© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Wolfgang Wodarg sorgt mit der These, die Corona-Krise sei inszeniert, im Netz für Wirbel
Ist Panik der wahre Virus?
Karsten Mark

Noch vor wenigen Wochen wäre Wolfgang Wodarg kaum aufgefallen mit seiner gelassenen Haltung zur Corona-Epidemie. Ende Januar, als in China Millionenstädte unter Quarantäne standen, ließen viele Experten noch verlauten, die Gefahr an Grippe zu erkranken oder gar zu sterben sei viel größer als jene, die vom neuen Virus Sars-CoV-2 ausgehe. Fast alle, die das öffentlich behauptet haben, sind inzwischen zurückgerudert – nur Wolfgang Wodarg nicht. 

Der 73jährige Lungenfacharzt und ehemalige SPD-Gesundheitspolitiker aus Kiel behauptet weiterhin, es gebe„ keine validen Daten und Evidenz für eine außergewöhnliche gesundheitliche Bedrohung“. Seine Interviews, in denen er von „Panikmache“ und „völlig übertriebenen Maßnahmen“ der Bundesregierung spricht, sind im Internet über eine Million Mal geklickt worden. Und weil Wodarg seine Meinung partout nicht ändern will, gilt er den Genossen der SPD-Bundestagsfraktion, der er von 1994 bis 2009 angehörte, mittlerweile als „Querulant“, „Wichtigtuer“ und „Verschwörungstheoretiker“.

Wodarg hingegen sieht sich einer „Medienkampagne“, „übler Nachrede und Verleumdungen“ ausgesetzt, die seine Glaubwürdigkeit untergraben solle. „Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und politischen Vertreter wird durch angstmachende Bilder abgelenkt und mit Unterstützung konform reagierender Medien getäuscht. Wer das bezweifelt, wird diffamiert und mit geballter Macht ausgeschaltet“, schreibt er auf seiner Netzseite.

Als erbitterte Widersacher im medial transportierten Schlagabtausch stehen sich Wodarg und der renommierte Chef-Virologe der Berliner Charité Christian Drosten gegenüber, der zur Zeit auf allen Kanälen präsent ist. Der von Drosten entwickelte Test für das neue Virus sei „nicht validiert“, das übliche Genehmigungsverfahren übersprungen worden, sagt Wodarg. Er wittert dahinter den Einfluß der Pharmaindustrie: Aussagen des Robert-Koch-Instituts oder der Weltgesundheitsorganisation seien oft „durch Sekundärinteressen aus Wirtschaft und/oder Politik korrumpiert“.

Wer die Vehemenz in Wodargs Haltung verstehen will, muß gut zehn Jahre zurückschauen in die Zeit, als die „Schweinegrippe“-Pandemie die Welt in Atem hielt. Die großangelegte Impfaktion 2009/10 bezeichnete der damalige SPD-Gesundheitspolitiker, nachdem sich die vermeintlich neue Gefahr weitgehend als unbegründet erwiesen hatte, als „einen der größten Medizinskandale des Jahrhunderts“ und initiierte vor dem Europarat einen Untersuchungsausschuß zur Rolle von WHO und Pharmaindustrie. Denn am Ende der Schweinegrippe-Welle mußten in Deutschland 29 Millionen vorsichtshalber beschaffte Impfdosen vernichtet werden, es entstand ein Schaden von etwa 245 Millionen Euro. Zweifellos hat Wodarg also gute Gründe für seine Skepsis, doch das allein beweist noch nicht, daß er recht hat.