© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Nach der Bluttat – ein Gebet auf den Knien
Frankreich: Ein asylsuchender Sudanese ermordet zwei Passanten und verletzt fünf Menschen schwer / Passanten hören Allahu-akbar-Rufe
Marc Zoellner

Als die Kundschaft anstand, stach der Attentäter das erste Mal zu: Eine Spur des Grauens hinterließ ein mutmaßlicher islamischer Extremist am Samstag mittag in der südostfranzösischen Kleinstadt Romans-sur-Isère. Mit einem Messer bewaffnet, attackierte der Amokläufer über den Tresen hinweg zuerst den Besitzer eines Tabakwarengeschäfts sowie dessen Frau, um sich im Anschluß in einer nahe gelegenen Fleischerei neu zu bewaffnen. „Er griff hinter die Ladentheke und hat sich ein Fleischermesser geschnappt“, berichtete Ludovic Breyton, der Besitzer der Fleischerei, noch sichtlich aufgelöst im Interview mit der französischen Tageszeitung Le Dauphiné libéré. „Dann tötete er plötzlich einen zufällig ausgewählten Kunden.“ Erst nach einem weiteren Angriff auf vor einer Bäckerei wartende Einwohner konnte der Amokläufer schließlich, im Gebet auf der Straße kniend, von der Polizei verhaftet werden. An den Tatorten zurück blieben zwei Tote und fünf Schwerverletzte sowie Dutzende Passanten, die zeitweilig psychologisch betreut werden mußten.

„Jeder, der das Pech hatte, seinen Weg zu kreuzen, wurde angegriffen“, erklärte die Bürgermeisterin Marie-Hélène Thoraval der Nachrichtenagentur AFP am Samstag abend. Auch die dortige Polizei steht vor einem Rätsel: Denn Abdallah Ahmed-Osman, wie der Amokläufer mittlerweile namentlich identifiziert wurde, war den lokalen Behörden bislang weder als kriminell noch als radikalisiert aufgefallen. 

Bereits im Juni 2017 hatte der 30jährige Sudanese in Frankreich seinen Status als Flüchtling bestätigt bekommen und in den folgenden Jahren in einer Wohngemeinschaft zusammen mit zwei  Landsleuten gelebt. Noch am Sonntag wurden beide Mitbewohner, die ebenfalls als Flüchtlinge registriert waren, aufgrund des Tatverdachts einer Mitwisserschaft von Polizisten abgeführt. 

In diesem Jahr bereits der dritte Anschlag

Ermittler bestätigten im Anschluß an die Hausdurchsuchung, in der Wohnung des Amokläufers „handgeschriebene Notizen mit religiösen Anmerkungen gefunden zu haben, in welchen der Autor sich spezifisch darüber beklagte, in einem Land von Ungläubigen zu leben“.

Vielleicht hatte einzig die landesweite Ausgangssperre, die seit dem 17. März das öffentliche Leben ganz Frankreichs zum Erliegen bringt, noch Schlimmeres verhindert, denn laut Augenzeugenberichten ging der Täter bei seinem Amoklauf äußerst zielgerichtet vor. „Ich glaube, er hat sein erstes Messer zerbrochen“, bestätigte der Fleischer Ludovic Breyton. „Also ist er an den Ort gekommen, wo sich am einfachsten ein neues Messer finden läßt.“ Laut Passanten habe Ahmed-Osman bei jedem Angriff lautstark „Allahu akbar!“ geschrien.

 In seiner ersten Vernehmung gab der Amokläufer jedoch an, sich an seine Tat nicht erinnern zu können. Ein psychologisches Gutachten, um die Zurechnungsfähigkeit des Zweifachmörders zu beurteilen, ist für diese Woche vorgesehen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einer „abscheulichen Tat, die unser Land in Trauer versetzt, das bereits in den vergangenen Wochen bitter gelitten hat“. Mit über 8.000 Toten und 90.000 Fällen bestätigten Erkrankten hat das Coronavirus gerade Frankreich schwer getroffen, dessen Ausgangssperre dementsprechend besonders streng kontrolliert wird. 

Überdies gilt seit dem Überfall auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015, bei dem al-Kaida-Extremisten zwölf Mitarbeiter ermordeten, für ganz Frankreich noch immer erhöhte Terrorwarnung. Seither töteten islamische Terroristen in Frankreich mindestens 258 Menschen. Der Amoklauf von Romans-sur-Isère war in diesem Jahr bereits der dritte seiner Art mit radikalislamischem Hintergrund.