© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Frisch gepresst

Thomas Mann. Die Reichstagswahlen im September 1930 bescherten der NSDAP einen Erdrutschsieg. Vier Wochen später reagierte Thomas Mann darauf mit seiner „Deutschen Ansprache“, einem „Appell an die Vernunft“, der nach dieser „sensationellen Wahlkundgebung des deutschen Volkes“ den gebeutelten bürgerlichen Parteien zum Bündnis mit der Arbeiterbewegung, SPD und KPD, riet, um Adolf Hitlers Bewegung noch zu stoppen. Der vom Konservativen zum „Demokraten“ geläuterte, damals frisch gekürte Nobelpreisträger glaubte zu diesem Zeitpunkt felsenfest daran, die NSDAP sei „ein Spuk, der bald vergehen wird“, die Furcht vor ihr sei „übertrieben und unnötig“. Das ist nur einer der zahllosen realitätsblinden Kommentare von Literaten und Publizisten zur Bürgerkriegslage gegen Ende der Weimarer Republik. Horst Gundlachs faktensatte Rekonstruktion des gewaltigen Medienechos auf Manns „Ansprache“ spiegelt die ganze Bandbreite dieser Intellektuellenversagens in politicis wider. Sie sei all jenen zur Auffrischung ihres zeithistorischen Abiturwissens empfohlen, die heute, wie der Feuilletonist Thomas Assheuer (Die Zeit vom 13. Februar), eine nahende „Machtergreifung“ halluzinieren und ausgerechnet die Autorität Thomas Mann beschwören, um die linkslastige CDU/CSU zu mahnen: „Nie wieder eine Koalition mit der völkischen Rechten.“ (wm) 

Horst Gundlach: Thomas Mann und Rudolf Ibel. Ein Widerstreit um den politischen Diskurs in Deutschland. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2019, gebunden, 413 Seiten, 52 Euro





Rußlanddeutsche. Vom kommunistischen Regime der Sowjet-union deportiert, in Arbeitslager gesteckt und als „Faschisten“ verfemt, vom Nachkriegsdeutschland oft vergessen: In seinem Buch widmet sich Wendelin Schlosser anhand von Gedichten und Kurzgeschichten dem Schicksal der Rußlanddeutschen. Der Autor verbrachte die ersten drei Jahre seiner Kindheit im sibirischen Exil. „Mein Verbrechen war, Deutscher zu sein“, benennt der Schriftsteller den Umstand, der ohne sein Dazutun seine Familiengeschichte bestimmt hat. Eindringlich und ungeschönt schreibt der Autor über die Geschichte der Rußlanddeutschen, redet der heutigen Bundesrepublik ins Gewissen und klagt die entwurzelnden kosmopolitischen Ideale einer globalisierten Welt an. (hr)

Wendelin Schlosser: Die Deuschen unter dem Damoklesschwert. August von Goethe Literaturverlag, Frankfurt am Main 2019, broschiert, 316 Seiten, 18,80 Euro