© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Viele Probleme sind immanent
Ruud Koopmans analysiert die Ursachen von Gewalt, Unfreiheit und Stagnation in der islamischen Welt
Hermann Rössler

Der niederländische Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans will kein Politiker sein. Dabei ist der anerkannte Migrationsforscher – anders als viele seiner Standesgenossen – kein Apologet einer multikulturellen Gesellschaft und verbirgt seine Skepsis auch nicht in verklausulierten Phrasen. Die Zeit schrieb in einem Beitrag von 2017, er habe sich das Linkssein „kaputtrecherchiert“. Auch im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT forderte er in Fragen der Einwanderung „eine Debatte sowohl über Akzeptanz als auch über die Grenzen der Akzeptanz“ (JF 36/16).  

In seinem aktuellen Buch über „Das verfallene Haus des Islam“ analysiert der Leiter der Abteilung Migration, Integration und Transnationalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) weder polemisierend noch bagatellisierend das Verhältnis des Islam zur liberalen Demokratie. 

Der islamischen Welt, dem Haus des Islam, attestiert er ein „blutendes Herz“, ein Demokratiedefizit. Von 47 Ländern mit islamischer Mehrheitsgesellschaft hätten 29 die Scharia als geltendes Recht eingesetzt. In nicht wenigen dieser Staaten stehe es schlecht um Menschenrechte, die Freiheiten von religiösen oder weltanschaulichen Minderheiten sowie um die Stellung von Frauen. Nur der Senegal und Tunesien könnten zu den liberalen Demokratien gezählt werden. 

Derzeit immigrieren viele Menschen aus moslemisch regierten Ländern nach Europa, doch genau diese Gruppe war in der Vergangenheit in allen europäischen Staaten am schwersten zu integrieren. Woran liegt das? Hängt der islamischen Welt noch die koloniale Vergangenheit nach? Sind die sogenannten westlichen Staaten schuld, weil sie Moslems diskriminieren?

Nein, sagt Koopmans klar. „Die Unfreiheit in islamischen Ländern hat tatsächlich religiöse Wurzeln.“ Anhand von Statistiken untersucht der Wissenschaftler die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und historisch gewachsenen Zusammenhänge und vergleicht stets mehrheitlich moslemische Länder mit solchen, in denen Moslems selbst eine Minderheit darstellen. Ungeschönt zieht er seine Schlüsse aus den dargelegten Forschungen. „In Wirklichkeit gibt es keinen Teil der Welt, in dem Diskriminierung religiöser Minderheiten und Gewalt gegen sie so hart und so weit verbreitet sind wie in der islamischen Welt.“

In 23 islamischen Staaten sei Glaubensabfall strafbar, in zwölf stünde darauf sogar die Todesstrafe. Von 1910 bis 2010 sank der Anteil der Christen im Nahen Osten von 14 auf vier Prozent. Zum Status der Frauen schreibt Koopmans gar, dieser sei „in der jüngeren Geschichte nur mit dem der Schwarzen unter dem südafrikanischen Apartheids-regime vergleichbar“. Im öffentlichen Raum würden diese durch das Schariarecht „segregiert“. In elf islamischen Ländern drohe zudem Homosexuellen die Hinrichtung. „Je strenger die Bevölkerung auf der Einhaltung der Scharia beharrt und je weniger Trennung von Staat und Religion es gibt, desto schlechter ist es um die Rechte von Frauen und Minderheiten bestellt.“

Vorwurf der Islamophie als politischer Kampfbegriff

Koopmans Ausführungen erschöpfen sich jedoch keinesfalls in plumper Islamkritik. Kern des Problems ist in seinen Augen auch nicht die Religion des Islam an sich, sondern der Fundamentalismus, der sich seit den siebziger Jahren immer weiter ausgebreitet hätte. Das „verfallene Haus“ könne auch wieder aufgebaut werden. Seinen Standpunkt sieht er als Vermittler zwischen zwei Extrempositionen, die auf der einen Seite den Islam als Ganzes ablehne oder ihn für nicht reformierbar halte und auf der anderen Seite das Gefahrenpotential der Religion verleugne. 

Vertretern der ersten Richtung wirft er vor, sich nicht von moslemischen Fundamentalisten zu unterscheiden, da sie gleichermaßen einen reformierbaren Islam ablehnten. Vertreter der anderen Richtung phantasierten einen „schönen Traum“ vom frauenfreundlichen, demokratischen und toleranten Islam herbei, der den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspräche. Koopmans sieht darin eine „bedenkliche Relativierung“ und bescheinigt jenen, die jede Islamkritik gern pauschal als Islamophobie diskreditieren, „Scheinheiligkeit“, weil sie „die Augen vor den enormen Unterschieden verschließen, die im Grad der Diskriminierung, Verfolgung und Rechtlosigkeit bestehen“. Der Begriff der Islamophobie unterstelle, berechtigte Sorgen und Ängste über den real existierenden Islam seien irrationale Formen des Hasses. „So macht man Opfer zu Tätern.“

Zudem widerspricht er der oft sogar im akademischen Milieu geäußerten These, daß die autoritären Regierungsformen der islamischen Welt aus einer jahrzehntelangen Fremdbestimmung resultierten. Im Gegenteil: „Die Fakten deuten darauf hin, daß sich der Einfluß des Westens auf Demokratie und Menschenrechte häufiger positiv als negativ erwiesen hat.“ Auch die Annahme, fundamentalistische Einstellungen von Moslems führten sich auf diskriminierende Erfahrungen zurück, die ihnen in westlichen Gesellschaften entgegenschlügen, sei kontraproduktiv. 

Koopmans glaubt allerdings daran, daß der Islam sich den Ansprüchen einer liberalen Gesellschaft anpassen kann. Er hofft dabei auf eine „breit angelegte Reformbewegung von innen“. Fundamentalismus existiere in jeder Religion, der islamistische Fundamentalismus sei derzeit jedoch am gefährlichsten. Moslems müßten sich nur von fundamentalistischen Einstellungen distanzieren und liberale Egalität akzeptieren, so wie es im Christentum in den letzten Jahrhunderten geschehen sei. So sehr seine Analysen des Status quo im „verfallenen Haus des Islam“ auf fundierter wissenschaftlicher Basis beruhen, klingt diese in die Zukunft gerichtete Hoffnung allerdings doch wie politische Traumtänzerei.

Ruud Koopmans:  Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt. C. H. Beck, München 2020, gebunden, 288 Seiten, 22 Euro