© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Der letzte Abwehrkampf war ein mehrstündiges Gespräch
Wie ein deutschstämmiger US-Offizier die Kapitulation der letzten Leipziger Verteidiger am Völkerschlachtdenkmal erwirkte
Werner Becker

Das trutzige Völkerschlachtdenkmal – steinerne Erinnerung an die blutige Schlacht von 1813 – mochte den US-amerikanischen Soldaten wie ein gefährlicher Hochbunker vorkommen. Wütendes Abwehrfeuer schlägt ihnen entgegen, als sie sich am 17. April 1945 vorsichtig dem Koloß nähern.

Verteidigt wird er vom Kampfkommandanten von Leipzig, Gebirgsjäger-Oberst Hans von Poncet, einem Ritterkreuzträger, an dessen militärischer Laufbahn die häufige Versetzung in die Führerreserve auffällt. Am 10. April wird er nach Leipzig befohlen, um den kriegsmüden Hans Ziegesar abzulösen. Der General will angesichts der von Westen, Süden und Osten vorrückenden US-Divisionen der fünftgrößten Stadt des Reichs den Endkampf ersparen. SS-Brigadeführer Wilhelm Christian von Grolman, seit 1942 Leipziger Polizeipräsident, will ebenfalls kapitulieren und weigert sich, seine Polizisten Poncet zu unterstellen. 

150 Verteidiger ziehen sich zum Denkmal zurück

Ohne die 3.400 Polizisten, die sich später kampflos ergeben, stehen zur Verteidigung lediglich Flaksoldaten ohne Geschütze, fanatisierte Hitlerjungen und in Motivation und Ausrüstung nur wenig kampfkräftige Volkssturmbataillone zur Verfügung. Das reicht nicht, um die Verteidigungslinien zu besetzen. So verbarrikadiert sich der Oberst mit etwa 150 für den Endkampf bereiten Männern in den Katakomben des Völkerschlachtdenkmals, das bisher den Leipzigern als Luftschutzbunker gedient hat.

Derweil zwingt bestens mit Panzerfäusten aus Leipziger Produktion (HASAG) ausgerüstete HJ den Amerikanern am 18. und 19. April einen zähen Häuserkampf um einige strategische Punkte wie Hauptbahnhof und Brauerei auf. Eine von Grolman angebotene Übergabe der Stadt lehnen die Amerikaner ab. Der Kampfkommandant soll kapitulieren. Die Leipziger selbst sind trotz insgesamt 38 alliierter Luftangriffe mit 6.000 Todesopfern – der letzte liegt gerade einmal acht Tage zurück – froh, daß die Amerikaner anrücken und nicht die Russen. Sie hissen weiße Fahnen.

Bedroht fühlen sich jetzt nur noch die Einwohner rund um das Völkerschlachtdenkmal, auf das die US-Armee mit 75- und 155-Millimeter-Artillerie schießt. Vergeblich. Der Einsatz von Flammenwerfern verbietet sich, weil sich im Gebäude 17 gefangene Amerikaner befinden. Jetzt soll es die US-Luftwaffe mit ihren Bombern richten. Die Bevölkerung wird aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Die Wende bringt ein Frankfurter in US-amerikanischer Uniform. Der 23jährige Kapitän Hans Trefousse, 1934 mit seinen Eltern in die USA ausgewandert, bittet von Poncet um einen Waffenstillstand zur Bergung der Toten und Verwundeten. Dabei verwickelt er amerikanischen Quellen zufolge den Oberst in ein mehrstündiges Gespräch. Entscheidend soll Trefousse’ Äußerung gewesen sein, daß es schade wäre, „all diese deutschen Soldaten zu opfern, die uns gegen die Russen helfen könnten“. Das leuchtet von Poncet ein.

Hat am 19. April noch Propagandaminister Joseph Goebbels im Radio zum Ausharren bis zum Sieg aufgerufen und anschließend „Haltet aus, haltet aus, lasset hoch das Banner weh’n! Zeiget ihm, zeigt dem Feind, daß wir treu zusammenstehn“ spielen lassen, weht einen Tag später, an Hitlers letztem Geburtstag, am Völkerschlachtdenkmal als Zeichen der Kapitulation eine weiße Männerunterhose.