© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Kabinenklatsch
Spiel mit den Glaskugeln
Ronald Berthold

In Erfurt stand keine Glaskugel. Sonst hätte der Fußballclub Rot-Weiß den Rückzug vom Spielbetrieb vielleicht um wenige Wochen verzögern und in eine Corona-Insolvenz umwandeln können. Dann wäre ihm wohl Hilfe sicher gewesen. So aber hat sich der Traditionsverein am 29. Januar von der Regionalliga Nordost zurückgezogen. Alle seine Spiele wurden annulliert. Auch Ex-Bundesligist Wattenscheid 09 hat in der laufenden Saison schon eine Pleite hingelegt und seine Mannschaft zurückgezogen.

So furchtbar neu sind Insolvenzen im Fußball also nicht. Daß allerdings im Zuge der Corona-Krise gleich 13 der 36 Erst- und Zweitligavereine vor dem Aus stehen, hat eine neue Dimension. Einige haben sogar schon die noch ausstehende und ungewisse letzte Rate der Fernsehgelder verpfändet, um überhaupt noch ihre Rechnungen bezahlen zu können.

Wie viele der 13 bedrohten Klubs den Weg von Erfurt gehen müssen, ist noch ungewiß.

Steht möglicherweise in Frankfurt am Main anders als in Erfurt eine Glaskugel? Denn bereits vor dieser unangenehmen Überraschung hatte die DFL das Lizensierungsverfahren für die kommende Saison gelockert. Abgeschafft hat sie auch die bisher üblichen neun Punkte Abzug, sobald ein Klub Insolvenz anmeldet. Wahrscheinlicher als Wahrsagerei ist, daß die DFL sehr genau Bescheid wußte, auf welch dünnem Eis sich manche Profi-Vereine bewegen. Und daß ihnen die Corona-Pause mit den ausbleibenden Zuschauereinnahmen und den wegbrechenden TV-Geldern den Rest geben könnte. Auch wenn die Millionenblase, in die sich die Profivereine mit horrenden Spielgehältern und Ablösesummen begeben haben, offensichtlich war, überrascht es schon, daß es nun gleich mehr als jeder dritte Klub sein könnte, der die Grätsche macht. Einen wochenlangen Komplett-Ausfall der Liga hatte kein Schatzmeister im Etat berücksichtigt. Um das einpreisen zu können, hätten alle Vereine eine Glaskugel gebraucht. Wie viele der 13 bedrohten Klubs müssem nun tatsächlich den Weg von Erfurt gehen? Irgendwie werden sie wohl gerettet werden. Was würde man in Thüringen dafür geben, das vorher gewußt zu haben?