© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

„Ich dachte, das hätten wir hinter uns“
Deutschland in der Corona-Krise: Grenzkontrollen im eigenen Land irritieren die Bewohner / Ein Spargelbauer gibt Entwarnung
Hinrich Rohbohm

Endlos schlängelt sich die Bundesstraße 191 vom niedersächsischen Uelzen bis ins mecklenburgische Ludwigslust. Über die Elbe, die Grenze zwischen den Bundesländern Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, führt eine Brücke. Auf einem Abschnitt von knapp 115 Kilometern ist es die einzige Straßenbrücke weit und breit, die über den Strom führt.

Es ist ein Ort, der Geschichte schrieb. In den dreißiger Jahren errichtet, wurde das Bauwerk fast auf den Tag genau vor 75 Jahren, am 20. April 1945, durch einen Luftangriff von US-amerikanischen Jagdbombern zerstört. Weil sich hier nach dem Zweiten Weltkrieg die innerdeutsche Grenze befand, wurde die Brücke nicht wieder aufgebaut. 

Ungute Erinnerungen werden bei vielen wach

Erst nach der Wiedervereinigung Anfang der neunziger Jahre entstand ein neuer Brückenzug, in dessen unmittelbarer Nähe ein braunes Schild steht. „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 7. Dezember 1989 um 10 Uhr geteilt“, steht darauf. Das ist über 30 Jahre her. Und doch erleben viele in der Region gerade ein Déjà-vu. Es ist das lange schon überwunden geglaubte Gefühl, abgeschnitten zu sein, daß nun bei so manchem Anwohner in dieser Region wieder hochkommt. 

Grenzkontrollen. Nicht an den EU-Außengrenzen oder den Bundesgrenzen, sondern mitten in Deutschland zwischen Nachbar-Bundesländern. Zudem noch genau an einem Ort, der einst die DDR und die Bundesrepublik Deutschland teilte.

Wer dieser Tage über die Bundesstraße 191 vom niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg in den benachbarten Landkreis Ludwigslust-Parchim des Landes Mecklenburg-Vorpommern fahren möchte, könnte von der Polizei angehalten und möglicherweise an der Weiterfahrt gehindert werden. Nur wer einen guten Grund für seine Reise hat, darf passieren. Ein Verkehrsschild mit gelber Warnleuchte versehen weist darauf hin: „Für touristische Verkehre gesperrt!“

„Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Jetzt geht der Kram schon wieder los“, scherzt ein Anwohner auf der niedersächsischen Seite, der sich noch gut an die Vorwendezeit erinnern kann, als beide Landesteile voneinander abgeschnitten waren. 

Daß es nun ausgerechnet hier wieder Grenzkontrollen gibt, hätte er „nie für möglich gehalten“. Wenngleich er angesichts der Umstände Verständnis für die Maßnahme zeigt. „Wenn es denn hilft, das Virus einzudämmen, kann ich das als vorübergehende Maßnahme akzeptieren. Ob es aber etwas bringt, da habe ich dann doch Zweifel. Sollte man da nicht lieber erst mal unsere Außengrenzen kontrollieren, statt mitten in Deutschland?“ fragt sich der Mann.

Auch auf mecklenburgischer Seite finden die Maßnahmen wenig Begeisterung. Gleich auf der gegenüberliegenden Elbseite befindet sich die Kleinstadt Dömitz. Für den 3.000 Einwohner zählenden Ort ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Er befindet sich im Unesco-Biosphärenreservat Flußlandschaft Elbe-Mecklenburg-Vorpommern. Aufgrund der 45 Jahre andauernden Abgeschiedenheit, bedingt durch die Grenzlage, ist in dieser Region eine für Mitteleuropa einmalige Auenlandschaft erhalten geblieben, die normalerweise zahlreiche Ausflügler in das idyllische Gebiet lockt.

Jetzt wirkt der Ortskern dagegen wie ausgestorben. Die Touristen: nicht mehr da. Nur ein älteres Ehepaar geht auf dem Bürgersteig spazieren. „Ein wenig frische Luft schnappen“, sagt die Frau. Beide haben für die Einschränkungen aufgrund der Corona-Krise ebenfalls Verständnis. Was den Sinn der Grenzkontrollen zwischen den Bundesländern betrifft, sind sie jedoch skeptisch. „Meiner Meinung nach wird hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die sollen meinetwegen kontrollieren, daß die Menschen Abstand zueinander halten. Aber Kontrollen an den Landesgrenzen halte ich für übertrieben“, sagt der Mann. 

Auch bei dem Ehepaar lösen die Maßnahmen ungute Erinnerungen aus.  Sie wohnen in Rüterberg, einem Ortsteil der Stadt, der gleich an zwei Seiten an Niedersachsen grenzt. Zu Zeiten der deutschen Teilung war der Ort von Sperranlangen umgeben, Richtung Westdeutschland durch ein Zaunsystem entlang der Elbe getrennt.

„Auch wenn das natürlich nicht zu vergleichen ist, kommen da bei uns die Erinnerungen einfach wieder hoch“, erklärt die Frau.

Gerade einmal 15 Kilometer weiter elbaufwärts befindet sich das 2.000 Seelen-Städtchen Lenzen im brandenburgischen Landkreis Prignitz. Ein Ort, der sich mitten im Dreiländereck von Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern befindet.

200 Euro für eine Maske: „Das ist der Wahnsinn“

„Die machen Kontrollen an den Bundesstraßen. Wenn sie jetzt in den Nachbarlandkreis Ludwigslust-Parchim wollen, brauchen sie eine Genehmigung. Nur wer die hat, erhält eine Plakette, mit der er passieren darf“, schildert eine in dem Ort tätige Tankstellenmitarbeiterin. Die Kontrollen würden jedoch nur tagsüber erfolgen. „Abends ist wieder alles normal.“ 

Auch sie hat Zweifel an der Aktion. „Die machen doch eh nur Stichproben, was soll das bringen?“ Wir machen den Test, fahren mit dem Pkw sowohl über die Elbebrücke von Niedersachsen nach Mecklenburg-Vorpommern als auch über die Bundesstraße 5 von Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern. Keine Polizei. Doch Anwohner bestätigen an beiden Orten, daß „phasenweise“ kontrolliert werde.

„Aber wer beispielsweise nach Ludwigslust oder weiter nach Schwerin oder Rostock möchte, der braucht eigentlich nur über die Autobahn fahren. Da gibt’s keine Kontrollen“, erzählt ein Kunde in der Lenzener Tankstelle. In der Tat verläuft die länderübergreifende Fahrt per Autobahn problemlos, aber nicht spurenlos. Auch hier weisen Verkehrsschilder darauf hin, daß die Strecke für touristischen Verkehr gesperrt ist. Ebenso an der Grenze zu Schleswig-Holstein.Bei den Anwohnern in Lenzen sorgen die Kontrollen zumindest für Kopfschütteln. „Hier kontrollieren sie uns mitten in Deutschland, aber Asylbewerber dürfen nach wie vor einreisen. Das soll mal einer verstehen“, kritisiert einer von ihnen.

Und auch Einreisen per Flugzeug sind in Deutschland nach wie vor möglich, während andere Länder längst Einreisesperren erlassen haben. In Frankfurt landen nach wie vor regelmäßig Passagierflieger von China Eastern Airlines aus Shanghai, Korean Air aus Moskau, Delta Airlines aus Detroit und Chicago oder Alitalia aus Rom. Selbst Ankünfte aus Corona-Krisenregionen wie Paris, Teheran, Mailand und New York sind in dieser Woche immer noch möglich.

Unterdessen ist der Flughafen Hamburg wie ausgestorben. Wo sonst Menschenschlangen vor den Check-in-Schaltern warten, herrscht nun gähnende Leere. Nur alle paar Stunden landet eine Maschine. Zumeist sind es Inlandsflüge. Für den späten Abend ist noch eine Maschine aus Teneriffa angekündigt, zwei weitere Flüge kommen aus Amsterdam. Gerade ist eine Lufthansa-Maschine aus Frankfurt gelandet. Die Passagiere verlassen das Flugzeug über die Gangway zumeist einzeln und in gebührendem Abstand zueinander. Viele von ihnen tragen Mundschutz oder Atemschutzmasken.

In der Ankunftshalle warten Freunde und Familienangehörige auf die Angekommenen. Emotionale Momente spielen sich ab. Erleichterte Blicke. Lange, feste Umarmungen. „Ich war in Italien bei meinem Freund“, erzählt eine junge Studentin völlig aufgelöst. Sie hatte ihre Semesterferien bei ihm verbracht, als die Corona-Krise plötzlich von China nach Europa überschwappte und Tag für Tag immer dramatischere Züge annahm. „Ich wollte schließlich einfach nur noch nach Hause“, erzählt sie. Von Mailand aus ging es nach Frankfurt. Von Frankfurt später nach Hamburg.

Ist sie aufgrund der Krise kontrolliert oder befragt worden? „Nein, nichts.“ Auch Temperaturmessungen, wie sie beispielsweise in Asien erfolgen, habe es nicht gegeben. Nur für den Abflug ertönt auf dem Hamburger Flughafen die Ansage, daß aufgrund der CoronaKrise nur noch ein Teil als Handgepäck mitgenommen werden darf.

Was manchen aufgrund überraschend lascher Kontrollen bei Flugankünften beunruhigen könnte, läßt die Landwirtschaft derzeit etwas aufatmen. Denn Erntehelfer sollen künftig wieder, wenn auch in begrenztem Umfang, nach Deutschland einreisen dürfen. „Die Lage entspannt sich gerade etwas“, meint ein Landwirt aus dem Kreis Stormarn, der Spargel- und Erdbeeranbau betreibt.

Ob er auch auf das Angebot zurückgreife, gegebenenfalls Studenten oder Rentner für die anstehende Spargelernte mit einzustellen? Der Agrar-Ökonom muß schmunzeln. „Gerade Spargelstechen ist nicht jedermanns Sache. Da brauche ich zuverlässige und körperlich belastbare Leute, die bei Wind und Wetter zur Verfügung stehen. Nichts gegen Studenten, aber wenn die nach drei Tagen über Rückenschmerzen klagen und dann lieber doch bei Muttern zu Hause bleiben wollen, um sich erst mal auszukurieren, ist mir auch nicht geholfen.“ Er selbst habe jedoch schon jetzt ausreichend Helfer zur Verfügung.

Doch längst nicht jeder kommt mit einem blauen Auge davon. Da ist etwa der Inhaber der Bäckerei Bosselmann aus Hannover, der jüngst unter Tränen seiner Kundschaft per Youtube-Video erklärte, daß er in spätestens acht Wochen seine über zweihundert  Mitarbeiter entlassen müsse, wenn die Kundschaft weiter aufgrund der Seuche fernbleibe. Er und seine Belegschaft haben derzeit eine „Scheißangst“, gab er darin offen zu. Zudem würden die von der Politik angekündigten finanziellen Hilfen nicht bei den Mittelständlern ankommen. „Wir müssen uns selbst helfen“, erkennt er.

Hilfe der anderen Art leisten unterdessen ehrenamtliche Helfer in Hamburg-Eimsbüttel. An einem Bolzplatz gegenüber dem Gymnasium am Kaiser-Friedrich-Ufer haben sie einen sogenannten Gabenzaun für Bedürftige eingerichtet. An den Zaun können Hilfswillige Sachspenden anhängen, um vor allem Obdachlose in Zeiten der Corona-Krise mit Seifen, Shampoo, Duschgel, Taschentüchern und Handtüchern zu unterstützen.

Ein am Zaun befestigtes „Infoboard“ gibt Tips zum richtigen Händewaschen, weist auf den einzuhaltenden Mindestabstand zu anderen hin. Auch Informationen darüber, wann und wo sich für Obdachlose Duschmöglichkeiten bieten, sind an dem Zaun angebracht. Werden auch Mundschutz und Atemschutzmasken gespendet? „Hör mir bloß auf mit Masken“, antwortet einer der ehrenamtlichen Helfer. „Ja, waren dabei und wurden gleich geklaut. Du glaubst gar nicht, wie die Leute das ausnutzen, um damit Profit zu machen. Die klauen die Dinger und verditschen sie dann zu Wucherpreisen weiter.“ Gerade erst habe er mitbekommen, wie jemand auf diese Weise eine Maske für 200 Euro verkauft habe. „200 Euro! Das ist der Wahnsinn“, ruft der Mann und faßt sich dabei an die Stirn.

Dann kniet er schon wieder am Boden, hebt einige Hygienartikel auf. „Das kann ich ja nu’ überhaupt nich’ab. Die Leute sollen die Sachen bitte ordentlich im Beutel verschnüren. Wenn die Dinger hier rumflattern, steht sofort das Ordnungsamt auf dem Plan.“

Unterdessen kommen immer wieder neue Leute vorbei, bringen Plasikbeutel, gefüllt mit weiteren Hilfsgütern, von denen bereits Dutzende am Zaun hängen. Immer wieder spricht der Helfer anderen Mut zu. „Wir kriegen das hin Leute, die Krise geht auch wieder vorbei. Mund abwischen und weiter geht’s.“





Brauer sorgen sich um ihre Zukunft

Deutsche Brauereien befürchten, die Zahl der Beschäftigten massiv einschränken zu müssen. 87 Prozent der Betriebe rechnen mit der Einführung von Kurzarbeit, 18 Prozent mit Entlassungen, berichtet der Deutsche Brauer-Bund auf Basis einer aktuellen Mitgliederbefragung. Jede dritte Brauerei rechne gleichzeitig mit fehlendem Personal durch Krankheit oder Mangel an Kinderbetreuung. Weiter bedrückt die Brauer der Personalmangel an Saisonarbeitern beim Hopfenanbau oder im Bereich der Logistik aufgrund von Grenzschließungen oder Krankheit. Besonders heben sie die Lieferung von Malz, Kronkorken und Pappen, Desinfektions- und Reinigungsmitteln, Hefe und Kohlendioxid hervor. Noch sei in fast allen deutschen Brauereien die Produktions- und Lieferfähigkeit gesichert. Auch die Logistik und Warenverteilung laufe weitgehend reibungslos, ergab die Umfrage. Kritischer sei das Bild bei der Verfügbarkeit von Rohstoffen und Verpackungen, wo bereits mehr als acht Prozent der befragten Brauereien Ausfälle beklagten. So gibt es erste Engpässe bei Verpackungsmaterial, Verschlüssen und Glas. (mp)