© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Falsches Mittel zur falschen Zeit
Corona-Bonds: Drohende Schuldengemeinschaft / Warum nicht erst mal zur Selbsthilfe greifen?
Dirk Meyer

Auf Sir Winston Churchill geht der Spruch zurück „Never let a good crisis go to waste“ – „Laß keine Krise ungenutzt“. Diese Strategie strapaziert derzeit Italien in Sachen ‘Corona-Bonds’ – Europäische Anleihen mit gemeinschaftlicher Staatenhaftung, kurz: Eurobonds. Für EU-Parlamentspräsident David Sassoli sind Corona-Bonds nur „ein Paket einer ersten Phase“. Nötig sei „eine Einladung an die Staaten, alle verfügbaren Gelder auszugeben, um das Leben der Bürger zu retten. Das muß begleitet werden von der Garantie für die Schulden, die die Staaten machen.“

Ex-Premier Mario Monti droht offen: Wenn Deutschland nein zu gemeinsamen Instrumenten sagt, so bedeutet das, „daß es dann in der Realität die Unabhängigkeit der EZB nicht mehr gibt – zur Freude vieler Italiener“. Oppositionsführer Matteo Salvini fordert gar, Italien solle jetzt selbst Geld drucken und zinsbegünstigte Staatstitel ausgeben. Man brauche die EU nur, wenn sie jetzt zahlt. Angesichts Target-2-Schulden gegenüber dem Eurosystem von 439 Milliarden Euro und der italienischen Staatspapiere bei der EZB von etwa 40 Milliarden Euro wird das Drohpotential mit Corona-Bonds deutlich.

Altbekannte Eurobonds nur mit neuem Namen

Dabei sind Eurobonds im Krisenmodus der Rettungsschirme bereits unterschwellig Realität. Die Euro-Staaten haften für Kredite der Rettungsschirme anteilig in Höhe ihres Kapitals an der EZB. Für Deutschland sind es 26,4 Prozent, entsprechend 186,1 Milliarden Euro. Sollte ein Staat ausfallen, erhöht sich der Haftungsanteil der übrigen Staaten. Es handelt sich also um „indirekte“ Eurobonds, da die Haftung letztendlich gesamtschuldnerisch bis zur Höhe der Haftungshöchstgrenze erfolgt.

Die Corona-Bonds unterscheidet von Eurobonds lediglich die Zweckbindung zur Pandemie-Bewältigung. Die italienische Forderung nach Corona-Bonds ist verständlich: Auf eine Prüfung der Rückzahlungsfähigkeit wird verzichtet; etwaige Auflagen oder gar ein Auflagenprogramm entfallen; eine Schuldenanrechnung auf die wichtige Zielgröße „Schuldenquote“ erfolgt nur anteilig; der Kredit hat niedrige Zinsen, und die gemeinschaftliche Haftung hält den Kapitalmarktzugang offen.

Doch nicht nur rechtliche Barrieren stehen Eurobonds entgegen. So schließt der EU-Vertrag diese generell aus. Das Beistandsverbot verbietet die Haftung für Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten. Eurobonds wären allenfalls möglich bei Projektfinanzierungen der Europäischen Investitionsbank (EIB). Daneben sprechen wirtschaftliche Argumente gegen eine Schuldengemeinschaft: Es entstehen erhebliche Umverteilungseffekte, indem die Zinssätze für nationale Staatsanleihen von denen für Eurobonds abweichen.

Für die solventen Mitglieder kommen, neben einer erhöhten Risikoprämie im Zins für das Ausfallrisiko bonitätsschwächerer Staaten, die tatsächlichen Ausfallkosten hinzu. Der Zinsanstieg würde prinzipiell auch auf deren national herausgegebenen Staatsanleihen ausstrahlen, da die Bonität stärkerer Länder durch den Risikotransfer leiden würde. Damit verbunden ist ein Mangel an Transparenz, denn die Mehrkosten werden zwar haushaltswirksam, aber in der Höhe nicht offengelegt.

Die unentgeltliche Risikoabwälzung der bonitätsschwachen Staaten stellt eine Versicherung ohne Gegenleistung dar, die zu Fehlanreizen führt. Der Marktmechanismus, der steigende Renditen als gewollten Korrekturmechanismus beinhaltet, wird außer Kraft gesetzt. Unabhängig davon führt die Zinssubventionierung zu einer Kapitalfehlleitung in die instabilen Länder. Notwendige Strukturreformen können aufgeschoben werden.

Umgekehrt zeigt der Zinsanstieg in den stabilen Mitgliedstaaten die Gefahren einer Schwächung durch eine Haftung für Zahlungsausfälle anderer Staaten. Dieser Zinsanstieg könnte sich in Deutschland bei Hypothekenkrediten und Unternehmensanleihen fortsetzen, da Investoren Steuererhöhungen und Vermögensabgaben im Krisenfall erwarten. In der Folge wandert Kapital in die Krisenländer und in das übrige Ausland, mit negativen Wachstumseffekten für die unterstützenden Staaten.

Italien ist nicht arm. Allerdings besteht dort eine Diskrepanz zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum. Nach methodisch vergleichbaren Erhebungen der nationalen Zentralbanken (2014) ist das durchschnittliche Vermögen deutscher Privathaushalte mit 214.500 Euro ähnlich hoch wie das italienische mit 218.000 Euro. Damit hätte Italien eine relativ breite Basis für eine Zwangsabgabe.

Corona-Zwangsanleihe für Vermögende in Italien?

Diese könnte eine einmalige Vermögensabgabe ähnlich dem Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg, ein periodischer Steuerzuschlag (Corona-Soli) oder eine Zwangsanleihe für Vermögende sein. Seit 2012 gibt es in Italien bereits eine „Patriotenanleihe“ auf freiwilliger Basis – warum nicht zukünftig statt Corona-Bonds eine Zwangsanleihe für inländische Vermögende? Demokratische Legitimation und Verwendungskontrolle würden das nationale Gemeinwesen stärken, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Verausgabung fördern und langfristige Konflikte in der EU vermeiden helfen.

Ein situativ bedingtes Zugeständnis von Corona-Bonds unter juristisch fragwürdigem Vorgehen wäre kaum zu revidieren. Eurobonds würden die Finanzierung hochverschuldeter Eurostaaten auf Dauer übernehmen – die Transferunion würde Realität. Umgekehrt reichen die derzeit diskutierten EU-Mittel kaum aus, um den bonitätsschwachen Staaten ausreichende Hilfen bei erschwertem Kapitalmarktzugang zu gewähren. Der EU stehen schwere Zeiten bevor, an denen die Eurozone oder gar die gesamte Union zerbrechen könnte.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Sein neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer Verlag 2019) zeigt Analysen und Konzepte für einen Neuanfang auf.