© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Corona-Krise
Wenn die Agenda wechselt
Dieter Stein

Wie lange ist dieser Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten, in den sich unsere Gesellschaft, fast alle Industriestaaten begeben haben? Zunächst fügten sich die Bürger besonnen in die Einschränkungen, erleben wir einen beispiellosen Gemeinschaftssinn und Konsens, die Corona-Krise durchzustehen. Umfrageinstitute messen deutlich steigende Werte für die Amtsinhaber. In Deutschland legt die Kanzlerpartei CDU/CSU, Anfang des Jahres noch im 20-Prozent-Keller, sprunghaft zu, während Grüne, AfD und FDP verlieren. Mit jedem Tag, an dem das öffentliche Leben und erhebliche Teile des Gewerbes stillstehen, überholt die konkrete Angst vor dem wirtschaftlichen Absturz jene abstrakte, sich an einem Virus zu infizieren.

Wie hoch wird der wirtschaftliche, soziale Preis, den wir für die Bekämpfung der Ausbreitung von Sars-CoV-2 bezahlen müssen?  Wie das Virus sich pandemisch über die Welt ausbreitete, stecken sich analog Volkswirtschaften mit einer weltweiten Rezession gegenseitig an. Wer die Bilder von den Millionen in ihre Dörfer zurückflutenden Wanderarbeitern in Indien sieht, ahnt, welche dramatischen Folgen der Wirtschaftseinbruch in den Schwellenländern haben wird, wenn Nachfrage und Aufträge aus Europa und den USA ausbleiben.

In der Corona-Krise wechselten Regierungen nach einer anfänglichen Phase lethargischer Passivität in den Modus drakonischer Maßnahmen. In Föderalismus, Marktwirtschaft, Eigentums- und Grundrechte wurde massiv eingegriffen. Politiker stehen in der Versuchung, im Windschatten einer Mega-Krise Entscheidungen durchzusetzen, die sie unter normalen Umständen nicht durchbekämen. Zum Beispiel Euro-Bonds. Eine Weile hat der Krisenmanager das Recht in der Not auf seiner Seite, um möglicherweise Schlimmeres abzuwenden. Doch die Zeit läuft irgendwann auch gegen ihn.

Der FDP-Politiker Marco Buschmann warnte jetzt in einem Aufsatz im Spiegel vor einer drohenden „Revolution der Mittelschicht“, wenn im Zuge der Corona-Bekämpfung die Verhältnismäßigkeit der Mittel abhanden kommt und durch den Wirtschaftsstillstand Millionen Arbeitsplätze verlorengehen, Zehntausende von vor allem Klein- und Mittelständlern vor dem Nichts stünden. Dies deckt sich mit den ahnungsvollen Prognosen von Markus Krall, der eine neue „bürgerliche Revolution“ kommen sah und diese als Titel für sein vor dem Ausbruch der Corona-Krise abgeschlossenes Buch wählte.

Neben der Wut über die Folgen der erzwungenen Wirtschaftskrise wird sich die Wut darüber gesellen, weshalb die Regierung trotz vielfältiger Warnungen die Vorsorge vernachlässigt, Reserven aufgezehrt hat – und ob die Virologen und Epidemiologen, deren Ratschlägen die Regierung folgt, die Gefahren möglicherweise zunächst unter- und schließlich übertrieben haben. Wer kann das derzeit ermessen?