© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Wende um 180 Grad
Machtkampf: Bündnisse bilden sich in der AfD nicht immer aufgrund gemeinsamer Überzeugungen, sondern als punktuelle Interessengemeinschaften auf Zeit
Christian Vollradt

Es klingt wie das vehemente „Nein!“ zum jüngsten, mittlerweile von ihm selbst öffentlich als „großen Fehler“ bezeichneten und zurückgezogenen Vorstoß des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen, die Partei entlang einer programmatischen Bruchlinie zu trennen (JF 16/20): „Die politische Aufgabe der AfD ist zu wichtig, um sie in zwei Fraktionen zu verfolgen.“ Tatsächlich richtete sich dieser Satz gegen Meuthen. 

Doch die Aussage ist fast vier Jahre alt. Und sie stammt von jemandem, dem man dies rückblickend kaum zuordnen würde: Frauke Petry. Ausgerechnet von derjenigen also, die sich unmittelbar nach dem Einzug in den Bundestag als Vorsitzende von der AfD trennte; die dies mit einem Rechtsruck der Partei, der innerparteilichen Dominanz des „Flügels“ begründet und die den – bisher letzten gescheiterten – Versuch unternommen hatte, eine Wahlalternative zwischen Union oder FDP auf der einen und AfD auf der anderen Seite zu etablieren.

Als Frauke Petry mit den sehr Rechten kungelte

Im Juli 2016 jedoch war die Situation noch eine andere: Da kämpfte Petrys Co-Bundesvorsitzender Meuthen als Chef der ziemlich amorphen Landtagsfraktion in Stuttgart damit, eine qualifizierte Mehrheit für den Rauswurf Wolfgang Gedeons (JF 14/20) zu organisieren. Als dies scheiterte, zog Meuthen wie zuvor angekündigt die Reißleine und bildete schließlich mit 13 weiteren Landtagsabgeordneten die Fraktion „Alternative für Baden-Württemberg“. Petry war auf dem Höhepunkt der Turbulenzen ohne vorherige Absprache mit ihrem Co-Bundessprecher nach Stuttgart gereist, um quasi in letzter Minute doch noch Gedeon zum freiwilligen Ausscheiden aus der Fraktion zu bewegen. In dieser Situation fiel der eingangs zitierte Satz. 

Petry, so berichten es Zeugen der damaligen Auseinandersetzungen, hatte jedoch zuvor im Hintergrund die fraktionsinternen Widersacher Meuthens bestärkt, seinem Wunsch nach einem zügigen Rausschmiß Gedeons nicht zu entsprechen. Nicht etwa, weil sie inhaltlich mit ihnen oder gar den antisemitischen Thesen Gedeons übereinstimmte; sondern weil sie die Gelegenheit nutzen wollte, den Mann zu düpieren, mit dem sie sich die Doppelspitze der AfD teilte – und von dem sie sich in ihrer führenden Rolle zunehmend bedroht sah. Nach dem Motto: Er kann es nicht, ich schon. Ein gutes Jahr, bevor Frauke Petry der AfD den Rücken kehrte, weil die sich ihrer Meinung nach zu sehr radikalisiert habe, hatte sie also durchaus noch mit denen paktiert, die in ihren Augen schon damals zu den „Radikalen“ gehört haben müssen.

Bei internen Auseinandersetzungen in der AfD geht es nicht immer um inhaltliche Positionen zwischen klar voneinander abgrenzbaren Lagern, sondern häufig auch um Machtfragen oder persönliche Animositäten und puren Konkurrenzkampf. Und dabei können die „Koalitionspartner“ durchaus auch schon mal wechseln.

So warf Alice Weidel beispielsweise vor drei Jahren Jörg Meuthen vor, er habe sie „abgeschossen“ – und zwar mit Hilfe des „Flügels“. Damals war die heutige baden-württembergische Landesvorsitzende in einer Kampfkandidatur um die Spitze der Südwest-AfD Meuthens seinerzeitigem Büroleiter Ralf Özkara unterlegen, der zum „Flügel“ gehörte. 

Und als im Dezember 2017 beim Bundesparteitag in Hannover Jörg Meuthen erneut zu einem der beiden Bundesvorsitzenden gewählt wurde, profitierte er durchaus davon, daß dank des „Flügels“ nicht der Berliner Georg Pazderski zum Co-Sprecher gewählt wurde; weil ihm dessen möglicher Einfluß auf die Parteizentrale nicht recht behagte. Dem „Flügel“ gehöre er nicht an, so Meuthen damals, er sehe ihn aber als einen – „ich betone: einen“ – integralen Bestandteil der Partei an. In Hannover hatte beispielsweise „Flügel“-Boß Björn Höcke Alice Weidel „Ämterhäufung“ vorgeworfen und in diesem Zusammenhang den Begriff „Sonnenkönigin“ verwendet – was von den Weidel-Unterstützern mit Buhrufen quittiert wurde.

Von diesem einstigen Antagonismus ist derzeit nichts mehr zu spüren; Alice Weidel steht dem laut Beschlußlage aufzulösenden „Flügel“ mittlerweile deutlich näher – was von manchen in der Partei durchaus kritisch vermerkt wird. Nicht verborgen blieb auch, daß sie im März im Bundesvorstand für eine „weichere Gangart“ der Gruppierung gegenüber plädiert hatte und nicht einer Auflösung, sondern einem langsamen „Rückbau“ den Vorzug gegeben hätte. Gerüchte, sie sei ein Bündnis mit den „Flügel“-Leuten Höcke und Kalbitz eingegangen, hatte Weidel stets als „Unsinn“ zurückgewiesen. Sie betonte statt dessen, als Fraktionsvorsitzende „immer zum Dialog bereit sein“ zu müssen.

Die feste Einteilung in ein „Flügel“-Lager auf der einen und ein Anti-„Flügel“-Lager auf der anderen Seite wird von vielen in der AfD ohnehin für nur noch wenig sinnvoll erachtet. Es habe sich in der Partei eine Art „breiter Mainstream“ gebildet, der sich weder zum einen noch zum anderen Lager zähle, sondern von Fall zu Fall entscheide.  

Vor der jüngsten Wahl zum Landesvorstand in Baden-Württemberg hatten Weidel und Meuthen zeitweise am selben Strang gezogen; da ging es gegen einen gemeinsamen Gegner, den vorherigen Co-Landesvorsitzenden Dirk Spaniel, dessen Wiederwahl beide verhindern wollten. Nun ist der alte Konflikt wieder ausgebrochen

Grund könnte nicht zuletzt Konkurrenz sein. Denn bald stellt sich die Frage, wer als Spitzenkandidat die AfD in den Bundestagswahlkampf führen soll. Daß es Weidel noch mal will, gilt als sicher. Und auch Parteichef Meuthen wird der Wunsch, von Brüssel nach Berlin zu wechseln, nachgesagt. Das Problem: beide stammen aus demselben Landesverband.