© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

„Wir können klimaneutral leben“
Wirtschaftspolitik: Wenige Sachverständige als Dauergäste in ARD und ZDF / Alles Dudenhöffer?
Dirk Meyer

Die Rheinische Post nannte die drei Professoren kürzlich „Das virologische Terzett“: Christian Drosten (Charité Berlin), Hendrik Streeck (Uni Bonn) und Alexander Kekulé (Uni Halle-Wittenberg), Urenkel von August Kekulé, dem Nestor der organischen Chemie in Deutschland. Angesichts der Corona-Pandemie sind die drei Professoren seit Wochen medial präsent und ihre Expertise ist auch bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gefragt. Denn als Bankkaufmann und Politologe kann der CDU-Politiker – anders als die Amtskollegen Olivier Véran (Frankreich) oder ?ukasz Szumowski (Polen) – nicht auf eigenes medizinisches Fachwissen zurückgreifen.

Pawlowsche Reflexe bei den Modethemen

Aber schon lange vor Covid-19 sind zu bestimmten Themen in deutschen Nachrichten- und Talksendungen meist dieselben Gesichter zu sehen: Marcel Fratzscher (DIW Berlin, EZB-nah, Verteilungsgerechtigkeit), Claudia Kemfert (DIW Berlin, Energiewende), Ottmar Edenhofer (PIK, Klimawandel) oder Everhard Holtmann (ZSH, Krise der Demokratie). Hans-Werner Sinn wurde inzwischen von seinem Münchner Ifo-Nachfolger Clemens Fuest (LMU, Marktwirtschaft) der Rang abgelaufen, und statt dem 75jährigen Hajo Funke (OSI Berlin) wurde gefühlt der 34jährige Matthias Quent (IDZ Jena/Amadeu-Antonio-Stiftung) beim Thema Rechtsextremismus zum neuen Dauerexperten.

Wenn es ums Thema Auto geht, dann hat Ferdinand Dudenhöffer (Uni Duisburg-Essen) quasi Dauerrederecht. Als würde in den Redaktionen gemäß des Pawlowschen Reflexes zu einem bestimmten Thema immer nur ein bestimmter Name als Interviewpartner aufpoppen. Wie begründen die Nachrichtenredaktionen die Auswahl ihrer Gesprächspartner? Während das ZDF auf Anfrage eine Antwort schuldig blieb, soll bei den Tagesthemen (ARD) „die Frage der Fachkompetenz entscheidend“ sein. Zudem sei es wichtig, „ob es dem Interviewten gelingt, seine ‘Botschaft’ prägnant auszudrücken.“

Professoralen Sachverstand in verständliche Worte zu fassen, das ist der mediale Idealtyp. Doch diesen Hochschullehrertyp scheint es eher selten zu geben. Zwar stehen alle Wirtschaftsprofessoren in der FAZ-Rangliste der einflußreichsten Ökonomen Deutschlands 2018/19 recht weit oben. Diese unterscheidet nach den Kriterien Wissenschaft, Politikberatung, Medienpräsenz und Social Media.

Und selbstverständlich ist die Medienpräsenz der Dauergäste von ARD, ZDF & Co. in dieser Liste recht ausgeprägt. So holt Autopapst Dudenhöffer („Der Diesel ist tot“) seine „Einflußpunkte“ fast ausschließlich aus seiner gefühlten Medienstärke – also eigentlich ein Zirkelschluß: Wer medial präsent ist, wird wieder eingeladen. Das Kriterium „Wissenschaft“ ist zudem zweideutig. Es beruht auf der Anzahl der namentlichen Nennung von Kollegen in Veröffentlichungen, die auf der Basis von 190.000 Büchern und 23.000 Zeitschriften der vergangenen Jahre ermittelt wird.

Was nicht automatisch bedeutet, daß der zitierte Autor immer anerkennend erwähnt werden muß. Beispielsweise wurden Marcel Fratzscher sowohl als Forscher (Flüchtlingsstudie 2015) wie auch als DIW-Leiter (Studie zur Entwicklung der Mittelschicht in Deutschland 2016; Ablehnung des Projektes „Digitalisierung der Finanzmärkte“ durch die Leibniz-Gemeinschaft) gravierende fachliche Mängel vorgeworfen. Die Selbstvermarktung über die eigene Homepage, Twitter & Co. sowie Redner-Agenturen scheint obligatorisch und erzeugt zusätzliche mediale Professionalität – nur wer wahrgenommen wird, hat etwas zu sagen. Der Umkehrschluß gilt nicht in jedem Fall.

Beispiel Claudia Kemfert: Als Professorin für Energieökonomik und Nachhaltigkeit (Hertie School of Governance/Berlin) und DIW-Abteilungsleiterin für Energie, Verkehr, Umwelt genießt sie hohe mediale Aufmerksamkeit. Spätestens seit ihrem Beitrag „Energiewende – Mythen reloaded“ in der Zeitschrift Capital (11/19) steht sie aber unter fachlich ausgewiesenen Kollegen in der Kritik.

Kemferts vermeintlich grünes Credo wird gleich zu Beginn deutlich: „Manche Mythen halten sich hartnäckig: Die Energiewende sei zu teuer, Öko-Strom zu zappelig, die Sonne zu schwach, der Wind zu still, der Speicher zu knapp und das Netz zu löchrig. So etwa klingt das Klage-Stakkato der Energiewende-Gegner.“

Weltanschauliche Lager und Schubladendenken

Bereits 2008 machte sie mit der Behauptung Schlagzeilen: „Wir können klimaneutral leben. Wenn wir wollen, sofort! Und das für etwa 70 Cent pro Tag und Person.“ Ihre einfache Rechnung: 10,4 Tonnen pro Jahr als Durchschnitts-CO2-Ausstoß pro Einwohner multipliziert mit dem Preis für CO2-Emissionsrechte von 23 Euro pro Tonne geteilt durch 365 Tage macht 66 Cent. Aktualisiert auf heutige Werte ergeben sich 59 Cent.

Dabei wird dem ahnungslosen Leser nicht nur verschwiegen, daß der CO2-Preis politisch beeinflußt ist. Denn je mehr Emissionsrechte ausgegeben werden, desto niedriger der Preis bei gegebener Nachfrage. Zur Hälfte unterschlagen werden auch die Fördermittel des Ökostroms gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dem Stromkunden werden jährlich etwa 25 Milliarden Euro berechnet. Genannt wird nur die feste Einspeisevergütung (11,7 Milliarden Euro), nicht aber die Vergütungen nach dem Marktprämienmodell (13,9 Milliarden Euro) als Differenz zwischen dem Großhandelspreis für Strom und der anlagenspezifischen Förderhöhe bei Direktvermarktung des Ökostroms.

Schließlich haben diese Einsparungen keinerlei Auswirkungen auf den EU- und weltweiten CO2-Ausstoß. Zum einen laufen EEG und EU-Emissionshandel (ETS) parallel – was das EEG einspart, wird an Emissionsrechten für andere Europäer frei und senkt den Preis der Emissionsrechte. Zudem werden im ETS-Handelssektor nur etwa 45 Prozent der europäischen CO2-Emissionen erfaßt. Auch Öl, das hierzulande nicht verbraucht wird, senkt die weltweite Nachfrage und verbilligt den Ölpreis bei bestehendem Angebot für andere Nutzer. Last but not least: Die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Wohnen werden durch teure CO2-Vermeidungsauflagen reguliert, die in keiner Kostenaufstellung berücksichtigt werden. Dies als Seminararbeit abgegeben hieße: Nicht ausreichend!

Einseitig, unausgewogen und teilweise fachlich angreifbar: Ob die Medien generell und die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit dieser Praxis einer demokratisch-konstruktiven Debatte dienen, sei dahingestellt. Denn die offensichtliche Zuordnung der „alten Bekannten“ zu weltanschaulichen Lagern könnte den Zuschauer in seiner gefestigten Ansicht lediglich bestätigen, ein Schubladendenken befördern und im Zweifel „alternativen Fakten“ Vorschub leisten. Mehr Vielfalt könnte inspirierend wirken. Beim „virologischen Terzett“ scheint das immerhin gegeben: Die drei Professoren bieten ein größeres Meinungsspektrum als etwa bei der Energiewende in den Leitmedien präsentiert wird.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Sein neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer Verlag 2019) zeigt Analysen und Konzepte für einen Neuanfang auf.