© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Blaue Wimpel für die Junge Freiheit
Ferienspaß oder politische Indoktrinierung: Marcel Piethe über die organisierten Jugendlager in der DDR
Felix Krautkrämer

Eine der prägenden Erfahrungen, die Ossis und Wessis voneinander unterscheiden, ist das Erlebnis „Ferienlager“. Fast jeder, der in der DDR aufgewachsen ist, hat irgendwann einmal Bekanntschaft damit gemacht. Trotz dieser Omnipräsenz in den DDR-Biographien hat es zu diesem Thema bislang wenig über persönliche Erinnerungen hinausgehende Veröffentlichungen gegeben. 

Ein kleiner Verlag, der sich vorwiegend mit der Geschichte Brandenburgs befaßt, hat sich des Themas angenommen und zumindest für diese Region eine bebilderte Bestandsaufnahme vorgelegt. Sie bietet demjenigen, der im „anderen“ Teil Deutschlands groß wurde, interessante Einblicke in die Welt der Ferienlager und dürfte bei denen, die es erlebt haben, manche Erinnerung wecken – angenehme wie unangenehme. Das Buch widmet sich zuerst den Ursprüngen der Ferienlager, aus denen in der DDR eine staatliche Institution wurde. Ein wichtiger Anstoß kam aus der Jugendbewegung, die ihre Wurzeln  im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte und mit Fahrten und Lagern viele Jugendliche der ausgehenden Kaiserzeit und der zwanziger Jahre prägte. 

Jugendlager als Mittel der ideologischen Schulung

Hinzu kam die allgemeine Politisierung während des Ersten Weltkriegs, die vor der Jugend nicht haltmachte und in der jungen Sowjetunion zur Gründung einer staatlichen Jugendorganisation führte, an der sich in Deutschland die politischen Strömungen von der Hitlerjugend bis zur Kommunistischen Jugend orientierten. 

Das erste Pionierlager der Kommunistischen Jugend fand 1928 in der Nähe von Templin statt. Damit war eine Tradition begründet, an die die Kommunisten mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ) nach 1945 in der SBZ anknüpften. Ihr erstes zentrales Ferienlager 1947 in Weida (Thüringen) trug übrigens den Namen „JUNGE FREIHEIT“. Die Besatzungsmacht unterstützte diese Bemühungen tatkräftig, war in der Sow-jetunion die Jugendarbeit doch schon lange ein erprobtes Mittel der ideologischen Schulung des Nachwuchses. Um die Frage, inwieweit die DDR-Ferienlager auch für die Gegenwart noch eine gewisse Vorbildwirkung haben könnten und Ausdruck der Sorge des Staates um das Wohl seiner Jugend waren, oder ob sie nicht doch eher dem Zweck dienten, die Jugend von den Elternhäusern zu entfremden, um sie so besser im Sinne des Sozialismus zu erziehen, gibt es bis heute Streit. Dabei hing das Maß dieser Indoktrination nicht zuletzt davon ab, in welcher Art Ferienlager man war oder wer sie leitete. Die meisten Ferienlager wurden von Betrieben unterhalten, die dafür sorgen mußten, daß die Eltern, die häufig beide erwerbstätig waren, sich während der langen Sommerferien nicht ständig um die Kinder kümmern mußten. Hier dürfte die Indoktrination wohl eine geringere Rolle gespielt haben. 

Das Buch widmet sich aber im Schwerpunkt den zentralen Pionierlagern, von denen es in Brandenburg vierzehn gab. Hinzu kam die „Pionierrepublik Wilhelm Pieck“ am Werbellinsee, in der es ganzjährig Schulungen gab. Zu diesen Lagern wurde man aufgrund schulischer Leistungen in Kombination mit gesellschaftlichem Engagement delegiert. Hier wehte ein anderer Wind. So wurde zum Beispiel, wie die Bildern zeigen, ständig streng nach Vorschrift das Pionierhalstuch getragen, was laut Berichten von Teilnehmern in den Betriebsferienlagern keine große Rolle spielte. 

Dieser Unterschied spiegelt sich auch in den teils sehr verschiedenen Erinnerungen wider, die im Anhang des Buches abgedruckt wurden. Die positiven Erlebnisse stehen aber auch hier im Vordergrund, egal in welcher Art Lager man war. Vor allem wird deutlich, daß sich der Wert der eigenen Jugend nicht am Wert des Systems messen läßt, in dem sie stattfand.

Marcel Piethe: Blaue Wimpel im Sommerwind. DDR-Ferienlager in Brandenburg 1949–1989. Die Mark Brandenburg. Verlag für Regional- und Zeitgeschichte, Berlin 2020, broschiert, 167 Seiten, 16,80 Euro