© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Das absehbare Ende akademischer Lesekultur
Digitale Transformation
(dg)

Als sich wegen der Corona-Pandemie die bundesweite Schließung aller Museen, Bibliotheken, Theater und Konzerthäuser ankündigte, spendete Ulrike Liedtke, Vizepräsidentin des Deutschen Kulturrates, dem ausgesperrten Publikum Trost: „Kulturelles Leben findet auch statt, wenn ich ein Buch lese!“ Vermutlich ahnte Liedtke nicht, daß sie mit dieser Definition einen Ausblick zumindest auf die akademische Lesekultur der Zukunft eröffnete. Was heute Ausnahme ist, könnte langfristig für die Staats- und Universitätsbibliotheken zur Normalität werden. Denn wie es dank Künstlicher Intelligenz bereits Fabriken (fast) ohne Arbeiter gibt, schafft die Digitalisierung Bibliotheken ohne Bücher. Der Nutzer ihrer Bestände, von denen heute schon ältere Partien aus konservatorischen Gründen nur im Netz verfügbar sind, liest künftig bequem, aber in sozialer Isolation daheim. Allerdings kein gedrucktes Buch mehr, wie Liedtke meint, sondern dessen digitalisierte Fassung am PC-Schirm. So plant es eine jüngere Generation von Bibliothekaren. Dazu gehört auch Martin Lätzel, der 2019 in Kiel die Leitung der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek übernahm und stracks ein Programm zu deren „digitaler Transformation“ vorstellte. Das provozierte nun den Widerspruch älterer Benutzer wie des Sozialhistorikers Peter Wulf (Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, 98/2020). Nicht nur gehe mit der „geradezu ahistorischen“ digitalen Präsentation die Authentizität verloren. Die Landesbibliothek, wo traditionell Vorträge, Ausstellungen und Konzerte stattfinden, büße dann auch ihren Rang als „zentralen ‘Kultur-Ort’“ ein. 


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