© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Zeitschriftenkritik: Attersee Report
Mit unserer Geworfenheit umgehen
Werner Olles

Herders Volkslexikon von 1963 definiert Nihilismus als „radikale Verneinung aller Werte oder positiver Glaubens- und Lehrsätze, im Relativismus und Skeptizismus seit je mit enthalten“. Mit dieser Thematik beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe (Nr. 23, März 2020) des Attersee Report. Chefredakteur Jörg Mayer verweist in seinem Editorial auf Martin Heideg-ger, der uns Fingerzeige gegeben habe, „wie wir mit unserer ‘Geworfenheit’ in die moderne Zivilisation auf bessere Weise umgehen können“. Nur die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergänglichkeit weise uns den Weg zur Heideggerschen „Eigentlichkeit“. Als ersten Schritt dazu empfiehlt er neben den von dem Philosophen empfohlenen regelmäßigen Friedhofsbesuchen eine neue Kultur des „Abdrehens“: „Wir müssen lernen, all das wieder abzudrehen, was uns zum ‘Uneigentlichen’ hinlenkt: all das wertlose Gerede auf den Bildschirmen, all die plappernden Gesichter, die uns im Fernsehen, auf Youtube usw. einreden, was wir über wen Schlechtes denken sollen“. Am Ende des Tages sei es allemal besser, zu einem guten Buch zu greifen und sich ins Nachdenken zu vertiefen.

Daß Heidegger sich vom kritischen Denken der rationalen Aufklärung distanzierte, von Kant und den Lehren des Sokrates, und einer Philosophie der Gefühle, des Willens und der Metaphysik folgte, betont der Philosoph Anton Grabner-Haider in seinem Beitrag „Todesmystik bei Martin Heidegger“. Dabei geht der Autor kritisch mit den Denkkonzepten Heideggers um, die aus Sicht der Philosophie, der Aufklärung und des kritischen Rationalismus eine „grandiose Selbsttäuschung“ gewesen seien. Heidegger habe nicht erkannt, daß seine Lehren seine eigene Lebensgeschichte spiegelten. Zwar waren viele Zeitgenossen fasziniert von der „Wortmagie des Seinsmystikers“, Ernst Topitsch erkannte jedoch, daß Heideggers Existenzanalyse mit beliebigen Inhalten gefüllt werden könne und keinen objektiven Gehalt habe.

Über Ernst Jüngers „Der Waldgang“ kommt Herausgeber Norbert Nemeth zu einer Betrachtung des Nihilismus bei Dostojewski. Der vom Zweifel erfaßte Mensch wird zum Pessimisten, und hernach führt sein Schicksal zu Aktionen im wert- und götterlosen Raum. Jünger sah hingegen im Nihilismus „die Verschmelzung, ja selbst die völlige Verwischung des Guten und des Bösen, die oft dem schärfsten Auge sich entzieht“. Er beschreibt dies als „das Entschwinden des Wunderbaren“. In „Schau der Zeit“, einer Analyse des „Waldgangs“, habe Parvis Amoghli ausgeführt, daß ein zentrales Merkmal nihilistischer Machtausübung die Instrumentalisierung der Angst sei, die Menschen zur formbaren Masse mache: „Die Machthaber leben immer in der entsetzlichen Vorstellung, daß nicht nur der Einzelne, sondern viele aus der Furcht heraustreten könnten.“ 

Weitere Beiträge befassen mit der „Häresie der Formlosigkeit“ (Michael Demanega) und einer Einordnung des Terrorismus als „politisches Paradigma des Kriegs aller gegen alle“ (Jörg Mayer).

Kontakt: Freiheitlicher Arbeitskreis Attersee, Blütenstr. 21/1. A-4040 Linz. Der Report erscheint vierteljährlich, das Abonnement ist kostenlos.

 www.atterseekreis.at