© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Von der Sonntagspflicht entbunden
Abgesagte Gottesdienste: Auch die Kirchen müssen sich in der Corona-Krise umstellen
Gernot Facius

Das Coronavirus hält auch die Kirchen fest im Griff. Ostern, das höchste Fest der Christenheit, naht – doch in diesem Jahr ist alles anders als früher: die Gottesdienste abgesagt, Gemeindehäuser geschlossen, Veranstaltungen abgeblasen. Erstmals wird das Fest der Auferstehung nicht in „leibhaftiger Gemeinschaft“ (der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer) begangen. Die liturgischen Feiern müssen sich andere, digitale Verbreitungswege suchen.

Aber Messe ohne Volk, das kommt nicht überall gut an. „Die Schnelligkeit, mit der die beiden Kirchen die Segel gestrichen haben, überrascht“, kommentierte verwundert der Konstanzer Südkurier. Offenbar zählten sogar die Kirchenführer die Dienste religiöser Gemeinschaften nicht zu den Grundbedürfnissen. Der emeritierte Kurienkardinal Walter Brandmüller nannte es bestürzend, wie rat- und hilflos die Hirten der Kirche der aktuellen Lage gegenüberstünden – ein „beredter Ausdruck von Überforderung“. Ihre Anweisungen widersprächen einander und offenbarten zugleich die „eher gläubige oder weltliche Geisteshaltung“ der Bischöfe: „Hier verbietet man Mund- beziehungsweise Handkommunion, wie auch den Friedensgruß, dort werden Weihwasserbecken gelehrt.“ Es gelte nun, zwischen rein säkularem Pragmatismus und naiver Gläubigkeit, beide Extreme recht gewichtend, die rechte Mitte zu finden. Vor dieser Aufgabe kapitulieren offenbar viele Gemeinden.

Theologe: Kirche ist in der Moderne angekommen

Der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing (Limburg), entband die Katholiken ausdrücklich von der Sonntagspflicht. Der in Wien lehrende Theologe Jan-Heiner Tück zeigt einerseits Verständnis für den Verzicht auf öffentliche religiöse Feiern, verschweigt aber andererseits nicht ein „gewisses Unbehagen“ daran, wenn es plötzlich gleichgültig sein solle, ob Katholiken einen Gottesdienst in einer Kirche mitfeiern oder vor dem Bildschirm: „Das ist schon eine epochale Zäsur, daß die Gottesdienste quasi auf null herabgefahren werden.“ Aber, so resümiert Tück, nun sei die Kirche endlich wirklich in der Moderne angekommen.

Riskieren katholische und evangelische Bischöfe, als staatsabhängig gescholten zu werden, weil sie den politischen Empfehlungen Folge leisten? Bischof Voderholzer kann sich über solche Fragen nur wundern: „Der Staat stellt doch nicht das Christsein unter Strafe, wie einst das römische Reich in der Zeit der Christenverfolgung.“ Er vertraue darauf, daß die Verantwortlichen „Maß und Ziel kennen“.

Voderholzer distanzierte sich zugleich von allen Verschwörungstheorien und dankte den verantwortlichen Politikern für ihr „entschlossenes Handeln“. Die protestantischen Landeskirchen tragen das Ziel der staatlichen Verordnung „uneingeschränkt“ mit, sagt beispielsweise ihr Beauftragter bei Landtag und Landesregierung von NRW, Rüdiger Schuch (Düsseldorf). Und der Rechtswissenschaftler Hans-Michael Heinig, Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD in Göttingen, hält das von staatlicher Seite empfohlene Verbot von Gottesdiensten für verfassungsrechtlich in Ordnung, weil „verhältnismäßig“. Heinig verweist auf den Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz formulierte: „Explizit wurde das Seuchenschutzgesetz als notwendige Schranke der Religionsfreiheit genannt.“

Für Ostersonntag ist ein Flashmob geplant

Dennoch ist man sich von evangelischer wie von katholischer Seite einig, daß Gottesdienst und Gebet auch in Corona-Zeiten zur „Grundversorgung“ der Bevölkerung gehören. So forderte der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber, die Verhältnismäßigkeit beim Verbot von Zusammenkünften  zu wahren. Die Verbote müßten noch „hinreichenden Raum“ für die Entfaltung der Religionsfreiheit lassen.

In der Zeitschrift idea-Spektrum (Ausgabe vom 25. März) zeigte sich der württembergische Pfarrer und Synodale Rainer Köpf  erstaunt, welche kreativen, pragmatischen Kräfte in den Gemeinden entstehen. Die Digitalisierung des Gottesdienstes, die noch vor kurzem skeptisch gesehen worden sei, „konnte im Nu umgesetzt werden“, berichtete er aus seinem Sprengel. In Häusern bildeten sich familiäre Gebetszellen, sie spannten ein „Segensnetz“ über den Ort. „Wir ziehen uns nicht zurück! Für Ostersonntag haben wir einen Flashmob geplant: Wenn um 10 Uhr die Glocken läuten, stehen wir auf Balkonen und an geöffneten Fenstern und singen den Osterhymnus: ‘Christ ist erstanden von der Marter alle’.“

Genügen solche Initiativen, um das Bild von passiven, staatliche Maßnahmen fast überkorrekt umsetzenden Kirchen zu korrigieren? Theologen  sind skeptisch. Zum Beispiel der aus seiner Arbeit für das Christliche Jugenddorfwerk (CJD) bekannte Pfarrer Matthias Dannenmann (Leonberg). Wo bleibe die Verantwortung und der Auftrag, zu jeder Zeit das Evangelium – gerade auch in schwierigen Zeiten – den Menschen nahezubringen, fragte Dannenmann. Eine schlimme Entwicklung bahne sich in den Pflegeeinrichtungen an. Gottesdienste und Andachten seien auch hier untersagt. Seelsorgerliche Gespräche dürfe es nicht mehr geben. Viele der Pflegebedürftigen würden mit dieser Einsamkeit nicht fertig. Das Resümee des Theologen: „Es ist kaum zu  ertragen, daß die Kirchen sich nicht mit Entschlossenheit gegen diesen Trend stellen. Sie setzen ihren Auftrag einfach aus und warten darauf, daß ihnen die staatlichen Behörden erlauben, die Menschen mit dem Evangelium, der Seelsorge, Liebe und Nähe zu begleiten.“