© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Uns gibt es auch noch …
In Zeiten der Krise: Wie sollte sich eigentlich die politische Opposition verhalten?
Jürgen Liminski

Der wohl berühmteste Satz des Rechtsphilosophen Carl Schmitt bleibt unheimlich aktuell: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Der Souverän ist das Volk, das diese Entscheidungsmacht auf seine gewählten Vertreter überträgt, befristet freilich, und diese haben im Rahmen der Verfassung diese Macht in Not- oder Kriegszeiten im Namen des Volkes auszuüben. Seit drei Wochen geschieht das schleichend. Grundrechte werden eingeschränkt, es herrscht de facto Ausnahmezustand. Souverän wirkt die politische Klasse allerdings nur mit einigen Ausnahmen. 

Das liegt an zwei Umständen. Zum einen ist man sich in der Exekutive nicht immer einig, handlungsstarke Besonnenheit im Föderalstaat sieht anders aus. Es kann nicht sein, daß man wegen der aufkommenden Ängste nach der Devise Talleyrands verfährt: Dort geht mein (bayerisches) Volk, ich muß ihm hinterher, ich bin sein Führer. Ein abgestimmtes Vorgehen ist vielleicht mühsam und nicht so publikumswirksam, aber auf Dauer effektiver. 

Diese Abstimmung sollte auch die Opposition mit einbeziehen und zwar nicht nur über den Bundesrat. Das wird aus parteitaktischen Gründen noch nicht einmal in Erwägung gezogen. Das allerdings liegt nicht nur an der Exekutive in Bund und Ländern, es liegt auch an der Opposition selbst. Wie soll sie sich verhalten? Hat sie überhaupt ein Recht auf Mitbestimmung in Notzeiten wie dieser?

Das Grundgesetz sieht einen Ausnahmezustand wie in Frankreich, Italien oder Spanien nicht vor. Bund und Länder agieren derzeit auf Basis des Infektionsschutzgesetzes, das es erlaubt, Grundrechte teilweise außer Kraft zu setzen. Das Verfahren ist eine Art Premiere, man berät über Video-Konferenzen und stimmt (sich) ab. 

In die Beratungen fließen auch mediale Beobachtungen und das Wogen der öffentlichen Meinung ein. Hier wäre eine Chance für die Opposition. Sie nimmt zwar nicht als solche an den Beratungen teil, kann aber über die Medien ihre Stimme erheben – in Talkshows und auch über die sozialen Netzwerke. 

Sicher, man kann sich über die leise Panik, die vor allem in öffentlich-rechtlichen Kanälen mit subtilen Superlativen („das ganze Land“, „wir alle, ohne Ausnahme“, „Ausgangssperre – schleunigst, am besten jetzt, sofort“) verbreitet und erzeugt wird, aufregen. Es nützt nichts. Die Chance der Opposition liegt nicht in der Kritik allein.

Das schürt nur die Angst. Angst aber lähmt den Verstand, bei Politikern und Bürgern gleichermaßen. Die Kritik muß konstruktiv sein. Sie muß Lösungen bieten und Zuversicht erzeugen. Dann wird sie gehört. Und einer Opposition, die sich in Krisenzeiten als kritisch-konstruktiv erweist, wird man in Normalzeiten die Regierungsgeschäfte anvertrauen. 

Beispiel Großbritannien: Churchill wurde nach dem Krieg abgewählt, obwohl er ihn gewonnen hatte. Und auch George Bush senior nutzte der Sieg im Irak nicht, er wurde abgewählt. Krisenzeiten sind Bewährungszeiten. Die Bewährung liegt indes nicht im Protest. Und auch nicht im betreuten Denken oder im Rückgriff auf alte Themen, sondern vor allem in der analytischen Vorausschau.

Wenn etwa der Grünen-Chef Robert Habeck vorschlägt, Hotel-und Restaurantbesitzer sollten die Krisenzeit nutzen, ihre alten Ölheizungen durch ökologische Technologien zu ersetzen, dann fragt sich der Bürger: Woher sollen die verzweifelten Hoteliers in ihren Liquiditätsengpässen das Geld hernehmen, um außer den laufenden Ausgaben auch noch Investitionen zu tätigen? Für manche Grüne kommt der Strom eben doch nur aus der Steckdose. 

Zweites Beispiel: AfD-Chef Alexander Gauland weist in einer Pressemitteilung darauf hin, die jetzige Krise zeige „mit erschreckender Deutlichkeit, daß einzig und allein der starke, handlungsfähige, demokratische Nationalstaat eine verläßliche Größe sein kann“. Dies zu fordern, sei „nicht radikal, sondern vernünftig“. Europäische Zusammenarbeit sei „im Idealfall eine gute Ergänzung zum Nationalstaat“, könne diesen jedoch nie ersetzen.

Das ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter, klingt sogar etwas nach Rechthaberei. Konstruktiv wäre es, diesen Gedanken fortzusetzen und darauf hinzuweisen, daß Europa sich vor der zweiten Corona-Welle absichern muß, indem es die gemeinsame Außengrenze gegenüber Nordafrika und Nahost absichert. Es kann nicht sein, daß in Europa Grenzen geschlossen werden und in München oder Köln volle Flieger mit hustenden Iranern oder Libanesen landen. Die zweite Welle droht spätestens, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und es immer noch keinen Impfstoff gibt.

Natürlich hat es eine Opposition, die medial geächtet und gelegentlich sogar politisch verfolgt wird, schwerer als eine im Mainstream oder in den Stromschnellen der Angst treibende Partei. Erst recht, wenn sie ideologische Angriffsflächen bietet. Aber Krisenzeiten bieten auch die Chance, aus dem Defensiv-Modus herauszukommen, indem man konstruktive Vorschläge entwickelt. Dazu bedarf es, wie der frühere Nestor der Politikwissenschaft, Wilhelm Hennis, einmal meinte, eines „circumspektiven Denkens“, alles sei zu bedenken, nichts auszulassen. Gelegentlich meinte er ironisch klagend, daß dieses Denken zum Durchwursteln verkommen sei.

Richtig ist sicher, daß in Krisenzeiten eine Verengung des Denkens auf wenige Themen kaum Aussicht auf Gehör finden dürfte. Die Exekutive hat mit dem Handlungsmonopol eine wirksame Waffe, um Krisen zu entschärfen und das Publikum zu beeindrucken. Dagegen helfen nur gute Argumente. Wenn sie aus der Opposition kommen, fördert das die Solidarität – das stärkste Argument in Krisenzeiten.