© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Zum Krankheitscharakter der Transsexualität
Opfer der Genderideologie
Johannes Eisleben

Homosexualität und Bisexualität wurden im Zuge der Modernisierung und Emanzipation westlicher Gesellschaften seit den 1960er Jahren zuerst entkriminalisiert und dann depathologisiert. Dies ist eine wünschenswerte Entwicklung und Ausdruck echten gesellschaftlichen Fortschritts. Doch seit gut zwanzig Jahren beobachten wir eine neue Entwicklung, die im Bereich der echten Krankheiten der sexuellen Orientierung immer mehr Opfer einer modischen Pseudoemanzipation fordert: die Genderideologie. In ihrer verbreiteten, vulgären Ausprägung wirft sie gesunde Homo- und Bisexuelle oder Transvestiten mit schwer kranken Menschen, den Transsexuellen, in einen Topf.

Birgit Kelle hat Ende Dezember (auf achgut.com) beschrieben, wie das den Menschen schadet. Die Genderideologie richtet sich mittlerweile gegen die überwältigende Mehrheit der Frauen, nämlich heterosexuelle, reproduktionsfähige Menschen. Kelle schildert, wie sogenannte „Transfrauen“, das sind biologische Männer, die sich selbst als Frauen definieren, vom Staat Privilegien erhalten, die es ihnen erlauben, sich mit sexueller Gewalt an echten Frauen ausagieren zu können. Solche „Transfrauen“ werden an Zufluchtsorten, die Opfern männlicher Gewalt Schutz und Sicherheit zu geben versuchen, zugelassen oder in Strafanstalten für Frauen inhaftiert. Dort befinden sich fast ausschließlich sozial schwache echte Frauen. Sie sind dann gefährdet, von „Transfrauen“ sexuell belästigt und sogar vergewaltigt zu werden.

Warum verleiht der Staat psychisch kranken „Transfrauen“ solche für die Mehrheit der Frauen gefährlichen Privilegien? Versuchen wir hier darauf zu antworten, indem wir uns zunächst den Krankheitscharakter der Transsexualität ansehen, um dann die menschenfeindliche Hybris zu verstehen, mit der wir es hier zu tun haben.

Menschen, die sich nicht dem eigenen biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, obwohl Chromosomen und Geschlechtsorgane normal sind, sind seelisch krank, oft schwer krank – sie leiden unter einer Störung der sexuellen Identität. Die WHO-Krankheitsklassifikation ICD-10 führt Transsexualismus unter der Rubrik für Persönlichkeitsstörungen (F64). Die Krankheit ist mit einem Vorkommen von maximal 5/100.000 sehr selten.

Was macht ihren Krankheitswert aus? Daß Transsexuelle in der Regel nicht in der Lage sind, sich zu reproduzieren und Familien zu gründen, und daß sie darunter leiden, im Kern ihrer Identität schwer gestört zu sein. Daß dies schwer kranke Menschen sind, sieht man an der hohen Ko-Erkrankungsrate (Komorbidität) mit weiteren psychischen Erkrankungen und ihrer sehr hohen Selbstmordrate: Transsexuelle weisen eine sehr hohe Komorbidität mit anderen Geisteskrankheiten auf, vor allem mit Neurosen, an denen laut Urs Hepp und anderen 71 Prozent der Transsexuellen leiden oder litten sowie weiteren Persönlichkeitsstörungen, die 42 Prozent von ihnen aufweisen (Urs Hepp u. a., „Psychiatric comorbidity in gender identity disorder“, in: Journal of Psychosomatic Research, Volume 58, Issue 3, März 2005, Seiten 259ff.).

Diese Menschen leiden so sehr unter ihrem Zustand, daß die Suizidalität in dieser Gruppe laut Claire M. Peterson sehr hoch ist – oftmals müssen sie nach Suizidversuchen oder wegen Selbstverletzung in der Psychiatrie stationär behandelt werden (Claire M. Peterson u. a., „Suicidality, Self-Harm, and Body Dissatisfaction in Transgender Adolescents and Emerging Adults with Gender Dysphoria“, in: Suicide and life-threatening behavior,Volume 47, Issue 4, August 2017, S. 475–482).

Unter vielen Laien, die noch nie Trans­sexuelle behandelt haben und deren Leid nicht kennen, ist es heute nicht mehr üblich, Transsexuelle als krank anzusehen. Ihr Zustand wird vielmehr als eine weitere Variante der „Neosexualität“

aufgefaßt.

Die meisten Transsexuellen sind idiopathische Psychopathen, Menschen, die unter ihrer eigenen Persönlichkeitsstörung leiden. US-Psychiater sprechen offiziell nur noch von „Gender dysphoria“, um die Stigmatisierung durch den Begriff „disorder“ zu vermeiden. Das ist euphemistisch, denn eine Dysphorie ist eine vorübergehende Verstimmung; der Begriff wird der Schwere der Krankheit nicht gerecht.

Auch die derzeit kanonische Definition der Krankheit ist sehr problematisch: Das Diagnostisch-Statistische Manual (DSM) psychiatrischer Erkrankungen definiert sie als das „Leid, das Menschen aufgrund einer Unstimmigkeit zwischen ihrer Geschlechtsidentität und dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht empfinden“. Die Definition geht also davon aus, daß das Geschlecht vom Arzt zugewiesen wird. Doch dies ist nur sehr selten der Fall: Über 99,999 Prozent der Neugeborenen haben ein eindeutiges biologisches Geschlecht, das der Arzt nicht zuweist, sondern feststellt.

Unter vielen Laien, die noch nie Transsexuelle behandelt haben und deren Leid nicht kennen, ist es heute nicht mehr üblich, Transsexuelle als krank anzusehen, sondern ihr Zustand wird als eine weitere Variante der „Neosexualität“ aufgefaßt. Damit wird diesen Menschen der Krankheitszustand abgesprochen. Dies ist zutiefst unmenschlich, da viele von ihnen so krank sind, daß sie lebenslang professioneller Hilfe bedürfen. Transsexuelle verdienen Mitleid und Zuwendung. Sie zu behandeln ist sehr anspruchsvoll und erfordert viel Erfahrung, Empathie und Geduld – eine Therapie, die deren Leid wirklich beseitigt, gibt es in den allermeisten Fällen nicht, auch wenn heute partielle therapeutische Anpassungen der äußeren Geschlechtsmerkmale möglich sind.

Transsexuelle Menschen sind Opfer der Genderideologie, die das berechtigte Anliegen der rechtlichen Gleichheit aller Menschen in den letzten 60 Jahren usurpiert und pervertiert hat. Wie ist das abgelaufen? Im 19. Jahrhundert wurden Christentum und metaphysisches Denken durch Rationalismus und zwei wesentliche neue, säkulare Heilslehren ersetzt: Liberalismus und Marxismus. Beide Ideologien hatten die Emanzipation der Menschen zum Ziel, allerdings mit verschiedenen Ansätzen und auch für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen.

Mit Nietzsche wurde der Rationalismus im 20. Jahrhundert selbst in Frage gestellt, vor allem durch Georges ­Bataille und Martin Heidegger, dann ab den späten 1960er Jahren durch deren französische Schüler wie Michel Foucault und Jacques Derrida. Für Derrida ist unser Denken „phallogozentrisch“ von Machtstreben geprägt. Dieses „postmoderne“ Denken ist antirationalistisch und pseudo­marxistisch und pseudoemanzipatorisch: Es gibt vor, „herrschaftskritisch“ zu sein, doch wird es selbst zu einer Ideologie der Unmenschlichkeit, indem es die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens angreift.

Die Genderideologie, die philosophisch sehr erfolgreich von Judith Butler vorgetragen wird, verdeutlicht dieses Problem. Nach der erfolgreichen Emanzipation der Frau durch rechtliche und wirtschaftliche Gleichberechtigung und ihre chemisch induzierte reproduktive Entfunktionalisierung und dem Ende der Klassenkampfideologie suchten Westmarxisten nach dem nächsten „Subjekt der Geschichte“. Sie fanden es unter Rückgriff auf ältere Formen des Partikularismus in Form zahlreicher Minderheiten, wodurch die „Politics of Identity“ entstanden.

So gerieten neben zahlreichen anderen Minderheiten auch Transsexuelle in das Fadenkreuz postmodernen Schreibens. Charakteristisch dafür ist eine maßlose Selbstüberschätzung menschlicher Möglichkeiten mit einer antirationalen Leugnung der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. So behauptet Butler, daß das Geschlecht eine gesellschaftliche Zuweisung sei und es möglich sei, daß sich jeder Mensch für sein Geschlecht frei selbst entscheide. Scheinbar gelingt dadurch eine große Befreiung, die totale Emanzipation: Der Mensch kann sich nicht nur von seiner sozialen Herkunft emanzipieren, sondern auch radikal von seiner genetischen Ausstattung. Transsexuelle sind bei ihr keine Kranken mehr, sondern Vorreiter der totalen Emanzipation.

Transsexuelle werden zu ihrem Schaden entpathologisiert, so daß ihr Leid nicht mehr verstanden wird. In einer wirtschaftlichen Krise sind sie eindeutig schlechter gestellt als heute, weil die Mittel zu ihrer Behandlung dann „guten Gewissens“ reduziert werden. 

Selbstverständlich ist aus Sicht dieser Leute Sexualität auch vollständig von Reproduktion entkoppelt. Im Stil des postmodernen Antirationalismus verleugnen Butler und ihre Anhänger die Erkenntnisse der Biologie zur Sexualität.

Wird das biologische Geschlecht für irrelevant erklärt und postuliert, man könne sich sein Geschlecht frei wählen, ergeben sich drei Opfergruppen: Transsexuelle, sozial schwache Frauen sowie Familien.

1. Transsexuelle werden zu ihrem Schaden entpathologisiert, so daß ihr Leid und ihre Hilfsbedürftigkeit nicht mehr verstanden werden. In einer wirtschaftlichen Krise sind sie dann eindeutig schlechter gestellt als heute, weil die Mittel zu ihrer Versorgung und Behandlung dann „guten Gewissens“ reduziert werden – ihr Krankheitsstatus ist dann ja schon vorher wegdefiniert worden. Dieses Phänomen kennen wir beispielsweise aus der sogenannten „Inklusionspolitik“, einer Sparmaßnahme zu Lasten geistig Behinderter.

2. Sozial schwache Frauen werden heute in den Einrichtungen Opfer transsexueller Gewalttäter, in denen sie Schutz vor männlicher Gewalt suchen. Dieses Problem steht in enger Beziehung zur skandalösen Verdrängung der sexuellen Gewalttaten insbesondere islamischer Migranten. Auch hier werden sozial schwache Frauen zu Opfern, weil Diskurs und Wahrnehmung durch pseudo­linke Politische Korrektheit derart verzerrt sind, daß Täter zu Opfern stilisiert und Menschen, die sich für die Opfer engagieren, als „Nazis“ bezeichnet werden. Man erkennt hier sehr gut die Folgen der Dematerialisierung der Linken seit etwa 1970 und ihrer desolidarisierenden Fokussierung auf Opferpartikularismus.

3. Die dritte Opfergruppe ist die traditionelle, monogame Familie, das Fundament der westlichen Zivilisation. Ohne diese Form der Vergemeinschaftung hätte es nie zu der für den Durchbruch von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie notwendigen Trennung von Privat- und Staatssphäre kommen können – was man gut durch den Kontrast zur islamischen Welt erkennt, die polygame Sippen als Vergemeinschaftungsmodell nutzt und daher nie über das Stammesmodell der Vergesellschaftung hinausgekommen ist, daher keine Rechtsstaatlichkeit und keine Demokratie kennt.

Doch für linkes Genderdenken spielt die Familie keine Rolle als zivilisatorische Kraft, allenfalls als Ort der patriarchalischen Unterdrückung. Daher setzen sich Gender- und Sexualtheoretiker einerseits für die Rechte von Minderheiten wie Transsexueller oder Homosexueller ein, andererseits rechtfertigen sie die neosexuelle Revolution, Abtreibung und sequentielle Kurzpartnerschaften. Ergeben sich dabei Kinder, sollen die mit wechselnden Bezugspersonen aufwachsen. Der dabei verursachte seelische Schaden der Kinder wird ausgeblendet, denn die hedonistische Selbstverwirklichung der Eltern und ihrer wechselnden Partner steht über allem.

Doch wer trägt nach wie vor die Last der Reproduktion und der Wertschöpfung? Hart arbeitende Männer und Frauen, die Broterwerb und Kindererziehung leisten. Die Gender­ideologie erzeugt im Namen von Emanzipation und Gleichheit immer mehr Opfer und neue Ungleichheit. Doch Linke lernen nichts daraus. Warum? Weil für sie die Politik den Glauben ihrer Vorväter ersetzt hat. Das ist ein dogmatischer, unfreier Glauben, den man nicht hinterfragt. Anders als die „Freiheit eines Christenmenschen“ (­Luther), in dessen Glauben Zweifel vorgesehen ist.






Johannes ­Eisleben, Jahrgang 1971, ist Mathematiker und arbeitet als Systeminformatiker. Er publiziert auf dem Portal ­achgut.com sowie in der Zeitschrift Tumult. Mit seiner Familie lebt er bei München. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Kulturpessimismus und das weihnachtliche Erlösungsversprechen („Die Alternative“,   JF 52/19–1/20).

Foto: Leiden an der eigenen Persönlichkeitsstörung: Transsexuelle Menschen – und nicht nur sie – sind Kollateral-schaden der Gender­ideologie, die das Anliegen der rechtlichen Gleichheit aller Menschen in den vergangenen 60 Jahren usurpiert und pervertiert hat.