© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Der Sieg der Hoffnung
Vom schlesischen Bürgermilieu in die ostfriesische Flüchtlingsbaracke: Der Schriftsteller Wolfgang Bittner über ein fast autobiographisches Schicksal
Rolf Stolz

Wolfgang Bittner, 1941 im schlesischen Gleiwitz geboren, jetzt in Göttingen wohnhaft, ist ein renommierter Schriftsteller mit einem vielfältigen und umfangreichen Lebenswerk. Bei aller innerlichen Unabhängigkeit hat der promovierte Jurist sich stets der politischen Linken verbunden gefühlt und dies hat auch seine Arbeit im gewerkschaftlichen Verband Deutscher Schriftsteller (VS), dessen Bundesvorstand er von 1997 bis 2001 angehörte, geprägt. Um so bemerkenswerter ist sein Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“, der über alles Autobiographische hinaus ein gültiges Bild des deutschen Ostens der Kriegszeit und des Nachkriegswestens entwirft. Auch wenn das Buch mit der Erwähnung des deutschen Vormarsches 1942 Richtung Stalingrad beginnt, handelt es zunächst von einer behüteten Kindheit ohne Bomben und Hunger. Das Kind, die Zentralfigur des Romans, wächst heran in einer bürgerlichen Familie Schlesiens und wird mit ihr nach 1945 hinabgeschleudert in eine Barackenexistenz am Rande der Gesellschaft.

Er nimmt für Erniedrigte und Beleidigte Partei

In dem Spannungsbogen zwischen verblendeten Parteigängern der Nationalsozialisten, Opportunisten, Feiglingen, Schwankenden und Widerständlern zeichnet Bittner ein Panorama der „menschlichen Komödie“ im Kindheitsschlesien wie auch in Ostfriesland, der neuen Ersatzheimat des Heranwachsenden. Die Wahrheit sucht er dabei in den Tatsachen – nicht in den Ideologien und ihrer Legendenbildung. Er ergreift Partei für das Recht, für die Menschen – und kritisiert konsequenterweise jene Herzverfetteten im „Goldenen Westen“, deren Allergien gegen die lästigen Flüchtlinge, gegen die Ost- und Mitteldeutschen 1945 ebenso wie 1990 das blanke Gegenteil von patriotischer Solidarität offenbarten. Erst recht steht dieser im besten Sinne humanistische Schriftsteller in diametralem Gegensatz zu den allzuvielen Linken, die die Massenvergewaltigungen verdrängen und leugnen, polnisch-russisch-tschechische Verbrechen mit deutschen Verbrechen verrechnen wollen oder sogar den Massenmord verherrlichen („Bomber Harris, do it again!“). 

Es verlangt große Kunst, aus der wirren Fülle persönlichster Erinnerungen und geschichtlicher Ereignisse die klaren Konturen und stimmigen Entwicklungslinien herauszuarbeiten, die ein gelungenes Roman-Kunstwerk auszeichnen. Wolfgang Bittner hat sich dafür entschieden, sich einzureihen in die große Tradition des europäischen poetischen Realismus, fernab von klassizistischer Kühle wie auch von romantischen Phantasmagorien und Sprachspielereien. 

Diesem Autor ist es wichtig, sein Bild der geschichtlichen Zusammenhänge zu vermitteln, zu unterrichten über seinen Blick auf Ereignisse und Personen. Denjenigen Lesern, die sich den Verfasser als unterhaltsamen, politisch neutralen Anti-Pädagogen wünschen, wird das allzu konservativ und wenig trendgemäß erscheinen. Parteinehmend für die Erniedrigten und Beleidigten verzichtet Wolfgang Bittner bewußt sowohl auf die Neutralität des kalten Beobachters wie auf nebelhafte Unerklärlichkeiten. Sein Ziel ist, den Überlebenskampf seiner Protagonisten ebenso zu dokumentieren wie die Schrecken der Welt. Aber gerade daraus leitet er den Sieg der Hoffnung ab.

Am Ende des Buches ist aus dem Kind ein herangereifter Junge geworden, der ohne Befehle, Schikanen und Angst über die Felder in einen Wald läuft: „Er gehört sich, ist frei und unabhängig. Um ihn her der herrliche, der duftende, blühende Wald. Und alles, alles ist gut.“

Wolfgang Bittner: Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen. Ein deutsches Lebensbild. Roman. Zeitgeist Verlag, Höhr-Grenzhausen 2019, gebunden 351 Seiten, 21,90 Euro