© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Geeignet, erforderlich, verhältnismäßig
Corona-Krise: Welche Medizin hilft der Wirtschaft? Maß und Mitte dürfen auch jetzt nicht verlorengehen
Dirk Meyer

Die Devise lautet: Nicht kleckern, sondern klotzen. Sah der Haushaltsentwurf von Olaf Scholz im Dezember noch 362 Milliarden Euro vor, so wurde diese Woche ein Nachtragshaushalt in Höhe von 123 Milliarden Euro (plus 34 Prozent) beschlossen: statt schwarzer Null eine Nettoneuverschuldung von 156 Milliarden Euro, entsprechend 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die EZB plant neue Anleihekäufe in Höhe von 870 Milliarden Euro. Zusätzlich sind Corona-Anleihen in Höhe von einer Billion Euro im Gespräch.

„Blankoscheck für die Wirtschaft“

Doch viel hilft nicht immer viel. Die notwendigen Hilfen müssen nicht nur zielgenau sein, um Trittbrettfahrer und an sich bereits insolvente Unternehmen auszuschließen. Sie müssen zugleich schnell und unbürokratisch erfolgen, um an sich gesunde Firmen zu schützen. Schließlich muß der Notfall-Modus einer Aussetzung der nationalen Schuldenregeln und des Stabilitätspaktes sowie regelüberschreitender, fiskalisch-motivierter Anleihekäufe der EZB nach der Krise schnellstmöglich eine Rückkehr erlauben.

Geeignet, erforderlich, verhältnismäßig – das sind die notwendigen Kriterien staatlicher Hilfen. Die Eignung knüpft an die Verursachung der Wirtschaftskrise an. Im Gegensatz zur Weltfinanzkrise 2007/08 sind durch die Pandemie zunächst nicht die Banken, sondern der Produktionssektor betroffen. Benötigte Vorleistungen fehlen, Infektionen führen zur Schließung ganzer Betriebe, Homeoffice und organisatorische Trennungen in den Produktionsstätten erschweren die Leistungserstellung. Deshalb ist ein „Blankoscheck für die Wirtschaft“, wie ihn die Bundesregierung plant, in jedem Fall der richtige Weg.

Rückläufige oder gar vollständig fehlende Umsätze führen bei gleichbleibenden Zahlungsverpflichtungen sehr schnell zur Illiquidität. Mit einem Bürgschaftsrahmen von 400 Milliarden Euro soll die öffentlich-rechtliche KfW-Bank Überbrückungskredite für Firmen absichern. Sie werden über die Hausbanken vergeben. Als Hemmnis wird eine bereits von 50 auf bis zu zehn Prozent reduzierte Risikobeteiligung der prüfenden Bank gesehen. Sie könnte zu einer eher zögerlichen Kreditvergabe führen, obwohl die Zinssätze risikoabhängig gestaffelt sind.

Für eine Mithaftung spricht, daß die Anreize einer angemessenen Prüfung bestehen bleiben. Hinzu kommt ein schnell zu lösender Kapazitätsaufbau bei der KfW, denn hier soll neuerdings ein Gegencheck stattfinden. Man hofft, daß die Ausfälle durch die Zinseinnahmen gedeckt werden, so daß keine Kapitalunterlegung des Bundes geplant ist. Alternativ ist ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds für notleidende Unternehmen ähnlich dem Bankenrettungsfonds oder der DDR-Treuhandanstalt (1990–94) im Umfang von 100 Milliarden Euro geplant. Hier würde der Staat Firmen Geldmittel über eine Beteiligung zuführen, um diese zu einem späteren Zeitpunkt hoffentlich mit Gewinn wieder zu veräußern.

Sie käme bei Großunternehmen mit mittelfristigen Problemen in Frage, also beispielsweise für die Lufthansa. Der Vorteil: Neben der Vermögensübertragung könnte der deutsche Staat im günstigen Fall später aus den Reprivatisierungsgewinnen die Corona-Lasten gegenfinanzieren. Außerdem ist ein Kreditrahmen für Großunternehmen in Höhe von 100 Milliarden Euro freigegeben. Daneben wurden zeitlich begrenzt die Insolvenzregeln hinsichtlich der Anmeldefristen gelockert. Steuerstundungen, der Verzicht auf Verzugszinsen sowie eine Aussetzung der Kontopfändung bei Steuerschulden sind wichtige weitere Hilfen, um gesunden Unternehmen ein Überleben zu erleichtern.

Die überaus positiven Regelungen zur Kurzarbeit wurden gelockert, um bei Produktionseinschränkungen die Belegschaft halten zu können. Das Kurzarbeitergeld (60 Prozent; 67 Prozent bei Eltern) wird auch bei Quarantäne und schon ab einem Zehntel statt einem Drittel der betroffenen Belegschaft inklusive der Sozialabgaben gezahlt. Sogar „Kurzarbeit null“ – also eine 100prozentige Freistellung wie in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung – wird im Extremfall übernommen. Arbeitszeitfirmen sind inbegriffen.

Keine „Stimulus checks“ wie in den USA nötig

Das Ganze soll bis Ende 2021 gelten – die geschätzten Kosten bei 2,15 Millionen Kurzarbeitern liegen bei etwa zehn Milliarden Euro jährlich. Das Gesetz benötigte vom Koalitionsbeschluß bis zum Inkrafttreten ganze fünf Tage! Ein Ausgleich für Familien mit Kindern wegen Betreuungsausfall ist geplant. Besondere Hilfen wird es für die etwa vier Millionen Selbständigen geben. Aus einem 50-Milliarden-Solidaritätsfonds sollen Zuschüsse bis 9.000 Euro und eine Lockerung des Grundsicherungszugangs finanziert werden.

Erst in einem Zweitrundeneffekt kommt es aufgrund der Einkommensausfälle und der hohen Unsicherheit zu einem Nachfragerückgang. Dieser folgt relativ zeitnah und hoffentlich zeitlich eng befristet – hier gibt es die Unsicherheit, wann der Normalbetrieb wieder anläuft. Katastrophal wäre die Strategie der Eindämmung, wenn hierzu ein relativ langer Schließungszeitraum notwendig wird. Pauschale „Stimulus checks“ wie in den USA (1.200 Dollar pro Erwachsenen, 500 Dollar für jedes Kind) geplant, dürften für Länder mit einer funktionierenden Grundsicherung ungeeignet sein.

Denkbar wäre hierzulande die vorgezogene Aussetzung des Soli oder eine zeitlich befristete Mehrwertsteuerabsenkung – jeder Prozentpunkt würde das Konsumbudget um elf Milliarden Euro erhöhen. Sodann plant die Koalition eine Stabilisierung der staatlichen Investitionen durch Aufstockung mit zwölf Milliarden Euro auf 43 Milliarden Euro bis 2024. Bis 2030 sollen 140 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Dies dient zugleich der Modernisierung der Volkswirtschaft und schließt die offensichtlichen Investitionslücken, die auch schon vor der Corona-Krise bestanden.

Die EU-Kommission hat – gegenteiligen Ankündigungen zum Trotz – eigentlich keine großen Möglichkeiten. Ihr 37-Milliarden-Programm setzt sich aus nicht ausgegebenen Mitteln der Nationalstaaten von 7,5 Milliarden Euro und dem Zugriff auf Mittel des Strukturfonds zusammen. Nicht unwesentlich sind die Lockerung der Beihilferegelungen, um nationale Corona-Hilfen EU-konform umzusetzen. Die Aussetzung der Stabilitätsregeln – ein maximales Haushaltsdefizit von drei Prozentpunkten – ist regelkonform und geboten. Allerdings besteht gerade für die Krisenstaaten die Gefahr eines Sperrklinkeneffektes der Staatsschulden – Abbau ausgeschlossen.

Da die EZB ihr Pulver weitgehend verschossen hat, sind von ihren Maßnahmen keine positiven Wirkungen zu erwarten. Das neue 750-Milliarden-Anleiheankaufprogramm ist als nicht vertragskonformer fiskalischer Eingriff zuLasten der bereits jetzt den Marktzugang verlierenden Krisenstaaten Italien und Griechenland geschuldet – und es gibt wenig Hoffnungen für den Patienten Eurozone.





Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.