© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Der Trommler für die Grüne Insel
Roger Casements Versuch, in Deutschland irische Freiwillige für den Unabhängigkeitskampf zu rekrutieren
Walter T. Rix

Am 31. Oktober 1914 erschien der irische Patriot Roger Casement in Berlin und löste damit eine nicht geringe Verwirrung von Regierung und Außenministerium aus. Wie sollte man einem Mann begegnen, der während des Krieges gegen England der britischen Seite zugeschrieben wurde und der zudem ein ranghoher Diplomat seiner Majestät gewesen war?

Der unerwartete Ankömmling war auch keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Als Vertreter einer Untersuchungskommission hatte er die Greuel der belgischen Kolonialpraxis im Kongo öffentlich gemacht. Nahm man das in England noch hin, weil man in der belgischen Kolonialpolitik eine gewisse Konkurrenz sah, so war 1910 die Offenlegung der Zwangsarbeit im peruanischen Amazonasgebiet, die mit britischem Kapital betrieben wurde und in der Konsequenz zur Ausrottung der Indios führte, schon schmerzhafter. Verläßt man in England jedoch die politische Spur, so wird man durch Nobilitierung zurückgeholt: Aus Roger Casement wurde Sir Roger, Knight of the Empire.

Der Ire erwies sich hingegen als störrisch und war nicht bereit, sich den damit verbundenen Erwartungen zu unterwerfen. 1913 schied er auf eigenen Wunsch aus dem diplomatischen Dienst aus und verschrieb sich fortan dem Kampf für die Freiheit Irlands. Das patriotische Verlangen führte ihn zunächst in die USA, wo er mit Unterstützung des nationalistischen Bundes Clan na Gael Spenden für sein Vorhaben sammelte. Gleichzeitig nahm er Kontakt mit dem damaligen deutschen Botschafter Franz von Papen und dem Militärattaché auf. Wie er dem deutschen Kaiser in einem Memorandum vom 21. August 1914 erklärte, wären unter den zu dieser Zeit in deutschem Gewahrsam befindlichen britischen Soldaten etwa 35.000 bis 40.000 Iren. Aus ihnen wolle er eine Irische Brigade rekrutieren. Da er auf einer Pressekonferenz außerdem verkündet hatte, im Kriegsfalle würden die Iren auf seiten Deutschlands stehen, hatte er alle Brücken abgebrochen.

Die Waffenunterstützung aus Deutschland kam nie an

Die Reise über den Atlantik mit dem norwegischen Schiff „Oskar II“ und dann weiter über Norwegen und Schweden nach Berlin war ein Husarenritt. Casement trat die Reise als „Amerikaner“ unter dem Namen James E. Landy an. Das Schiff wurde von einem englischen Prisenkommando aufgebracht und drei Tage lang im Hebridenhafen Stornoway auf den Kopf gestellt, ohne daß man die wahre Identität Casements entdeckte. In Christiania, dem heutigen Oslo, meldete sich Casement unverzüglich bei dem deutschen Gesandten, Alfred Graf von Oberndorff. Dieser erkannte jedoch die Bedeutung des unverhofften Besuchers nicht und arbeitete den Fall nach Dienstvorschrift ab mit dem Ergebnis, daß sich der englische Geheimdienst sofort auf die Spur Casements setzte. Hier zeigte sich der Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen Geheimdienst. Die deutsche Sektion von III b unter Oberstleutnant Walter Nicolai verstand sich als militärische Einrichtung und trennte Aufklärung von Auswertung und war entsprechend schwerfällig. Für die Engländer war der Geheimdienst dagegen ein politisches Instrumentarium. Für sie bildeten beide Bereiche eine Einheit, wodurch sie wesentlich geschmeidiger und vor allem politisch effektiver waren.

Die Reichsregierung begegnete Casement unschlüssig bis hilflos. Dennoch gab sie auf sein Drängen hin am 24. November 1914 eine offizielle Erklärung zur Irlandfrage heraus, die deutliche Sympathien für das Anliegen der Iren bekundete. Berlin als Stadt vermochte Casement, der das imperiale London im Kopf hatte, nicht zu beeindrucken: „Berlin ist nicht imposant … Es ist außerordentlich gut instand gehalten und sauber; es hat keine stolzen Bauwerke, aber sie sind gediegen und gut gebaut. Die Straße Unter den Linden enttäuscht, frei herausgesagt“, notierte er in seinem Tagebuch. Betreut wurde er in einem nicht spannungsfreien Verhältnis von Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann und Georg Graf von Wedel, beides gute preußische Beamte, die jedoch in der internationalen Diplomatie keine glückliche Hand hatten. So wurde zum Beispiel Zimmermann mit seiner Depesche vom Januar 1917, in der er ein Bündnis mit Mexiko und Japan vorschlug, ein Opfer des englischen Geheimdienstes, der die Depesche dechiffrierte und die internationale Empörung über diesen Vorschlag ausnutzte, um den Kriegseintritt der USA zu beschleunigen.

Mit Verwunderung nahm Casement die begrenzten Fähigkeiten im Auswärtigen Amt zur Kenntnis und führte dies darauf zurück, daß es sich um die zweite Garnitur handelte, da die Fähigen offensichtlich an der Front stehen würden. In seinem Tagebuch vermerkt er spöttisch: „Aber die wirklichen deutschen Diplomaten sind nicht im Auswärtigen Amt, sondern in der deutschen Armee und Marine. Die Köpfe des Landes und seine besten Charaktere sind notwendigerweise dort und die Zivilgewalt kann mit einem weniger anziehenden Köder unter der geringeren Intelligenz fischen gehen.“

Erst nach einiger Zeit dämmert es ihm, daß es die erste Garnitur war, die die frontferne Stellung hielt. Erstaunt zeigt er sich auch über die Geschwätzigkeit der adeligen Schicht im Auswärtigen Amt. Während draußen Schlangen nach Lebensmitteln anstehen, trifft man sich laufend in den vornehmsten Restaurants und Hotels von Berlin, um zu dinieren. Dabei bespricht man nicht nur lebhaft die Trivia dieser sozialen Schicht, sondern auch dienstliche Angelegenheiten, die die gespitzten Ohren eines unerwünschten Zuhörers interessierten. Und noch eines fällt ihm als irischem Beobachter auf: die Zahl der Beamten im Auswärtigen Amt, die mit einer Engländerin verheiratet sind, erscheint ihm erstaunlich hoch. Mit der Macht der Ehefrau zwangen diese ihre Loyalität den Ehemännern auf. Vielleicht registrierte er das als Ire zu empfindlich, aber das AA schien ihm geradezu von einem Geist der Englandverehrung durchzogen zu sein. Und so fragte er sich, wie entschlossen die deutsche Haltung gegenüber England eigentlich war.

In den Gefangenenlagern von Limburg und Zossen wollte es nicht gelingen, eine irische Truppe auszuheben. Es blieb bei einer Handvoll Freiwilliger. Die deutsche Seite zögerte, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Am 18. Dezember 1914 verhandelte Casement mit Reichskanzler Bethmann Hollweg. Dieser hielt zwar nichts von dem Plan, billigte ihn aber schließlich doch. Jetzt wollte man Casement mit 52 irischen Freiwilligen zur Verstärkung des sich anbahnenden nationalen Aufstands auf die Grüne Insel schicken. Aus Verantwortung gegenüber diesen Männern meinte Casement jedoch, zuerst müsse er in Irland anlanden und die Situation überblicken, ehe er die Freiwilligen nachkommen lassen könnte.

Bereits kurz nach seiner Ankunft in Berlin suchten ihn Ahnungen heim, daß die Rückkehr nach Irland seine Vernichtung sein würde. Doch wollte er seinen Weg bis zu Ende gehen, um seinem Land ein Erlösungsopfer zu bringen. Als ihn ein deutsches U-Boot vor der Küste von Tralee absetzt und das als Norweger getarnte deutsche Schiff „Aud“ (eigentlich „Libau“) mit russischen Beutewaffen vergeblich auf ihn wartet, nimmt ihn der englische Geheimdienst, der bestens orientiert war, sogleich in Empfang. Die „Aud/Libau“ wird von der englischen Marine in die Hafeneinfahrt von Queens-town dirigiert, wo sie sich selbst in die Luft sprengt.

Der anstehende Prozeß in London löste eine Welle von Sympathie für den Patrioten aus. Da entdeckte auf der Höhe der Sympathiewelle Sir Basil Thomson, der eine hohe Stelle bei Scotland Yard und im englischen Geheimdienst innehatte, plötzlich die sogenannten „Black Diaries“, in denen Casement von unappetitlichen homoerotischen Eskapaden berichtete. Bis heute ist die Echtheit des Tagebuchs umstritten, insbesondere da man dem Entdecker Fälschungen in einem anderen Falle nachweisen konnte. 

Die Welle der Sympathie brach völlig zusammen, nur der Schotte Arthur Conan Doyle und der Ire George Bernard Shaw, der bereits in seinem Theaterstück „John Bulls andere Insel“ (1904) die irische Frage politisch nicht korrekt dargestellt hatte, standen bis zuletzt zu Casement. Dieser wurde wegen Hochverrats verurteilt und am 3. August 1916 gehängt, da er adelig war – mit einer Seidenschnur. Was G. B. Shaw vorausgesagt hatte: Er wurde zusammen mit 15 anderen Rebellen, die nach dem Osteraufstand exekutiert wurden, zum Märtyrer der irischen Freiheitsbewegung. In dem Gedicht „The Ghost of Roger Casement“ des großen irischen Poeten William Butler Yeats findet das Opfer des irischen Patrioten seinen Widerhall.  Die drei Strophen enden mit dem Refrain: „The Ghost of Roger Casement/Is beating on the door.“