© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

„Keinen Termin gefunden“
Handelsbranche: Nicht alle Unternehmen hadern mit der Corona-Krise / Lieferdienste wie Amazon oder Rewe sind gefragt wie nie
Paul Leonhard

Not macht erfinderisch – und geschäftstüchtig. Die großen Ketten wie Rewe, Edeka oder DM, Amazon ohnehin, aber auch zahlreiche private Post- und Paketdienstleister bieten an, als Reaktion auf die leeren Regale in den Supermärkten und die Angst der Deutschen, sich mit Corona zu infizieren, Waren des täglichen Bedarfs in Tüten, Plastikschalen oder Pappboxen auf Bestellung direkt nach Hause zu liefern, und vor allem kontaktlos. Denn der Lieferservice darf weiter arbeiten, so hat es die Bundesregierung beschlossen. Auch kleine Restaurants, Cafés und Imbißstuben nutzen die Möglichkeit, die der Gesetzgeber ihnen einräumt, und richten Abhol- und Lieferservice ein. Für ihr Überleben ist aber eine Stammklientel nötig, die diese Angebote auch nutzt.

Eine Übertragung des Coronavirus über Lebensmittel oder importierte Produkte halten die Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) für unwahrscheinlich. Allerdings sollten auch hier die allgemeinen Regeln der Hygiene des Alltags gelten. Dazu gehören regelmäßiges Händewaschen, und zwar 20 bis 30 Sekunden lang, mit einer Seife, und eine sorgfältige Zubereitung der Lebensmittel. Obst, Gemüse und Kräuter, die roh verzehrt werden sollen, müssen gründlich abgespült werden. Durch das Erhitzen der Speise kann das Infektionsrisiko weiter gesenkt werden, denn der Coronavirus ist hitzeempfindlich. Er wird beim Kochen oder Backen abgetötet.

Bleibt die Unsicherheit, ob eine an der Zubereitung der Ware beteiligte Person, die vielleicht infiziert ist, nicht auf diese direkt geniest oder gehustet hat. Nach Auskunft des BfR können die Viren auf festen Oberflächen oder auf Lebensmitteln eine Zeitlang überleben und werden erst „innerhalb von Stunden bis einigen Tagen inaktiviert“. Konkret schreibt das Bundesinstitut: Auf Kupferoberflächen halte sich Sars-CoV-2 bei starker Kontaminierung bis zu vier Stunden, auf Kartons bis zu 24 Stunden und bis zu zwei bis drei Tage auf Edelstahl und Plastik. Geht die Gefahr also nicht von der Pizza, sondern von dem umschließenden Karton aus? Auch hier raten Seuchenexperten zum gründlichen Händewaschen.

Lieferanten müssen einen Mindestabstand einhalten

Theoretisch ist es auch möglich, daß die Viren über das Besteck oder die Hände auf die Schleimhäute des Mund- und Rachenraumes oder über die Augen übertragen werden. Praktisch ist bisher keine Schmierinfektion mit Coivid-19 über diesen Übertragungsweg bekannt. Gleiches gilt für über das Berühren von beispielsweise Bargeld, Türklinken, Smartphones, Werkzeugen.

Um möglichst wenig direkten Kontakt zum Kunden zu haben, haben sich zwei Arten des Lieferdienstes durchgesetzt. Bei der einen wird das Essen im Internet bestellt und auch direkt online bezahlt. Damit scheidet auch das theoretische Risiko einer Schmierinfektion durch Banknoten oder Münzen aus. Bei der zweiten Methode liefert der Bote die Ware, stellt sie ab. Der Kunde nimmt sie, legt das Geld hin, während der Lieferant einen Mindestabstand einhält.

Während das bei der Essenbestellung gut funktioniert, ist die Nachfrage beim Lebensmittel-Online-Einkauf so groß, die Zahl der Kunden derart rasant gewachsen, daß selbst die Großen vereinzelt gar keine Bestellungen mehr annehmen. Aus Berlin berichten Kunden, daß es bei der Rewe-Bestell-App heißt: „Keine Liefertermine gefunden.“ Das Unternehmen räumte ein, daß es „vorübergehend zu Wartezeiten kommen“ könnte. Meist liegt es nicht an der fehlenden Ware, sondern an Problemen beim Lieferservice.

„Heute bestellen und morgen geliefert“ ist ein Werbespruch, der in Corona-Zeiten nur von den wenigsten Anbietern mehr gehalten werden kann. Händeringend werden überall Menschen gesucht, die per Lastenrad oder Auto Waren ausliefern. Auch die Gastronomie hat umgestellt. Partyservice war gestern, heute wird von der Pizza bis zum Fünf-Sterne-Menü frei Haus geliefert. Deswegen gibt es schon wieder Appelle, daß alle Menschen, die nicht erkrankt sind oder wegen einer möglichen Erkrankung in freiwilliger Quarantäne sind, wie gewohnt im Supermarkt, beim lokalen Lebensmittelhändler oder nahen Bäcker einkaufen gehen. Um das System zu entlasten, frische Luft zu schnappen und ein wenig Abwechslung von der häuslichen Isolation zu bekommen.

Keine Lieferung von Großgeräten mehr

Jenseits der Versorgung mit Lebensmitteln und fertigen Speisen ist der Lieferdienst allerdings zur Wüste vor den Kunden verkommen. War es bisher eine Selbstverständlichkeit, daß die bestellte Waschmaschine in die Wohnung getragen und auch angeschlossen wurde, daß neue Küchen von den Küchenspezialisten auch montiert wurden, so wird neuerdings nur noch bis zur Haustür geliefert, dann bleibt der Kunde mit seiner Ware sich selbst überlassen. So handhaben es Elektromärkte und Möbelhäuser, auch Amazon, Otto, Ikea, AO und Ostermann. Lediglich Neckermann transportiert Speditionsware bisher noch in die Wohnung, aber ebenfalls ohne Montage. Auch werden Altgeräte und Verpackungen, wenn überhaupt, nur dann mitgenommen, wenn sie transportbereit vor der Haustür stehen.

Die Spediteure könnten aufgrund der Seuchengefahr derzeit keine Servicedienstleistungen bei der Lieferung von Großgeräten mehr anbieten, heißt es bei Media-Markt Saturn. Daß das für die mitgekaufte Dienstleistung gezahlte Geld rückerstattet wird, dürfte für die enttäuschten Kunden ein schwacher Trost sein. Lieferdienste hoffen darauf, daß das Geschäft auch nach der Krise weiter boomen wird: Man werde massiv expandieren, so Frederic Knaudt, Deutschland-Chef des in Nordrhein-Westfalen aktiven Start-ups Picnic, das mit eigenen Lieferwagen Lebensmittel ausliefert: „Wir erleben aktuell einen starken Anstieg in der Nachfrage.“