneten zu schicken. Die Mehrheitsverhältnisse bleiben damit gewahrt. Im Bundestag stießen solche und andere Vorschläge beim Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) auf taube Ohren. Mehrere Stellvertreter und Fraktionsgeschäftsführer bedrängen Schäuble, die Sitzungswoche abzusagen – bis Redaktionsschluß war das Ergebnis noch offen.