© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Gender statt Gesundheit
Geschlechterforschung: Kritische Studien zur Herrschaftsideologie des „Staatsfeminismus“
Oliver Busch

Deutschland, so beruhigte die sich nach sechs Wochen Untätigkeit in Sachen Corona Mitte März zur TV-Botschaft aufraffende Bundeskanzlerin das Volk, habe eines „der besten Gesundheitssysteme der Welt“. Angela Merkel  meinte sicher „der Dritten Welt“, angesichts von fast 500 seit 1991 geschlossenen Krankenhäusern, des notorischen Pflegenotstands sowie bei Beatmungsgeräten, Schutzkleidung, Masken drohender Engpässe. Die nun entstanden sind, weil nichts investiert wurde in die Umsetzung der seit 2013 verstaubenden Pandemie-Präventionspläne.

Kräftig sprudelnde Steuergeld-Milliarden flossen eben in andere Kanäle. In die Subventionierung der unsinnigen „Energiewende“, in die selbstmörderische Alimentierung des „Migranten“-Heeres oder ins bodenlose Faß des EU-Etats. Im Vergleich mit dieser gigantischen Geldverbrennung wirkt der Aufwand für die inzwischen 200 Gender-Lehrstühle an deutschen Hochschulen wie ein Griff in die Portokasse. Und doch wird damit überaus „Systemrelevantes“ finanziert, das bis jetzt stets Vorrang vor Krankenhäusern hatte – was gegenwärtig, da ein Virus viele Menschen die „Schärfe des Seins“ (Martin Heidegger) spüren läßt und sich existentiell Wichtiges von Unwichtigem scheidet, als solches vielleicht schwerer zu begreifen ist. Darum ist es gut, wenn ein die Gender-Ideologie sowie deren feste institutionelle Verankerung in Universität, Medien, Staat, Verwaltung und Wirtschaft durchleuchtender, von Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig edierter Sammelband über deren enorme politische Bedeutung aufklärt.  

Die Aufsatzsammlung, an der sich namhafte Kenner der Materie wie der Didaktiker Hans Peter Klein, der Evolutionsbiologe Axel Meyer, der Mediziner Adorján Kovács, der Germanist Tomas Kubelik („Genug gegendert“, 2013) beteiligten, befaßt sich mit dem „Siegeszug“ einer Pseudo-Wissenschaft, die an Stelle des marxistischen Klassenkampfs oder des nationalsozialistischen Rassenkampfs den „Geschlechterkampf“ setzt, um die Welträtsel zu lösen.

Wandel des kollektiven Bewußtseins

In ihrer instruktiven Einleitung zeigen die Herausgeber auf, daß sich damit zwar der Deutungscode änderte, nicht aber der totalitäre Anspruch, die gesamte Wirklichkeit aus einem Prinzip erklären und neu ordnen zu wollen. Wissenschaftliche Standards wie Objektivität, Neutralität, Faktentreue, Wahrheitsliebe spielen für die Verfechter des „Genderismus“ keine Rolle. Zweck der „Gender-Forschung“ ist vielmehr die „Parteinahme für Beherrschte und Marginalisierte“. Mit dem Ziel, bestehende „patriarchalische“ Sozialstrukturen zugunsten einer Gesellschaft zu beseitigen, die sich an „Bedürfnissen und Interessen von Frauen“ ausrichtet. Diese an konventioneller Gleichstellungspolitik orientierte revolutionäre Perspektive des Genderfeminismus hat sich seit den 1990ern sukzessive ausgedehnt von Frauen auf „Benachteiligte“ und „Diskriminierte“ in jeglicher Gestalt, von Migranten bis zu Behinderten. Auf alle, mit denen eine möglichst „herrschaftsfrei“ zu denkende Gesellschaft aufzubauen sei, die sich durch maximale „Diversität“ auszeichnen soll.

Spätestens in diesem Stadium habe die Gender-Ideologie die ihr in der Bonner Republik vergönnte Nischen-existenz traditioneller Frauenpolitik verlassen und sich mit Hilfe mächtiger Protektoren in Wirtschaft und Politik zum „Staatsfeminismus“ gemausert. Die „Charta der Vielfalt“, 2006 unter Angela Merkels Schirmherrschaft postuliert, die „EU Diversity Charter“ und zuletzt 2018 der von Deutschland inspirierte UN-Migrationspakt hievten den Genderismus in den Rang einer unentbehrlichen Herrschaftsideologie. Sie soll den „Wert“ der Diversität im Sinne effektiver „Verwerkzeugung des Menschen“ (Johan Huizinga) und barrierefrei globalisierter Ausbeutung des „Humankapitals“ ins kollektive Bewußtsein pflanzen.

Wie diese von Gehirnwäsche schwer unterscheidbare Arbeit am Bewußtseinswandel sich in Forschung und Lehre vollzieht, wie sich die Hochschulen auf breiter Front den wissenschaftsfeindlichen „Gender Studies“ und der mit ihnen verschweißten „Diversitätsforschung“ öffnen, wie sich deren einen „Kulturkrieg“ führende „ProtagonistInnen“ gegen jede, flugs als „rassistisch“ und „faschistisch“ denunzierte Kritik immunisieren, ist der faktensatten Studie Harald Schulze-Eisentrauts zu entnehmen, die den Band beschließt. 

Was neben der gründlichen Auseinandersetzung mit der fast alle sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen durchdringenden und auch vor Medizin wie Biologie nicht Halt machenden „Geschlechterforschung“ in dieser Sammlung leider zu kurz kommt, ist ihre in der Einleitung skizzierte herrschaftspraktische Funktion im Rahmen der „Großen Transformation“ des Pluriversums souveräner Nationalstaaten hin zu „One World Society“ und „World Governance“. Ein vertiefender Einzelbeitrag dazu hätte an die bestechenden Analysen des Politikwissenschaftlers Guido Giacomo Preparata („Die Ideologie der Tyrannei“, JF 48/15) anschließen können, die den atemberaubenden Rezeptionserfolg, den der Diversity-Guru Michel Foucault schon in den 1980ern in den USA erzielte, damit erklärt, daß sich Gender- und Diversitätskonzepte als moderne Versionen des „Teile und Herrsche“ empfahlen, um atomisierte Bevölkerungen zu schaffen, die unfähig sind zu geschäftsschädigender politischer Willensbildung. 

Harald Schulze-Eisentraut/Alexander Ulfig (Hrsg.): Gender Studies. Wissenschaft oder Ideologie, Deutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2019, broschiert, 249 Seiten, 24,95 Euro