© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Der Kranich stürzt ab
Flugverkehr: Konzerne wie Lufthansa brauchen Staatshilfe, kleine Anbieter gehen pleite
Fabian Schmidt-Ahmad

Auf diesen Passagier hätte die Luftfahrt gerne verzichtet. Seine rasante Verbreitung aus der zentralchinesischen Acht-Millionen-Metropole Wuhan in die ganze Welt verdankt Sars-CoV-2 vor allem der Zivilluftfahrt, die Menschenmassen über die Kontinente hinweg verteilt. Das nur zweieinhalb Stunden entfernte internationale Drehkreuz Peking fertigte 2018 über hundert Millionen Passagiere ab, der ein Jahr später eröffnete Flughafen Peking-Daxing ist für noch mehr Flugbewegungen ausgelegt.

Doch Pläne dürften stocken, denn kaum eine Branche ist von der Corona-Krise so hart getroffen wie die Passagierluftfahrt. Für dieses Jahr rechnet der Dachverband der Flughafenbetreiber (ACI) mit einem Einbruch des Passagieraufkommens auf weniger als die Hälfte. 4,4 Milliarden Fluggäste zählte der Airline-Verband Iata 2018 – davon 1,1 Milliarden in Europa. Da Flughäfen hohe Fixkosten haben, ist deren Verlustprognose noch pessimistischer. Ging der ACI vor der Covid-19-Pandemie noch von 172 Milliarden US-Dollar Gesamteinnahmen aus, senkte er die optimistische Erwartung nun auf 76 Milliarden.

Kapazitäten abbauen, Flugzeuge ausflotten

Der britische Billigflieger EasyJet, der 2018 das Drehkreuz Berlin von der insolventen Air Berlin übernahm, parkte nun die letzten seiner 318 Flugzeuge. Diese hatten noch gestrandete Urlauber nach Hause geflogen. Bei der Lufthansa stehen etwa 700 der 763 Flugzeuge mit dem Kranich auf dem Leitwerk am Boden. „Diese Krise wird so groß, daß alle globalen Airlines ihre Flotten neu planen müssen“, klagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr im Spiegel. Kapazitäten abbauen, Flugzeuge ausflotten, man werde „Jahre brauchen, bis die Branche wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat“.

Am 2. April meldete Reuters, die Lufthansa und die Bundesregierung verhandelten über Milliardenhilfen und eine Staatsbeteiligung. Ein Novum wäre das nicht: Bis 1963 war die Lufthansa staatlich, erst seit 1997 ist der Konzern voll privatisiert. Die arabischen Golf-Airlines, die vom Geschäft Europa-Asien/Australien leben, brauchen Staatshilfe. In den USA soll die Luftfahrtindustrie 25 Milliarden Dollar erhalten. Singapore Airlines soll 13 Milliarden Dollar bekommen.

Thomas Cook Aviation, die Urlauber von Düsseldorf und Leipzig ans Mittelmeer flog, ist schon pleite. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor durch die polnische Lot wackelt. Laut Bernstein Research habe Air France-KLM noch liquide Mittel für 13 Wochen, die Lufthansa für 16 und die IAG (British Airways/Iberia) für 30 Wochen. Ryanair hat zwar vier Milliarden Euro zum Krisenaussitzen, aber nur das kleine Irland als Rettungsanker. Wenn Eurocontrol nun anbietet, die Zahlung der Flugverkehrskontrollgebühren zu stunden, dann hilft das nur kurzfristig.

Denn in der Wirtschaft könnte es künftig seltener erforderlich sein, daß Menschen, die zusammenarbeiten, auch tatsächlich zusammen sein müssen. Angestellte, die zu Hause arbeiten, Geschäfte, die ihren Verkauf online abwickeln, und transnationale Konzerne, die ihr Management aus dem Jetset herausnehmen – was jetzt als Improvisation eingeführt wurde, wird nach Corona häufig bleiben. Bleibt also nur der Tourismus – doch der wird von der CO2-Bepreisung im Zaum gehalten: Am 1. April trat die Erhöhung der Luftverkehrssteuer um bis zu 17 Euro pro Strecke planmäßig in Kraft. Doch diese Gelder, die billigere Bahnfahrten finanzieren sollten, werden nun nicht fließen.

Das sind Hiobsbotschaften nicht nur für die 87.000 von 135.000 Lufthansaarbeitern in Kurzarbeit, denn in der Branche arbeiten in Deutschland eine Million Menschen. Denn die größte Krise in der Luftfahrt, die die Einbrüche nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 in den Schatten stellt, hat andere Dimensionen. Die damalige Passagierflaute war auf Nordamerika beschränkt. Europäische Fluggesellschaften schrieben bereits im Folgejahr wieder schwarze Zahlen. Das Coronavirus wird die Fluggesellschaften mehr als die insgesamt 18 Milliarden Dollar nach 9/11 kosten.

Zudem war bereits vor der Covid-19-Pandemie eine weltweite Rezession meßbar, die sich durch anhaltenden globalen Produktionsstopp massiv verschärfen wird. Die Luftfahrt als ein empfindliches Barometer der Weltwirtschaft ist hier besonders betroffen. Nicht nur unmittelbar durch Quarantänemaßnahmen, auch längerfristig wird sie daher Passagiere und Fracht verlieren.

Wird Fliegen wieder ein Privileg der Reichen?

Vor zwei Jahrzehnten war es Terrorangst, die das Passagieraufkommen einbrechen ließ. Diese war ein kurzfristiger Motivator, der mit wachsendem Abstand zum Ereignis verblaßt. Die heutige Zivilluftfahrt dagegen sieht sich auch sittlich-moralisch herausgefordert. Für eine Sehenswürdigkeit um die halbe Welt reisen, die bereits von Tausenden digitaler Augen abfotografiert, vermessen und ins Internet gestellt wurde? Die Exotik droht ihren Reiz zu verlieren. Und 40 Grad im Schatten gibt es inzwischen auch im deutschen Sommer.

Seit es sie gibt, sind für die Luftfahrt die Bäume buchstäblich in den Himmel gewachsen. Doch nun sind die Dinge weniger eindeutig. Es wird sich zeigen, welche Wirtschaftsräume sich rasch erholen und einen breiten Wohlstand ermöglichen. Bis dahin wird Fliegen möglicherweise wieder das, was es schon früher einmal war: eine elitäre Angelegenheit von Reichen. Und wer weiß, vielleicht ist die berlin-brandenburgische Chaostruppe, die sich seit 2011 den funktionsuntüchtigen Hauptstadtflughafen BER leistet, ihrer Zeit damit einfach weit voraus. Und der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) verspricht nur noch, daß „systemrelevante Lieferketten und eine Grundversorgung im Passagierverkehr aufrechterhalten werden können“.

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