© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Ganz großes Kino
Youtube: Deutsche Amateurfilmer erobern das Kriegsfilmgenre / Ohne Hollywood-Klischees
Bernd Rademacher

Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges inspirieren die Filmindustrie bis heute. Die Ergebnisse sind abgesehen von den Spezialeffekten oft reichlich fragwürdig. Die Hollywood-Perspektive gleicht einem Ballerspiel, in dem die deutschen Soldaten nur namenlose „Nazis“ sind, die es wie Zombies zu erledigen gilt, am besten mit ein paar coolen Sprüchen auf den Lippen. 

Die norddeutsche Produktionsfirma ParaLight WorX sucht einen völlig anderen Ansatz: Die Filmemacher drehen Kurzfilme, die hohe Ansprüche an Authentizität und Glaubwürdigkeit stellen. Und das ohne Werbeeinnahmen und Gebührengelder, sondern nur durch internationale Fanunterstützung mit Beträgen zwischen zwei und 50 Dollar. Die Darsteller, Techniker und Helfer kommen aus ganz Deutschland, die Schwarm-Finanziers aus der ganzen Welt.

Zu einem Riesenerfolg wurde die Kurzfilmserie „Verstaubt sind die Gesichter“, die über drei Millionen mal auf Youtube angeschaut wurde und mehr als 40.000 „Daumen hoch“ erhielt. Die Serie handelt vom fiktiven Wehrmachtssoldaten Otto Degen und seiner 2. Kompanie, die im Sommer 1943 den Horror der Ostfront erlebt. Dabei zeigen die kurzen Episoden nicht nur Action-Geballer, sondern erzählen intensive, dramatische Geschichten.

So trifft Otto verwundet und verirrt auf einen ebenfalls verwundeten Rotarmisten. Beide tun sich, paralysiert vor Angst, Schmerz und Überdruß, gegenseitig nichts an, sondern teilen Zigaretten und Wurst, bevor sie ihrer Wege gehen. Am nächsten Tag mäht ein russischer MG-Schütze einige von Ottos engsten Kameraden nieder, bevor Otto von seinem Offizier dazu getrieben wird, unter größter Lebensgefahr das MG-Nest zu vernichten. Otto tötet den Schützen und erkennt den russischen „Freund“ vom Vortag. Zur „Verherrlichung“ taugen solche Sujets nun wirklich nicht.

Zuschauer loben die deutsche Perspeltive

Die aufwendige Ausrüstung und historische Rahmenhandlung entsprechen der Realität, die Geräuschkulisse haben die Macher teils in Lizenz von Computerspielen übernommen. Die Amateurdarsteller sprechen etwas hölzern, aber das tut der Spannung und Emotion keinen Abbruch. Die Kamera ist immer dicht dran, man glaubt förmlich, das Herzklopfen der Akteure zu spüren. Auf großartige Spezialeffekte verzichtet die „No Budget“-Produktion ebenso, wie auf explizites Gemetzel. Was man sieht, ist grausam genug.

Otto und seine Kameraden sind im Wahnsinn des Krieges gefangen – bis eine verirrte Kugel beim Kampf um die Vororte der weißrussischen Stadt Orscha seinem jungen Leben ganz unspektakulär ein Ende setzt. Hier wird weder heroisiert noch dämonisiert, sondern einfach realistisch nachgezeichnet.

Den Zuschauern – vor allem aus dem englischsprachigen Raum – gefällt das: „Besser als Hollywood“, schreibt Willis aus Oklahoma übersetzt in den Kommentaren. Ahmad meint: „Endlich sehen wir den WK II mal aus deutscher Sicht. Die waren also auch Menschen.“ Tessa le Roux schreibt: „Gut, daß auch mal erzählt wird, was die deutschen jungen Männer durchmachen mußten.“ Und immer wieder sind sich die Kommentarschreiber aus den USA, England, Frankreich und Rußland einig: Viel besser als die üblichen Blockbuster mit ihren Stereotypen und Klischees. 

Neben Kriegsfilmen produzieren die Enthusiasten von ParaLight WorX auch ambitionierte Mittelalter- und Gangsterfilme, einen Podcast sowie unter dem Namen „Kriegstagebücher“ vorgelesene Augenzeugenberichte als Hörbücher. Den meisten Zuspruch erhalten aber die Serien über den Zweiten Weltkrieg. „Roter Schnee“, ein Film über die Schlacht im berüchtigten Hürtgenwald, wurde rund drei Millionen mal angesehen; „Breslau 45“ ebenfalls und „Kurland ’44“ sogar fast sieben Millionen mal. „Roter Schnee“ war auch die erste Produktion, bei der eine professionelle Kamera zum Einsatz kam und die Tontechnik nichts mehr zu wünschen übrigließ. Seitdem haben die Kameraleute mit ihrer Bildsprache eine ganz eigene und unverwechselbare Handschrift entwickelt. Trotz der kleinen schauspielerischen Holprigkeiten ist die Illusion, mitten im Geschehen zu sein, nach wenigen Minuten perfekt.

In den vergangenen zwölf Jahren haben die Autodidakten um das Kernteam aus Ludwig Bachmann, Tristan Hebestreit, Adrian Martin und Jonathan Williams über 50 Kurzfilme von fünf bis 35 Minuten Dauer gedreht und auf Youtube hochgeladen – und etliche Drehbücher warten noch auf ihre Verfilmung.