© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Der Niedergang der Menschheit durch Tiernahrung
Wagners vegetarischer Christus

In seiner Spätschrift „Religion und Kunst“ vertritt der deutsche Tonsetzer Richard Wagner (1813–1883) die These, daß Jesus mit seinem Selbstopfer in den Gaben von Brot und Wein beim letzten Abendmahl für seine Jünger die Pflanzennahrung eingeführt habe. Christus eröffne deshalb den Weg zum höheren, triebverneinendem Leben, weil er aus Mitleid mit den geschlachteten Tieren diese erlöst, indem er sein eigen Fleisch und Blut als Sühneopfer darbringt. In einer scharfsinnigen, diesen Text mit Wagners Bühnenweihspiel „Parsifal“ vermittelnden Interpretation legt der Theologe Martin Thurner (Martin-Grabmann-Forschungsinstitut München) für diese eigenwillige Synthese des „vegetarischen Christus“ drei Quellen frei: die Degenerationslehre von Jean-Antoine Gleïzès, wonach der Niedergang der Menschheit durch Tiernahrung herbeigeführt werde, ferner Arthur Schopenhauers Willenspessimismus, wonach eine mitleidige Erlösung des Tieres eine Abkehr des Christentums von seinen jüdischen Wurzeln verlange, sowie die Rassenlehre des Grafen Joseph Arthur de Gobineau, der zufolge die arische Rasse durch das Blut des Erlösers von lateinisch-semitischen Einflüssen gereinigt werden müsse. Das Tier-Mitleid spiele im „Parsifal“ eine Schlüsselrolle, da die Erlösung des Tieres auf die tiefere Bedeutungsschicht der Erlösung des Menschen vom sündigen Eros weise. Doch gerade mit den „animalisch-heißblütigen Wonneklängen“ dieser Oper widerspreche der Musiker dem Kunst-Erlöser Richard Wagner und dessen Utopie eines unschuldig-vegetarischen Eros (Münchener Theologische Zeitschrift, 4/2019).


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