© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Erster Tag im Homeoffice. Ich sitze eine Stunde früher am Rechner, schließlich fällt ja die Anfahrtszeit ins Büro weg. Außerdem bin ich neugierig, wie das Arbeiten von zu Hause aus funktioniert. Wie werde ich mit den veränderten technischen Gegebenheiten zurechtkommen? Wie ist es um die Selbstdisziplin bestellt, wie umgehen mit potentiellen Ablenkungen? Rasch merke ich, daß etwaige Bedenken gegenstandslos sind. Zwar denke ich, als es einmal nicht so recht vorangehen will, einen kurzen Moment lang darüber nach, ob jetzt nicht Staubsaugen oder den Keller aufräumen angezeigt wäre, doch selbstredend sind das keine Optionen. Also bleibe ich am Schreibtisch sitzen und rauche erstmal – was im Büro aus guten Gründen seit jeher strengstens untersagt ist. Und am Ende des Tages reift die Erkenntnis, daß ich sogar mehr geschafft habe, als ich mir vorgenommen hatte.


„Saufen ist wie weinen, mit einem Dolch in der Brust / Es ist zu laut in meinem Kopf, zu laut in den Gedanken / Kann die ganze Welt bitte mal die Fresse halten?“ (Liedtext der Böhsen Onkelz aus ihrem neuen namensbetitelten Album)


Das prächtige Sonntagswetter lockt zu einem coronaviruskonformen Motorradausflug. Mehr kontaktlos sowie mich und andere schützend als auf dem Bike geht außerhalb der eigenen vier Wände wohl nicht. Gemächlich cruise ich, das Visier hochgeklappt, den Fahrtwind spürend, durch noch karge Brandenburger Frühlingslandschaften. Gegenwärtige Alltagsbeschwernisse in dieser Krisenphase verflüchtigen sich in Raum und Zeit; die Gedanken werden schwerelos. Und weil es vielen anderen Bikern offenbar genauso geht, grüßen wir uns lässig beim Entgegenkommen. Ein wenig nervig sind nur die zum Teil quietschbunt behelmten und ebenso gekleideten Reiskocher-Fahrer auf ihren Nähmaschinen, die durch die Gegend heizen, als gäbe es kein Morgen mehr. Dabei sind Rettungskräfte und Krankenhäuser derzeit schon belastet genug.


Ein an sich besonnener enger Freund, mit dem ich mich seit Jahrzehnten über Gott und die Welt austausche, fragte mich dieser Tage, wie ich angesichts der Virus-Pandemie so gelassen bleiben könne. Ihn versetze die Lage doch in ziemliche Unruhe, er sei mental angeschlagen. Mir fiel dazu nur ein Aphorismus des kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila aus dessen „Scholien zu einem inbegriffenen Text“ (Karolinger Verlag, 2006) ein: „Gelassenheit ist die Folge akzeptierter Unsicherheit.“