© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Auch ohne Corona in der Bredouille
Energiewirtschaft I: Erdölpreis fällt auf den tiefsten Stand seit 2016 / Konflikt zwischen USA, Saudi-Arabien und Rußland
Thomas Kirchner

Fast eine Milliarde Dollar zahlte der US-„Schieferkönig“ Harold Hamm 2015 seiner zweiten Ex-Frau bei ihrer Scheidung – „Peanuts“ im Vergleich zu den bisherigen Wertverlusten seines Anteils an der von ihm 1967 gegründeten Firma Continental Resources (CLR). „America’s Oil Champion“ (Eigenwerbung) war in der Spitze im Jahr 2014 über 22 Milliarden Dollar wert, jetzt sind es nur noch rund zwei.

Der heute 74jährige, der aus der 2.000-Seelen-Gemeinde Lexington (Oklahoma) stammt, repräsentiert Aufstieg und Fall der US-Frackingbranche. Das 13. Kind armer Landarbeiter arbeitete sich zum Entdecker der „Bakken Formation“ in Nord-Dakota hoch, die mit der Perm-Senke und dem Eagle-Ford-Sediment in Texas die USA zur Erdölsupermacht aufstiegen ließ.

Durch das seit den 1950er Jahren stets verbesserte „Hydraulic Fracturing“, bei dem eine Fracking-Flüssigkeit in eine bis 3.000 Meter tiefe Bohrung gepreßt wird, sind auch Erdöl- und Gasvorkommen aus tiefen Schieferschichten nutzbar. Inzwischen wird Fracking bei 95 Prozent aller US-Bohrlöcher angewandt – was Naturschützer ablehnen, denn Mikroerdbeben oder Grundwasserverunreinigungen sind oft unvermeidbar (JF 9/17). Die Ausweitung des Frackings brachte den USA aber die „Energieunabhängigkeit“ – God’s Own Country ist seit 2018 vor Saudi-Arabien und Rußland der weltgröße Ölförderer.

Doch der Boom hat einen ökonomischen Schönheitsfehler: Fracking erfordert hohe Investitionen. Bei wilden Ölpreisschwankungen ist das riskant. 70 Prozent der Ausbeute eines Fracking-Bohrlochs werden im ersten Jahr erwirtschaftet. Für das weltgrößte, seit 1951 produzierende Ghawar-Feld in Saudi-Arabien wird dies auf nur drei Prozent geschätzt. Deshalb muß die US-Frackingindustrie ständig neu bohren.

Leicht zugängliche Schichten bald erschöpft

Als der Ölpreis 2014 bei über 100 Dollar pro Barrel lag, waren die Förderkosten der Schiefervorkommen von 60 Dollar kein Problem. Anfang 2016 stürzte der Ölpreis zeitweise unter 30 Dollar pro Barrel (159 Liter) ab – und es gab erstmals größere Pleiten in der Branche, obwohl die Förderkosten bis auf 25 Dollar gesenkt werden konnten. Der Bloomberg-Konzern schätzt, daß die Frackingindustrie bisher 200 Milliarden Dollar verbrannt hat. Bis 2018 erholte sich der Ölpreis auf 50 bis 60 Dollar, aber die Förderkosten stiegen inzwischen auf etwa 40 Dollar, denn das Bohren wird immer schwieriger. Leicht zugängliche Schichten sind bald erschöpft. Aus neuen Bohrlöchern sprudelt das Erdöl nicht mehr so üppig wie früher.

2019 hofften Anleger, die Branche könne endlich ihre Neuinvestitionen aus laufenden Einnahmen finanzieren, ohne ständig neues Kapital aufnehmen zu müssen. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Anleger zogen sich zurück. Die Börsenkurse brachen vergangenes Jahr um bis zu 90 Prozent ein. Klima- und Ökoaktivisten faseln von Dekarbonisierung, doch die Dynamik ist finanziell: wenn die Branche soviel Öl fördert wie Saudi-Arabien, aber kein Geld verdient, dann wird sie vermutlich nie profitabel.

Zahlreiche Firmen mußten schon vor dem Corona-Preisverfall Konkurs anmelden. Sogar Ölmulti Chevron schrieb Schiefervorkommen im Wert von zehn Milliarden Dollar komplett ab. Es ist unklar, ob die Öl-Konkurrenten Rußland und Saudi-Arabien jetzt absichtlich einen erneuten Preisverfall unter 30 Dollar ausgelöst haben oder er nur ein willkommener Nebeneffekt des Zwists ist. Moskau will sich für die Nord-Stream-2-Sanktionen an den USA rächen und die fragile Frackingbranche in die Knie zwingen (JF 7/20).

Die Saudis hingegen wollen ihren Marktanteil vom Fracking zurückholen. Rußland braucht aber einen Ölpreis von 42 Dollar, um seinen Staatshaushalt auszugleichen, Saudi-Arabien laut IWF 85 Dollar, hat aber mehr Reserven. Viele Frackingfirmen haben ihre Produktion durch längerfristige Lieferverträge abgesichert und stehen auch nicht unmittelbar vor einer Pleite, wenn der Ölpreis sinkt, haben aber natürlich nicht den langen Atem wie Staaten. Die Frage ist, wer zuerst das Handtuch wirft.

In den USA funktionieren, im Gegensatz zu Europa, die Kapitalmärkte bestens, weshalb die Frackingbranche sich nicht nur über Bankkredite, sondern vorwiegend über Anleihen finanziert. Durch Pleiten wird es also nicht zu einer Bankenkrise kommen. Lediglich regionale Institute in Texas und Oklahoma könnten in Schieflage geraten. Anleger werden also die schmerzlichen Verluste tragen. Kein Wunder, daß Harold Hamm im Fernsehen verkündet, er habe Donald Trump aufgefordert, zu verhindern, daß billiges russisches und Saudi-Öl den US-Markt überflutet. Hamms Firma CLR schreibt erst ab einem Ölpreis von 48 Dollar keine Verluste. Egal, wie der Preiskampf ausgeht: die Frackingbranche muß Förderkosten drastisch senken, wenn sie überleben will.

Monthly Oil Market Report March 2020:

 momr.opec.org

 investors.clr.com