© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Seine Vorstellungen wirken bis heute nach
Einflußreicher Denker: Zum 100. Geburtstag des rechtsintellektuellen Publizisten Armin Mohler
Karlheinz Weißmann

Es ist nicht ganz einfach in Rottingdean, einer kleinen Hafenstadt an der Küste von Sussex, einen Parkplatz zu finden. Aber schließlich gelang es uns, den Wagen nahe der Kirche St. Margaret’s abzustellen, in der man einige wunderbare Fenster des Präraffaeliten Edward Burne-Jones bewundern kann. Kurz bevor ich durch die Eingangstür ging, zog ich mein Mobiltelefon aus der Tasche, um es auszuschalten. Aber mein Blick fiel auf den Hinweis, daß eine neue Nachricht eingegangen sei, mit dem Vermerk „Mohler-Feindbild in der neuen Zeit“. Ich konnte nicht widerstehen. Burne-Jones mußte warten, zuerst wollte ich wissen, was es mit der Mail und ihrem Anhang auf sich hatte.

Es ging um einen Text in der Zeit (Ausgabe vom 7. Juli 2016) des notorischen Volker Weiß über Armin Mohler als „Gründervater“ der „Neuen Rechten“. Gemeint waren damit alle: von Pegida bis zur JF, von den Männern im Oxford-Karo bis zu den Identitären, von der Alternative für Deutschland bis zur Denkfabrik im Sachsen-Anhaltinischen. Keine Krise, kein konkretes Problem, keine Analyse hatte sie hervorgebracht. Sie verdankten ihre Entstehung und ihren Erfolg letztlich dem Wirken Mohlers. Der seinerseits alles andere als originell gewesen sei. Denn Mohler habe im Grunde nur den „völkischen Nationalismus“ der Weimarer Zeit recycelt. Natürlich erreiche man nicht mehr das Niveau eines Moeller van den Bruck, eines Oswald Spengler, Carl Schmitt oder Ernst Jünger. Aber es gehe die Saat auf, die Mohler mit seinem Buch „Die Konservative Revolution in Deutschland“ gesät habe.

Er hatte eine Neigung zum Sammeln von Papier

Hätte Mohler das noch erlebt, er wäre begeistert gewesen, und von der Illustration über der Seite noch mehr als vom Text selbst. Denn die zeigte einen verhältnismäßig jugendlichen Mohler mit einem Megaphon in der Hand, der offenbar die Massen agitierte, die unter AfD-Blau, Schwarz-Rot-Gold, Wirmer- und Reichskriegsflagge auf die Straße gingen, um die Islamisierung zu verhindern und Merkel zum Teufel zu jagen. Mohler wäre der Zeitungsseite mit Schere und Klebstoff zu Leibe gerückt, um eine kopierbare Version auf DIN A-4 zu bringen, und die hätte er dann, ergänzt um ein paar Anmerkungen mit Tinte oder Edding, per Post an Freunde, Bekannte und Sympathisanten verschickt.

Dazu ist es nicht gekommen. Armin Mohler, vor einhundert Jahren, am 12. April 1920 in Basel geboren, verstarb schon am 4. Juli 2003 in München. Aber seine Vorstellungen wirken tatsächlich bis heute nach. Zwar nicht ganz so, wie sich das Weiß, die Antifa, schreckhafte Liberale und wohlbestallte Demokratietheoretiker vorstellen, aber doch viel effektiver, als diejenigen annehmen, die nur Auflagenhöhen und Publikationsorte im Blick haben.

Sicher gab es in der Nachkriegszeit andere Konservative oder Rechtsintellektuelle, die geschickter waren als Mohler, gelittener, die noch Bestseller schrieben oder irgendwo am Rande eine akademische Laufbahn absolvierten. Aber von denen weiß heute niemand mehr. Ihre Namen sind vergessen, ihre Bücher waren Augenblickserfolge, ihre Ideen anachronistisch, jedenfalls ohne echte Bedeutung und ohne Einfluß auf die geistige Bewegung.

Dagegen wird man feststellen müssen, daß Mohler zwar nur eine kleine Zahl selbständiger Schriften hinterlassen hat – zu nennen wäre neben seinem Hauptwerk über die Konservative Revolution noch „Was die Deutschen fürchten“ und „Die Vergangenheitsbewältigung“ –, aber es gab daneben eine Reihe von Essays, die vielleicht noch stärkere Eindrücke hinterließen, wie etwa „Der faschistische Stil“ oder „Liberalenbeschimpfung“.

Daß Mohler in seinen letzten Jahrzehnten kaum Umfangreicheres geschrieben hat, ist nicht nur damit zu erklären, daß ihm „die kleine Form“ eher lag und er eine Neigung zum Jagen und Sammeln von altem Papier hatte, die ihren Tribut in Gestalt von Lebenszeit forderte, sondern auch damit, daß er nicht mehr in dem Rahmen publizieren konnte, den er eigentlich für angemessen hielt.

Um das zu verstehen, muß man sich vor Augen führen, in welchem Maß er als junger und nicht mehr ganz junger Mann Vertrauen in Protektion setzen durfte. Das galt schon nach seiner Abwendung von der Linken und nach dem Scheitern des abenteuerlichen Versuchs, als Freiwilliger in die Waffen-SS einzutreten und am Weltkampf eines „Neuen Europa“ gegen den Bolschewismus teilzunehmen. Aber es galt erst recht für die Anfangszeit in Deutschland als Sekretär Ernst Jüngers, für die Phase als Frankreichkorrespondent verschiedener Zeitungen – unter anderem der Zeit – während der fünfziger Jahre, und das galt selbstverständlich für die Übernahme der Leitung der Siemens-Stiftung nach der Rückkehr in die Bundesrepublik.

Der Rückzug vieler seiner Schüler enttäuschte ihn

Dabei hatte Mohler früh den Ruf eines enfant terrible. Aber gerade das weckte das Interesse einer Öffentlichkeit, die nach dem Untergang des einen „Kommissarstaats“ und der bedrohlichen Fortexistenz des anderen ein waches Bewußtsein für die Bedeutung von Meinungsfreiheit und -vielfalt hatte. Die Debatten der Nachkriegsjahrzehnte kennzeichnete jedenfalls ein heute kaum noch vorstellbares Maß an Offenheit, so daß in ihnen tatsächlich Männer und Frauen verschiedener Auffassung zur Geltung kamen: Konservative und Liberale, Karolinger und Nationale, Gläubige und Atheisten, Katholiken und Existenzphilosophen. Wenn jemand – wie Mohler in der Frage der atomaren Bewaffnung und der transatlantischen Bindung – eine Sonderstellung einnahm, sah man das eher als Bereicherung an, nicht als Gefahr des Konsensus und Ursache für die drohende Spaltung der Gesellschaft.

Als sich diese Lage grundsätzlich wandelte, hat Mohler das nur nach und nach begriffen. Die Studentenrevolte begleitete er anfangs mit süffisanten Kommentaren und einem gewissen Wohlwollen für das Rebellische der jungen Generation. Das Problem waren seiner Meinung nach nicht die Linken auf den Barrikaden, sondern die feigen Bürger, die lieber den Rückzug antraten, als den Kampf aufzunehmen. Aber an eine dauerhafte Vorherrschaft dessen, was da als „Zweite Aufklärung“ gehandelt wurde, konnte Mohler nicht glauben, auch nicht daran, daß die Türen, die für ihn ins Schloß gefallen waren, auf Dauer verriegelt blieben. Noch das Projekt der Zeitschrift Criticón, das er 1970 mit seinem Freund Caspar von Schrenck-Notzing auf den Weg brachte, entstand in der Erwartung, daß das roll back nur eine Frage der Zeit sei.

Diese Einschätzung hat sich als falsch erwiesen, und daß Mohler in der Folge vor allem auf Criticón sowie die kleinen Verlage der rechten Szene für seine Veröffentlichungen beschränkt blieb, warf einen Schatten auf sein Alter. Hinzu kamen die Enttäuschung über das Scheitern einer Universitätskarriere und der Rückzug seiner Schüler, die sich entweder eine Nische suchten oder ihren Überzeugungen abschworen. Das war nicht nur in persönlicher Hinsicht bitter, sondern auch, weil so ein Abbrechen der Kontinuität drohte.

Zu Resignation hat das bei Mohler aber nicht geführt. Was auch mit der eigenwilligen Art und Weise zu tun hatte, in der er das Rechts-Sein auffaßte. Denn das tragische Weltgefühl, das dieses Lager seiner Meinung nach einte, war für ihn auch die Ursache einer besonderen Dialektik: „Der tiefste Unterschied zwischen einem ‘linken’ und einem ‘rechten’ Menschen besteht wohl darin, daß der letztere sich stets seiner Sterblichkeit bewußt ist. Schon das hält ihn von den Großanlagen und unendlichen Entwürfen zurück, zu denen der Linke so leichten Herzens ansetzt. Aber da er im Bewußtsein seiner Sterblichkeit auch immer wieder die neue Geburt, die neue Schöpfung erfährt, setzt der Rechte um so unbefangener zur Gestaltung überschaubarer, in sich runder Gebilde an, die er dem Chaos entgegenstellt. Die Frage zwischen rechts und links ist also nicht die von Pessimismus oder Optimismus.“

Wenn man zu klären sucht, was von Mohlers Denken bleibt, dann fällt viel weg, was er selbst – und oft auch seine Gegner – ins Zentrum gerückt haben. Der „Nominalismus“ hatte so wenig Bestand wie die Kritik des Christentums, die Technokratie war kein Ausweg für die Konservativen, und die Orientierung am Gaullismus dürfte nur noch wenige überzeugen. Dagegen bleibt unumgänglich, die Art und Weise zur Kenntnis zu nehmen, in der Mohler die „Achsenzeit des Konservatismus“ analysiert hat. Nach wie vor lohnt die Lektüre seiner Analysen deutscher Vergangenheitsbewältigung und der Anmerkungen zu einem realistischen Politikverständnis im Sinne Carl Schmitts. Das festzustellen, heißt auch hervorheben, daß der Einfluß von Denkern wie Mohler nicht daran gemessen werden kann, ob sich irgend jemand an ihre Werkausgabe setzt. Der Einfluß ist einer, der aus der Lektüre folgt, deren Bedeutung Mohler – selbst ein rastloser Leser –  immer wieder betont hat.

Deshalb muß man darauf gefaßt sein, heute in einem Berliner Restaurant neben einem durchtrainierten jungen Mann zu sitzen, mit gepflegtem Vollbart, Typus Hipster – wie man im Gespräch erfährt: KSK und dann ein paar Jahre für den privaten Sicherheitsbereich tätig –, der auf die Frage, was ihn zu „uns“ geführt hat, lächelnd antwortet: „Ach wissen Sie, als ich 16 war, ist mir ein Buch von Armin Mohler in die Hände gefallen.“

Armin Mohler / Karlheinz Weißmann: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Ein Handbuch. Ares-Verlag, 2005, gebunden, 643 Seiten, 49,90 Euro