© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

„Wenn ihr jetzt nicht Einhalt gebietet ...“
Debatte um Ausrichtung der AfD: Bundesvorstand fordert die Auflösung des Zusammenschlusses „Flügel“ / Björn Höcke gibt nach
Christian Vollradt

Zu Wochenbeginn gab es dann doch ein bißchen mehr Klarheit. Auf ihrer Internetseite veröffentlichte die Thüringer AfD am Montag einen Mitgliederbrief, unterzeichnet von den beiden Landesvorsitzenden Björn Höcke und Stefan Möller. Darin heißt es, „die Aufforderung des Bundesvorstands, den ‘Flügel’ aufzulösen, und die darauf folgende Ankündigung der Auflösung haben erhebliche Unsicherheit und Unruhe in der Partei verursacht.“ Zu „Sinn und Zweck dieses Vorgehens“ wolle man an der Stelle nichts verlauten lassen, aber man versichere, daß dies „auf unseren Landesverband keine Auswirkung“ haben werde. Es war, soweit erkennbar, das erste offizielle Statement des „Flügel“-Chefs Höcke, in dem er die Absicht, die parteiinterne Gruppierung aufzulösen, bestätigte. 

Solches hatte er am vergangenen Samstag abend in dieser Deutlichkeit noch vermieden, als er im Interview mit der Onlineausgabe der Sezession betonte, der „Flügel“ betreibe schon selbst „Historisierung“. Der Beschluß des AfD-Bundesvorstands vom Vortag, mit dem die Parteispitze den „informellen Zusammenschluß ‘Flügel’“ aufforderte, sich bis zum 30. April aufzulösen, habe ihn „peinlich berührt“, denn er komme zur Unzeit. Da eben die „Historisierung“ des Flügels längst im Gange sei, der sich als Korrektiv in der AfD gegen zu große Anpassung genug bewährt habe; und nun angesichts der Beobachtung durch den Verfassungsschutz der „nervöse“ Teil der Partei den „erstbesten Anlaß“ genutzt habe, einen solchen Beschluß zu fassen. 

Unmut über den Anspruch, die Partei zu dominieren

Darin lasen die meisten eine gewisse Bestätigung der Auflösungsabsichten. Und in der Tat hieß es auf der Facebook-Seite der Organisation: „Schweren Herzens haben wir heute entschieden, daß sich die Wertegemeinschaft des Flügels gemäß dem Beschluß des Bundesvorstandes auflösen wird. Wir tun das in der Hoffnung, daß dies dem Wohl der gesamten Partei dienen wird.“ Kurz darauf twitterte eine ZDF-Journalistin, die Spitze des Flügels habe dem Sender gegenüber eine Auflösung dementiert. Man denke nur darüber nach. Und siehe da, auf einmal war auch der Facebook-Eintrag ein anderer: „Die kursierenden Medienmeldungen über einen angeblich heute gefaßten ‘Beschluß zur Auflösung des Flügels’ sind unzutreffend. Zutreffend ist, daß wir uns derzeit intensiv mit der Bewertung und möglichen fristgemäßen Umsetzung des Bundesvorstandsbeschlusses zum Flügel beschäftigen.“

War das eine Art Blinde-Kuh-Spiel mit Journalisten? Oder eine taktisch ausgeklügelte Finte, um unter den politischen Gegnern – denen innerhalb genauso wie denen außerhalb der eigenen Partei – ein größtmögliches Maß an Verwirrung zu stiften? Diese Lesart würde den Protagonisten sicherlich am besten gefallen. Doch es gibt auch eine andere; und die lautet: Im Flügel selbst herrschte Verwirrung, das ganze Hin und Her fußte vielmehr auf der eigenen Unsicherheit, was nun zu tun sei. 

Glaubt man verschiedenen Stimmen aus der Partei, auch aus dem Umfeld des Flügels, so ist die Positionierung unter den Parteirechten keineswegs so einheitlich, wie es oftmals scheint und wie es gerne nach außen transportiert wird. Daß Höcke mit der Auflösung seines Projekts („Historisierung“) bereits selbst begonnen habe, bezweifeln viele in der AfD. Tatsächlich hätten namhafte Mitglieder der Gruppierung solche Überlegungen an ihn herangetragen, jedoch ohne bei ihm Gehör dafür zu finden. Und warum ließ Höcke noch am 15. November vergangenen Jahres das Logo des Flügels auf seinen Namen und unter der Adresse seines Wahlkreisbüros als Wort-Bildmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt eintragen – und am 4. März aktualisieren? 

Und warum war kurz vor der Bundesvorstandssitzung am Freitag noch ein Schreiben per E-Mail an die „werten Unterzeichner der Erfurter Resolution und Freunde des Flügels“ gegangen, in dem sie aufgefordert wurden, ein „klares Zeichen“ an die Parteispitze zu senden: „Keine Alternative für Deutschland ohne einen starken patriotischen Flügel!“ Der Vorstand, so die Forderung, müsse von einer „existenzgefährdenden Ausgrenzung des Flügels Abstand nehmen“, hieß es in dem ohne Namen, nur mit „Der Flügel“ unterzeichneten Aufruf. 

Das war eine Gegenreaktion auf den in der AfD zuletzt stark zum Ausdruck gebrachten Unmut über den innerparteilichen Zusammenschluß. „Die verbreitete Unzufriedenheit in der Mitgliederschaft, mit dem, was so aus dem Flügel kommt, ist auf einen Punkt zugesteuert, an dem es heißt: bis hier hin und nicht weiter“, berichtete Parteichef Jörg Meuthen der JUNGEN FREIHEIT. Es seien „unzählige Mails“ aus den Reihen der AfD eingetroffen mit dem Tenor: „Wenn ihr jetzt nicht dem Flügel Einhalt gebietet, dann verlassen wir die Partei.“

Meuthen bestätigte den größer gewordenen Argwohn gegenüber der „Partei in der Partei“, die zusehends beanspruche, die eigentliche Partei „dominieren zu wollen“. Hinzu kommt der Unmut in der AfD, deren Mitglieder häufig besonders viel Wert auf die Mitspracherechte der Basis, auf direktdemokratische Mitwirkung legen, am Aufbau des Flügels, der im Unterschied zu Interessengruppen in anderen Parteien keine interne demokratische Legitimierung hatte, sondern strikt „top down“, also von oben nach unten geführt wird. Höckes führende Rolle beruhte nicht auf einer Wahl, sondern auf dem Charisma, das man ihm seitens seiner Gefolgsleute zuerkannte. Auch die sogenannten Obleute sind nicht gewählt, sondern auf Vertrauensbasis ernannt. 

Andere in der AfD bestätigen gegenüber der JF, daß die Stimmung unter Kritikern der Parteirechten schlechter geworden sei; daß das Bedürfnis zugenommen habe, endlich „Tacheles zu reden“. Daß nun ein solcher Vorstoß zur Überraschung vieler vom Vorstand des mitgliederstärksten Landesverbands Nordrhein-Westfalen kam, habe „eine neue Dynamik“ in die Auseinandersetzung gebracht, ist ein AfD-Politiker überzeugt. Vergangene Woche hatte der Düsseldorfer Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen in einem Brief an den Bundesvorstand geschrieben, daß große Teile der Mitglieder in seinem Verband den Flügel als Gefahr für die Partei ansähen. Dessen Bestrebungen in Nordrhein-Westfalen seien ein „steter Quell von Streit und personellen und organisatorischen Auseinandersetzungen“ gewesen. „Ein ‘Weiter so’ kann es nicht geben. Wir müssen die eigenen Fehler analysieren, erkennen und daraus entschiedene Konsequenzen ziehen“, forderte der Bundestagsabgeordnete. Auch ohne die jetzige Beobachtung durch den Verfassungsschutz werde die Gruppierung „zunehmend zu einer innerparteilichen Zerreißprobe“ und mache „erfolgsversprechende Wahlergebnisse in unserem Bundesland zunichte“.  

Erleichterung über         den Ausschluß Gedeons

Entsprechend eingestimmt kamen die Mitglieder des Bundesvorstands dann am Freitag in Berlin zusammen. Mehrere Stunden dauerte die teils hitzig verlaufende Debatte. Am Ende stimmten 11 der 13 Vorstände für den Antrag, wonach der Flügel sich bis Ende April aufzulösen habe. Nur Flügel-Protagonist Andreas Kalbitz votierte dagegen, Stephan Brandner aus Thüringen enthielt sich. Dem Versuch der krankheitsbedingt per Telefon zugeschalteten Alice Weidel, die Formulierung abzuschwächen („Rückbau“ statt „Auflösung“) war kein Erfolg beschieden. Der Flügel muß seine Strukturen aufgeben, es dürfen keine Veranstaltungen à la „Kyffhäuser-Treffen“ mehr stattfinden, die Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken seien einzustellen. Zudem ist Björn Höcke für die nächste Vorstandssitzung einbestellt, um sich für verbale Fehlgriffe zu rechtfertigen.

Regelrecht „gegrillt“ worden, so Teilnehmer, sei auch Brandenburgs Landeschef Kalbitz. Bei ihm ging es um den Vorwurf, er sei Mitglied der rechtsextremen, mittlerweile verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) gewesen, was er indes bestreitet (JF 13/20). Seine Vorstandskollegen forderten ihn auf, juristisch gegen die im Spiegel verbreitete Behauptung, etwa per eidesstattlicher Erklärung, vorzugehen. Träfe es dagegen zu, daß es Belege einer HDJ-Mitgliedschaft Kalbitz’ gibt, könnte seine AfD-Zugehörigkeit ohne  Parteiausschlußverfahren annulliert werden. Denn auch der frühere Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Dennis Augustin, flog aus der AfD, weil er eine später belegbare NPD-Mitgliedschaft beim Eintritt verschwiegen hatte.

Rüdiger Lucassen, der mit seinem Brandbrief den Stein entscheidend mit ins Rollen gebracht hatte, zieht eine positive erste Bilanz aus den jüngsten Entwicklungen: „Unser Land ist in einer schwierigen Lage und braucht eine AfD, die sich rasch weiter professionalisiert und politische Lösungen anbietet; nicht in zehn Jahren, sondern jetzt“, meinte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende gegenüber der jungen freiheit. Parallelstrukturen stünden diesem notwendigen Prozeß im Weg, weswegen die Auflösung des „Flügels“ ein „guter Schritt“ sei. Und Lucassen versichert: „Die AfD wird dabei auch weiterhin die Heimat des rechts-nationalen Spektrums sein. Das war bis jetzt so und wird auch so bleiben.“ 

Unterdessen hatte noch vor der vielbeachteten Vorstandssitzung am vergangenen Freitag das Bundesschiedsgericht der AfD den fraktionslosen baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon aus der Partei ausgeschlossen. Für ihn sei wegen parteischädigenden Verhaltens kein Platz mehr in der AfD, befanden die Juristen. So habe Gedeon vorsätzlich gegen die Grundsätze verstoßen, etwa indem er über die Vereinigung „Juden in der AfD“ sagte, es handle „sich um eine zionistische Lobbyorganisation, die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderläuft.“

Das nun ergangene Urteil stieß auf breite Zustimmung. „Gedeons Parteiausschluß ist ein so überfälliges wie richtiges und wichtiges Zeichen. Das lautet: Es gibt keinen Platz für Antisemiten in der AfD“, resümierte ihr Vorsitzender Jörg Meuthen.