© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Wo zwei oder drei versammelt sind
Lockerungspläne der Politik: Vor allem Katholiken drängen auf Öffnung der Kirchen / Risiken am Ramadan
Gernot Facius

Corona und die diversen Glaubensgemeinschaften in Deutschland: Für Christen, aber auch für Juden und Muslime, ist der 30. April ein wichtiges Datum. An diesem Tag will die Politik in Berlin über „schrittweise“ Lockerungen für religiöse Zusammenkünfte „unter Einhaltung des Infektions- und Hygieneschutzes“ entscheiden, wie sie bereits in einigen Bundesländern gedanklich vorbereitet werden. Bereits „in den nächsten Tagen soll ein Konzept erarbeitet werden“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag, basierend auf den Vorschlägen von Teilnehmern einer Gesprächsrunde Ende vergangener Woche. Dieser Austausch zwischen Vertretern der Religionsgemeinschaften mit der Politik „auf Staatssekretärsebene“ werde weitergeführt.

Druck machen jetzt die katholischen Bischöfe, die sich bisher den staatlichen Anordnungen gefügt hatten – und dieser Druck kommt mit Macht von unten. An der kirchlichen Basis, in Gemeinden und Pfarrverbänden, rumort es. In Internetforen taucht immer öfter die Forderung auf: „Ihr Bischöfe, gebt den Gläubigen und ihren Priestern ihre Eigenverantwortung zurück!“ 

„Lautes theologisches Schweigen“

Die Oberhirten müssen sich tagtäglich heftige Vorwürfe anhören, vor allem aus dem konservativen Lager. „Schon Mitte März“, bedauerte der Historiker und Buchautor Michael Feldkamp, „hatten die Bischöfe eilfertig die staatlichen Gottesdienstverbote durch unnötige bischöfliche flankiert. Vor Ostern prangerten sie sogar öffentlich jene Katholiken an, die sich mit Eilanträgen ans Bundesverfassungsgericht gewendet hatten, das Gottesdienstverbot sofort aufzuheben.“ Das „Quasi-Staatskirchentum“ erweise sich in der Krise als Falle, die sich die Bischöfe aber selbst gestellt hätten. Im Zentrum der Kritik steht Limburgs Bischof Georg Bätzing, der neue Vorsitzende des Episkopats. Er habe sich zu schnell und in vorauseilendem Gehorsam der Politik angepaßt – wie die Vertreter der evangelischen Kirche, die sich dann nicht in ein gemeinsames Boot holen ließen. 

Spät, sehr spät hat Bätzing umgeschaltet. Warnungen gab es zuhauf, auch aus den Medien. „Was radikale Laizisten immer hofften, aber nicht einmal die Kommunisten wagten, ist in Zeiten der Corona-Pandemie Wirklichkeit geworden“, konstatierte die FAZ. Religion als kollektives, auf symbolische Kommunikation angelegtes und sich in gemeinsamen Körperpraktiken materialisierendes Sinnsystem sei aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Das Internet könne dafür nur ein schaler Ersatz sein. Im selben Blatt verwies der jüdische Professor und Publizist Michael Wolffsohn auf das „laute theologische Schweigen“ führender Geistlicher der verschiedenen Religionen. Er habe jedenfalls keine theologisch tiefgehende Interpretation der Pandemie registriert: „Diese Tatsache ist um so verstörender, als sich gerade die religiösen Spitzenrepräsentanten aus Judentum, Christentum und Islam sonst zu fast allem und jedem zu Wort melden. Selten sind sie, meist ungebeten und nicht qualifiziert, um ‘guten Rat’ verlegen.“ 

Werden sie noch rechtzeitig die Kurve kriegen? Ansätze gibt es. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woel-ki bereitet in seiner Erzdiözese die Rückkehr zu öffentlichen Gottesdiensten vor. Er pocht entschlossener als manche seiner Amtsbrüder auf das Verfassungsrecht der freien Religionsausübung. Und Woelki hat den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet auf seiner Seite: „Wenn man Läden öffnet, darf man auch in Kirchen beten.“ Ein Argument, dem sich selbst der thüringische Regierungschef Bodo Ramelow (Linkspartei) nicht verschließt. Laschet wird vom Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, unterstützt: Gotteshäuser seien „systemrelevant“. 

Aufmerksam registriert wurde die Art und Weise, wie sich die Islamvertreter in der Debatte positionierten. Von einem „immensen Eingriff in die Religionsfreiheit“ sprach der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD), Aiman Mazyek. Gleichzeitig gab er sich aber verständnisvoll gegenüber den Einschränkungen seitens des Staates. So schwer es auch falle, die Moscheen im Fastenmonat Ramadan weiter geschlossen zu halten, so sei es doch „unsere religiöse und bürgerliche Verantwortung, in der aktuellen Phase genau das zu tun“. Die Gesundheit, so Mazyek in der Bild-Zeitung, stehe in diesem speziellen Fall über der öffentlichen Ausübung der Religion. 

Staatssekretär Markus Kerber vom Bundesinnenministerium attestierte den Muslimen „ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl und Solidarität für unsere Gesellschaft“. Mazyeks ZMD zählt allerdings zu den zahlenmäßig kleinen Islamverbänden, die sich um eine staatliche Anerkennung und Gleichstellung mit den Kirchen bemühen. Er repräsentiert also nicht den Islam in Deutschland. Auf muslimischer Seite gibt es bis dato keinen zentralen Ansprechpartner, der – anders als zum Beispiel die christlichen Denominationen – verläßlich Abstands- oder Hygieneregeln durchsetzen könnte. Das ist das Problem. 

Es erschwert natürlich auch die Entscheidungen des Staates. Die Konzepte, die Religionsvertreter und Politik jetzt erarbeiten, sollen „möglichst einheitlich in Deutschland für alle Religionsgemeinschaften gelten“, so der Sprecher des Innenministeriums.Doch auch wenn die Islamverbände mitziehen: Ihre Sprecher haben nicht immer Kenntnis von dem, was sich in den einzelnen Moscheen und Hinterhof-Gebetsräumen abspielt. Nach dem 30. April wird man mehr wissen.