© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Stillegung mit Nebenwirkungen
Energiewirtschaft II: Der beschlossene Kohleausstieg könnte deutsche Stadtwerke in Existenznöte bringen / Rückgriff auf Steuer- und Gebührenzahler?
Marc Schmidt

Angela Merkels „Energiewende“ stößt nicht nur bei der AfD, ihren Wählern und den Braunkohlekumpeln auf Ablehnung. Inwischen haben zumindest die handwerklichen Fehler des im Januar beschlossenen Kohleausstiegsgesetzes auch bei Stadtwerken und Kommunen für Entsetzen gesorgt. Bürgermeister der CDU und SPD haben verschiedene Klagen gegen Teile der aktuellen Fassung des Gesetzes angekündigt. Die Kommunen sehen neben der wirtschaftlichen Existenz ihrer Stadtwerke auch große Probleme bei Kraftwerksbeteiligungen, Müllverbrennungsanlagen, Fernwärmenetzen und der Querfinanzierung anderer kommunaler Aufgaben.

Als kommunale Unternehmen sind Stadtwerke seit Jahren loyale Umsetzer der Energiepolitik der Bundesregierung. Auch ihre Verbände werden nicht müde, die Energiewende wie den Einsatz der Stadtwerke zu loben. Allerdings sind Stadtwerke, die sowohl Verteilnetzbetreiber als auch Versorger sind, oft an der Energieproduktion, insbesondere von Strom und Fernwärme beteiligt. Vor allem größere Stadtwerke, die entsprechende Anlagen, etwa im Bereich Müllverbrennung oder Beteiligungen an Steinkohlekraftwerken halten, versuchen nun Korrekturen am Kohleausstiegsgesetz zu erreichen.

Ein zentraler Kritikpunkt ist dabei die Ungleichbehandlung von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken. Während die Braunkohlekraftwerke im Eigentum der Energiekonzerne länger am Netz bleiben dürfen und eine Entschädigung bei Abschaltung erhalten, droht Steinkohlekraftwerken ohne starke Verhandlungslobby fünf Jahre früher als den Braunkohlekraftwerken eine schadensersatzlose Stillegung.

In dieser Ungleichbehandlung ohne ökologische Vorteile und entgegen den Empfehlungen der Kohlekommission sehen die Stadtwerke eine Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und fordern ebenfalls Geld der Stromkunden und Steuerzahler für die Abschaltung ihrer Kraftwerksbeteiligungen. Sie argumentieren, daß ohne Zahlungen und günstige Energie die Quersubventionierung von Gebühren und Ladesäulen sowie städtischen Einrichtungen von Kitas über Schwimmbäder bis hin zur Müllabfuhr gefährdet sei.

Abfallentsorgung als kommunales Geschäft

Abfallentsorgung als kommunale Aufgabe ist für Stadtwerke zum Geschäft geworden. Zum einen ist ein Teil des in Deutschland sortierten Mülls ein lukrativ handelbarer Brennstoff, zum anderen betreiben zahlreiche Kommunen selbst Verbrennungsanlagen, in denen sie Strom und Fernwärme gewinnbringend erzeugen und zugleich Abfall und beispielsweise Klärschlämme entsorgen.

Diese Verbrennungsanlagen wandeln Müll in Strom und Fernwärme mit einem geringeren Ausstoß an CO2 als beispielsweise Stein- und Braunkohlekraftwerke. Die Nutzung von Fernwärme vermeidet zudem CO2-Produktion beim Heizen von Haushalten wie der Wärmeerzeugung in Industrieunternehmen.

Die Stadtwerksverbände sehen jedoch auch diese Energieproduktion und Einnahmeseite aufgrund der aktuellen Klimadiskussion gefährdet. Dabei würden die sozialen Aspekte der kostengünstigen Fernwärmeversorgung ebensowenig berücksichtigt wie die notwendige nicht auf Deponien erfolgende Restabfallentsorgung. Deren Mengen könnten sich aber in den kommenden Jahren weiter rückläufig entwickeln, sollten die Planungen einer steigenden Recyclingquote umgesetzt werden.

Dies hätte zwei Effekte: Die geringere Abfallmenge würde eine Steigerung der bereits zeitweise erforderlichen Müllimporte erforderlich machen, um ausreichend Brennstoff für Fernwärme und Energieerzeugung zur Verfügung zu haben. Ohne Importe würde sich der Straßenbau verteuern, da die Menge der für die Straßenunterschichten verwendeten Schlacke aus Müllverbrennung sinken würde. Zudem hätten geringere Müllverbrennungsmengen zur Folge, daß die wegfallenden Fernwärmekapazitäten aus Braun- und Steinkohlekraftwerken, die meist von der Industrie genutzt werden, nicht durch Müllverbrennung ersetzt werden können.

Manche Stadtwerksvertreter sehen die Entwicklungen als Zangenangriff auf die Profitabilität der Stadtwerke und befürchten in manchen Kommunen Stadtwerksinsolvenzen. Da allerdings die kommunalen Aufgaben der Stadtwerke weiter erfüllt werden müssen, würde eine solche dramatische Entwicklung neben den Vertragspartnern der Stadtwerke erneut die regionalen Unternehmen und Bürger als Steuer- und Gebührenzahler treffen.

Gesetze zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung:  bmwi.de