© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Nicht für alle Risiken gibt es eine gute Police
Schadenversicherungen: Keine Zahlungen in der Corona-Krise? / Für Hoteliers und Gastronomen zeichnet sich eine Lösung ab
Paul Leonhard

In der Werbung und bei Vertragsabschluß werden Versicherungspolicen in den hellsten Farben gemalt. In der Praxis ist es nicht nur bei Kasko-, Hausrat- oder Reiserücktrittsversicherungen nicht so einfach, im Ernstfall einen Schaden reguliert zu bekommen – wofür es dann die Rechtsschutzversicherung oder den Versicherungsombudsmann gibt.

Um ganz andere Summen und oft die schlichte Existenz geht es bei Firmen, die unter den Folgen der Corona-Pandemie zu leiden haben. Greifen für diese dann die teure Betriebsunterbrechungs- oder die Betriebsschließungsversicherung? Erstere deckt standardmäßig Sachschäden ab, die auf Brand, Diebstahl, Sturm oder sonstige Naturgefahren zurückgehen. Und die zweite Versicherung gilt, wenn im Unternehmen selbst Krankheiten oder Krankheitserreger auftreten und die zuständige Behörde die Schließung anordnet.

Die Tücke liegt im Kleingedruckten, das selbst manche Juristen überfordert – vom Ingenieur, dem Bäckermeister oder dem Soloselbständigen ganz zu schweigen. Vom Versicherer hätte eine Pandemie zusätzlich in der Police festgeschrieben werden müssen. Die Betriebsschließungsversicherung greife nur, wenn es sich um eine behördliche Einzelverfügung handelt, die auf einen Krankheitserreger im betroffenen Betrieb abstellt: „Eine Pandemie oder die Schließung eines von Krankheit nicht betroffenen Betriebes aus Gründen der allgemeinen Sicherheit fällt üblicherweise nicht darunter“, argumentiert der Versichererverband GDV.

Gezahlt werde nur, wenn „konkret versicherte Krankheiten“ aufgetreten sind und man sich exakt gegen diese versichert hat: ein Salmonellenbefall in der Eisdiele, Kolibakterien in einer Fleischerei oder ein Norovirus bei Hotel­angestellten. Der Ausweg wäre gewesen, eine sachschadenfreie Betriebsunterbrechungsversicherung abzuschließen, die Seuchen wie Sars gegriffen hat. Diese ist aber ein Nischenprodukt geblieben.

Kompromißangebot für Wirtshäuser oder Hotels

Konkret heißt das: Im Regelfall greift die Standardversicherung nicht, weil Betriebe aus generalpräventiven Gründen geschlossen wurden, um Sozialkontakte zu minimieren. Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 kann auch in keiner Versicherungspolice konkret aufgelistet sein, weil es Ende 2019 überhaupt erstmals nachgewiesen wurde. Die Versicherungen wären damit eigentlich fein raus, gäbe es nicht Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, die mit ihrer „bayerischen Lösung“ wenigstens dem Gastgewerbe helfen wollen. Diese sieht vor, daß die Versicherer zwischen zehn und 15 Prozent der bei Betriebsschließungen vereinbarten Tagessätze übernehmen und an Wirtshäuser oder Hotels auszahlen. Zwar handelt es sich bei dem vom Aiwanger-Ministerium erarbeiteten Papier lediglich um eine Empfehlung, aber wichtige Organisationen wie die Dehoga Bayern, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, die Versicherungskammer Bayern, die Allianz, die Haftpflichtkasse VVaG sowie Gothaer, Zurich-Gruppe, Nürnberger oder Signal-Iduna haben Unterstützung signalisiert.

Bisher reduziere sich durch Unterstützungsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Soforthilfen aus Bund und Land sowie die ersparten Aufwendungen der wirtschaftliche Schaden eines Unternehmens im Durchschnitt um rund 70 Prozent, rechnet das Wirtschaftsministerium vor. Die Versicherer seien bereit, „in Hinblick auf die verbleibenden Einbußen von rund 30 Prozent einen freiwilligen Beitrag zu leisten“. Wie hoch dieser Beitrag letztlich ist, wird sich zeigen. Einige Versicherer übernehmen den Söder-Vorschlag einer Zahlung von 15 Prozent der jeweils vertraglich vereinbarten Tagesentschädigung, also die Hälfte der verbliebenen Einbußen.

Andere deckeln ihre Zahlungen. So hat die Generali einen mit 30 Millionen Euro ausgestatteten Fonds eingerichtet, um ihre Versicherungsnehmer zu unterstützen. Inzwischen haben andere Versicherer angekündigt, die bayerische Lösung bundesweit anwenden zu wollen. Allerdings bezieht sich die Münchner Initiative nur auf eine Branche, während letztlich nahezu die gesamte Wirtschaft von Betriebsschließungen betroffen ist. Unklar ist beispielsweise, wie Assekuranzen mit der Veranstaltungsausfallversicherung umgehen, wenn kein Zusatzschutz abgeschlossen wurde.

Kommt nach der Pandemie ein neues Risikobewußtsein?

Hinzu kommt: Viele Versicherungen sind AGs – und manche Aktionärsvertreter haben kein Verständnis für zu viel Kulanz. Aber auch Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit können bei zu viel Verständnis in Schieflage geraten. Wenn der Gesetzgeber die zu versichernden Risiken erweitert, kann nicht mehr seriös kalkuliert werden. Nicht alle Risiken sind versicherbar. Und daß sich nach überstandener Pandemie bei den weltweit agierenden Unternehmen ein neues Risikobewußtsein einstellen wird, bezweifeln Versicherungsexperten.

Als nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull-Vulkans 2010 auf Island der Flugverkehr in Deutschland auf behördliche Anweisung eingestellt wurde, sei das Interesse an sachschadenfreien Betriebsunterbrechungspolicen groß gewesen, weil viele Unternehmen ihre Produktion wegen Lieferproblemen drosseln mußten. Mit der Aschewolke sei auch das Interesse wieder schnell verschwunden, so Gunther Kraut von der Münchener Rück. Und wenn Unternehmen weltweit gleichzeitig Schäden geltend machen, funktioniert das Prinzip der Risikostreuung nicht mehr. „Ab einem bestimmten Punkt ist die Grenze der Versicherbarkeit erreicht“, warnt Kraut auf Versicherungsjournal.de. Eine Alternative wären dann Katastrophenanleihen, wie es sie schon bei Hurrikans gibt.

 www.stmwi.bayern.de/coronavirus

 www.bundderversicherten.de

 wwwversicherungsombudsmann.de