© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Zehn Morde im Rombachtal
Bis heute ist das Massaker an Deutschen von französischen Soldaten in einem Forsthaus im Schwarzwald unaufgeklärt
Martina Meckelein

Im Eingang des Forsthauses liegt Mina Schultheiß – erschossen. Ob der 44jährigen Frau auch die Kehle durchgeschnitten ist, wird später aus den spärlichen Berichten nicht klar. Weiter ins Innere des Gebäudes wagt sich die Zeugin Felicitas Becker nicht. Eigentlich war sie zum Forsthaus gegangen, um beim Kartoffelsetzen zu helfen. Jetzt läuft die 18jährige über den teils geschotterten Waldweg kilometerweit zu den nächsten Nachbarn. Mittags erreicht eine alarmierte französische Patrouille den Tatort. Neun Tote liegen in dem alten einsamen Forsthaus. Sie werden dort noch tagelang verwesen.

Es ist der 25. April 1945. Bis heute schweigen die Franzosen über ein bestialisches Verbrechen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, so wie sie über alle Plünderungen und Vergewaltigungen im Südwesten Deutschlands durch die Grande Nation schweigen.

Im oberen Rombachtal, rund vier Kilometer von Enzklösterle (etwa zwischen Baden-Baden und Freudenstadt)entfernt liegt das Forsthaus Rombach mitten im Nordschwarzwald. Das Haus mit den grünen Fensterläden ist heute noch zu besuchen. Es verfällt zwar, es ist im Eigentum des Landes, aber es steht noch – Denkmalschutz. Rund 200 Jahre lebte hier die Familie des Revierförsters Schultheiß. Ende März, Anfang April 1945 muß sich die Familie immer wieder im Keller des Hauses verstecken.

Denn unter dem Befehl des Generals Jean Joseph-Marie Gabriel de Lattre de Tassigny rückt die 1. Französische Armee, 1942 in Nordafrika aus marokkanischen, algerischen und tunesischen Soldaten zusammengestellt und später durchsetzt mit Partisanen, die mit Wissen und auf Wunsch von de Gaulle eingegliedert worden sind, über den Schwarzwald gen Westen vor (siehe nebenstehender Beitrag). De Lattre will so schnell wie möglich nach Osten vorrücken, dabei die 18. Deutsche Armee spalten und darüber hinaus den US-Amerikanern zuvorkommen. Er kommt weit, bis ins schwäbische Stuttgart. Er und seine Armee hinterlassen eine Spur der Verwüstung, gekennzeichnet durch Brandschatzungen, Morde, Plünderungen und Vergewaltigungen.

Zurück ins badische Forsthaus. „Die ganze Familie Schultheiß hielt sich während des Beschusses im Keller des Forsthauses auf“, beschreibt 1995 die Heimatzeitung Der Enztaler, 50 Jahre nach dem Massaker an der Familie, die Tage im April 1945. „Förster Max Schultheiß und sein ältester Sohn Erich, der wenige Wochen vorher wegen seiner schweren Kriegsverletzungen als kriegsunfähig aus der Wehrmacht entlassen worden war, wurden zusammen mit einem Bruder des Försters aus dem Keller geholt und mußten den bitteren Weg in die französische Gefangenschaft antreten.“ Elf Tage noch bis zum Mord.

Zurück bleiben: Eugen Schultheiß, der 65jährige Bruder des Försters, mit seiner Tochter Franziska Scheuers (25) und ihrem Baby (vier Monate), die aus Luxemburg in den Schwarzwald evakuiert wurden. Dann die Ehefrau des Försters, Mina Schultheiß (44), ihre Töchter Marie-Luise (9) und Margarete (14) aus erster Ehe und der gemeinsame Sohn Fritz (7). Im Haus leben auch Mina Schultheiß’ Nichte (25) mit ihren Kindern Rotraud (4) und Eberhard (2) und die 16jährige Haushaltshilfe Marta Trautz.

 Die Leichen werden sechs Tage später beerdigt

Um es kurz zu machen: Fast alle hier aufgeführten Menschen werden später ermordet aufgefunden – angeblich erschossen. Nur das vier Monate alte Baby und der kleine Fritz Schultheiß, der Sohn des Försters, leben. Der Siebenjährige wird unter einer Bettdecke entdeckt, die Einschußlöcher aufweist. Er bleibt unverletzt. Wird aber sein ganzes Leben kein Wort über das Massaker sagen. Zwar bergen Zeugen, die in das Haus gemeinsam mit den Franzosen gehen müssen, auch das vier Monate alte Baby, doch es stirbt Tage später an Schlagverletzungen.

Die alarmierten Franzosen, die die Gegend besetzt haben, verbieten den Abtransport der Toten. Die Leiche der kleinen Marta Trautz darf von ihrem Vater erst Tage später auf einer offenen Schubkarre zum Friedhof geschoben werden. Die Beerdigung der Ermordeten findet am 1. Mai 1945 in Enzklösterle statt. Die Franzosen halten es nicht für nötig, den im Lager in Kolmar/Elsaß inhaftierten Förster Schultheiß über die Ermordung der Familie zu informieren. Vom Tod seiner Familie erfährt er erst am Heiligabend 1945 durch einen Croupier der Spielbank Baden-Baden, der ebenfalls gefangengenommen wurde. Die Franzosen fertigen zwar Polizeiberichte an, veröffentlicht werden die aber nur teilweise, heute seien sie verschollen.

Die Franzosen beginnen sofort nach der Besetzung die Verwaltung zu zerstören, teils als Entnazifizierung getarnt. Die Besatzer setzen sogenannte „Antifaschistische Vertrauensräte“ ein, deutsche Kommunisten, die die Franzosen beraten. Dadurch wird die Plünderung vereinfacht. Alles was die Franzosen gebrauchen können, Hausrat, Fahrräder, Schmuck, wird als Requisitionen bezeichnet. „Die im eigentlichen Sinne Reparationsleistungen waren, denn sie dienten nicht mehr dem Unterhalt der Truppe“, schreibt Gregor Swierczyna in dem Buch „Einmarsch–Umsturz–Besatzung–Befreiung–Wiederbeginn“. Die Plünderungen halten bis weit über das Jahr 1948 an.

Der General, unter dessen Befehl Tausende deutsche Frauen und Mädchen vergewaltigt und ermordet wurden, starb, nachdem sein Sohn im Indochinakrieg fiel, 1952 an Krebs.

In Schwäbisch Hall lebt noch heute die Stieftochter von Max Schultheiß. Zu den Morden will sie sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT nicht äußern: „Himmel, nein, ich sage nichts dazu.“ Der einzige Überlebende, Fritz Schultheiß, wohne in Brasilien. Das Forsthaus stehe zum Verkauf, glaubt eine Mitarbeiterin der Stadt Enzklösterle sich zu erinnern.