© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Moralische Erpressung
Ob Coronabonds oder Migration: Das deutsch-italienische Verhältnis steht unter Spannung
Marco F. Gallina

Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie schätzen sie nicht; die Italiener schätzen die Deutschen, aber sie lieben sie nicht.“ Nördlich der Alpen hat man den Eindruck: weder schätzen die Italiener die Deutschen, noch lieben sie diese. Wie sonst ist der Undank zu verstehen, nachdem Deutschland italienische Corona-Patienten aufgenommen hat? Woher kommt sonst das aggressive Vorpreschen in Fragen der Eurobonds? Wieso zirkulieren Bilder aus dem letzten Weltkrieg in italienischen Medien, wo es doch sowieso Deutschland sein wird, das den südlichen Schlendrian finanziert?

Das deutsch-italienische Verhältnis ist nicht erst seit der Corona-Krise angeschlagen. Doch die Parallelen zu ähnlichen Herausforderungen des gefühlten Hegemons in der EU ist auch den Italienern nicht entgangen. Plötzlich war das Virus da – obwohl europäische Nachbarländer Alarm geschlagen hatten.

Was für die EU-Außengrenzen in der Migrationskrise gilt, gilt auch für die Corona-Krise. Wochen vergingen, in denen Italien ins Corona-Chaos taumelte, ohne daß es Brüssel oder Berlin kümmerte. Erst als Putin, Peking und sogar Kuba in der Lombardei intervenierten, wurde die Raute der Stabilität zur nervösen Hand. Daß Politik wie Medien in Deutschland die russische und chinesische Unterstützung als propagandistisch motiviert einordneten, verstärkte bei den Italienern das Gefühl, daß die deutsche Hilfe größtenteils unter Zugzwang geschah und politische Gründe hatte.

Das deutsche Auftreten wird nicht nur in Italien als arrogante Heuchelei verstanden. Ein grüner EU-Parlamentarier, der auf Lesbos den verlängerten aktivistischen Arm mancher NGO spielt, bezichtigt die Griechen eines latenten Faschismus. Im Mittelmeer kreuzen deutsche NGOs, sammeln Migranten auf und begehren Einlaß in italienische Häfen – obwohl das gebeutelte Land keine sicheren Quarantäne-Unterkünfte zusichern kann.

Denselben moralischen Imperialismus atmet ein drittklassiger Fernsehfilm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn ein ungarischer Regierungschef zum Diktator eines Drittweltlandes degradiert wird. Der „häßliche Deutsche“ von heute trägt keine Pickelhaube mehr, sondern Rastalocken; er erschrickt seine Nachbarn nicht mit Stiefeln im Gleichschritt, sondern bevormundet das europäische Ausland mit demselben moralischen Zeigefinger wie daheim.

Aber macht das die schonungslos-egoistische Art der Italiener in Sachen Eurobonds wett? Auch hier spielen Vorurteile eine Rolle. Das Land mit der weltweit höchsten Staatsschuldenquote ist nicht Italien oder Griechenland, sondern Japan. Dennoch käme niemand auf die Idee, den Nachfahren der Samurai mediterranen Schlendrian zu unterstellen. Grund ist eine andere Vorstellung davon, wie Wirtschaft und Finanzen funktionieren. In Italien galt wie in Japan oder Frankreich das Primat der Politik. Notenbanken sind Instrument des Staates. In Deutschland dagegen pochte die Bundesbank mit standhaften Gestalten wie Karl Otto Pöhl auf ihre Unabhängigkeit. Es war derselbe Bundesbankchef, der bereits vor den Risiken warnte, die eine Währungsunion mit sich bringt. Nicht nur die Griechen, Spanier und Italiener drängten in den Euro, auch die jeweilige Bundesregierung begrüßte den Schritt: ob die CSU mit Theo Weigel, die SPD mit Hans Eichel, oder die CDU mit Friedrich Merz, der im Finanzausschuß an der Einführung des Euro mitwirkte. Widerstand leistete nur der Freistaat Sachsen.

Die Verantwortlichen klammerten sich an die Hoffnung, daß die EZB eine zweite Bundesbank würde, obwohl der französische Einfluß in Brüssel überdeutlich war. Bis heute ist Paris, nicht Rom, der eigentliche Gegenspieler Berlins. Daß Deutschland Großbritannien als Bündnispartner in europäischen Fiskalfragen zugunsten der Hasardeurstücke in den Jahren ab 2008 verspielte, kann neben der Migrationskrise als größter Fehlschlag der Kanzlerschaft Angela Merkels verbucht werden.

Ein Verharren in der Opferrolle bietet sich daher weder für die Italiener noch die Deutschen an. Die Lega von Matteo Salvini hat am Freitag gezeigt, daß es hier nicht um Nationen, sondern um übernationale Kämpfe geht. Sie hat im EU-Parlament gegen Eurobonds gestimmt – weil sie verstanden hat, daß Bonds durch neue Steuern finanziert werden müssen, möglicherweise sogar EU-Steuern. Die Lega hat sich opportunistischen Erwägungen entzogen, weil sie weiß, wie die EU funktioniert: eine Vergemeinschaftung von Schulden mag zwar kurzfristig Italien nützen, doch langfristig würde Brüssel in die Länder wie Provinzen hineinregieren. Euro und EZB sind zu den Primärinhalten der EU geworden. Daher scheitert die EU, sollte der Euro scheitern: kaum etwas hält sie zusammen. Nicht Kultur, nicht Familie, nicht Geschichte, nicht einmal Gott. Jeder Patriot, gleich welchen Landes, müßte mit seinen eigenen Idealen brechen, um so ein Papier zu unterschreiben.

Für das, was Deutsche und Italiener gegeneinander aufbringt, sind die regierenden Parteien verantwortlich. Deutsche wie italienische Sozialdemokraten wollen Eurobonds; deutsche wie italienische Medien der Europhilen trommeln dafür. Längst geht es nicht mehr um die Interessen von Nationalstaaten untereinander, sondern um die von Eliten, die ihren Funktionärsapparat in Brüssel absichern wollen. Die deutsche Schriftgläubigkeit, die Verträge für unumstößlich hält, verträgt sich nicht mit dem pragmatischen Geist der romanischen Welt.

Der Italiener traut dem Abstrakten nicht, sondern dem Menschen. Hier könnten die Deutschen noch von den Italienern lernen – insbesondere, wenn sich Konservative und Liberale jenseits und diesseits gegen den gemeinsamen Gegner stellen. Bejahung der Nationen funktioniert heute nur noch international.