© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Was spricht dafür, dagegen zu sein?
„Opposition ist Mist“: In der Krise scharen sich viele um die Regierungsparteien / Keine einfache Situation für AfD, FDP, Linke und Grüne
Jörg Kürschner / Christian Vollradt

Unter der Corona leiden viele – auch die Opposition. Krisen seien „die Stunden der Exekutive“ heißt es resignierend in den vier Oppositionsfraktionen. Während die Union in den Umfragen zu einem Höhenflug angesetzt hat und sogar die SPD leichte Zuwächse verzeichnete, können sich die Grünen und (mit Mühe) die AfD trotz deutlicher Verluste immerhin noch mit zweistelligen Zustimmungswerten trösten. Die Linke bleibt klar einstellig, und die FDP segelt bedenklich nahe an der Fünfprozenthürde.

Droht nun den Liberalen bei der nächsten Bundestagswahl wie 2013 der Rauswurf aus dem Parlament? Die Menschen würden sich während der Krise nicht fragen, „wen wähle ich im September 2021“, zeigt sich Lindner tief entspannt und gut gelaunt. Interviews gibt er per Video-Gespräch in seiner Berliner Wohnung; vom Balkon aus – Sonnenseite. Da erfährt man en passant, daß der Ober-Liberale nach dem Jagdschein nun den Angelschein in Angriff genommen hat. Sein Vermieter ist übrigens Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). 

„Schutzmasken sinnvoll, Maulkörbe nicht“

Die FDP hat Ende März staatstragend für die massiven Grundrechtseinschränkungen gestimmt. Einen Monat später drängt Lindner auf weitere Lockerungen, da ein Warten auf den Impfstoff zu lange dauern würde. Und er schlüpft in die seltene Rolle des Rechtsstaats-Liberalen, stellt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage: „Schutzmasken sind sinnvoll, Maulkörbe nicht.“ Ein flotter Spruch, die Empörung der führenden Medien war dem „Ignoranten“ gewiß. 

Daß Lindner die Wahl seines Parteifreundes Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten nicht verhindert hat, werden sie ihm niemals verzeihen. Doch hat die Pandemie den „Dammbruch“, den „Tabubruch“, den „Zivilisationsbruch“ von Erfurt in den Hintergrund treten lassen. Auch unter den FDP-Mitgliedern, die Lindners bisher unangefochtene Stellung als Parteivorsitzender erstmals in Frage gestellt hatten. Das Bild des „Retters der FDP“, der nach vier Jahren die harte APO-Zeit außerhalb des Bundestags wieder beendet hatte, war angekratzt.

Als dann zu Wochenbeginn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts erhoffter Lockerungen verärgert vor Leichtsinn warnte und intern von „Öffnungsdiskussionsorgien“ sprach, sah die FDP die Chance zum medienwirksamen Konter gekommen. Lindners Vertrauter, Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann, verschärfte die Wortwahl. „Die Kanzlerin vergreift sich im Ton. Wenn Infektionsgefahren sinken, ist es verfassungsrechtlich geboten, über Öffnungsperspektiven nachzudenken. Wenn Landesregierungen der Aufgabe nachkommen, tun sie ihre Pflicht. Dafür haben sie keinen Rüffel verdient“. Einstweilen fährt die FDP-Spitze also auf Sicht, beschränkt sich auf gelegentliche Kritik an Einzelmaßnahmen. Mit einem Konzept für die Zeit nach der Krise hat sie bisher nicht von sich reden gemacht. Überraschend eigentlich, da SPD und Linke längst ihren Ladenhüter Vermögenssteuer aus der Ablage herausgeholt haben.

Deren Co-Vorsitzende Katja Kipping schlägt wie üblich die Trommel für die aus ihrer Sicht zu kurz Gekommenen: Solo-Selbständige, Hartz-IV-Empfänger, Geringverdiener bis zu Leuten mit niedrigen Renten. Ein Schutzschirm für die freie Kulturszene gehört auch dazu, da durch die Absage aller Großveranstaltungen „ein kulturelles Massensterben nie gekannten Ausmaßes“ drohe. Ausfälle durch Absagen sollten analog zu den Regelungen des Kurzarbeitergelds vom Staat übernommen werden. Immerhin einen kleinen Triumph konnte Kipping in Sachen Krankschreibung für sich verbuchen. Der Bundesgesundheitsminister befürwortete zunächst ein Ende der seit Beginn der Krise möglichen telefonischen Krankschreibung bei Erkältungsanzeichen; trotz massiver Proteste der Ärzteschaft. „Gerade noch kritisiere ich diesen ‘Spahnsinn’ und schon deutet sich eine Lösung an“, freute sich die Linken-Chefin.

Im übrigen dürfte der Parteiführung die Corona-Auszeit durchaus gelegen kommen. Denn neben der FDP hat auch die Linke ihr Erfurt-Trauma. Kurz nachdem ihr Ministerpräsident Bodo Ramelow AfD-Fraktionschef Björn Höcke anläßlich seiner Wiederwahl demonstrativ den Handschlag verweigerte, ermöglichte er mit seiner Stimme die Wahl eines AfD-Landtagsvizepräsidenten. Ein Schock für jeden aufrechten Linken. Da mag Kipping und ihrem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger die coronabedingte Verschiebung des für Juni geplanten Parteitags gerade recht kommen. Tagungsort wäre übrigens Erfurt gewesen. 

Unter einem Wahrnehmungsdefizit leiden auch die Grünen, obwohl sie – ebenso wie FDP und Linke – an einigen Landesregierungen beteiligt sind und in Baden-Württemberg sogar den Landesvater stellen. Doch die Krise macht der umfrageerfolgsverwöhnten Partei schlagartig klar, daß Themen wie Klimaschutz, der „Green New Deal“ oder die Teilhabe von LGBT-Personen deutlich an Relevanz eingebüßt haben. Um den zuletzt etwas gesunkenen Demoskopen-Werten zu trotzen, holte Grünen-Chef Robert Habeck sein programmatisches As aus dem Ärmel, das da heißt: Robert Habeck. Während der Telefon-Konferenzen im Homeoffice habe er angefangen, andere Dinge zu erledigen, verriet der Frauenschwarm von der Förde in einem Interview: „Beispielsweise mache ich die Wäsche und verbinde zwei Nützlichkeiten miteinander.“ Und auf Instagram konnte ihn seine Fangemeinde bewundern, wie er sich im Freien vor einem Stuhl mit Spiegel knieend selbst die Haare schnitt. Der daraufhin einsetzende Spott im Internet machte dem grünen Hobby-Coiffeur allerdings schnell deutlich, daß diese Eigenvermarktung keine so gute Idee war. 

Seine Mitvorsitzende Annalena Baerbock gab sich vor Wochen noch recht gelassen, was die Lage der eigenen Partei angeht. „Daß sich viele Menschen in so einer Krise hinter der Regierung versammeln, ist nur natürlich und nachvollziehbar.“ Und so geben sich die Grünen auch betont staatstragend. In einem Schreiben an die eigenen Mitglieder heißt es: „Wir haben in einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung und einer ungeheuren Solidarität der Menschen in den letzten Wochen erreicht, daß unser Gesundheitssystem der Coronavirus-Pandemie standhält und ein massiver Anstieg von schwer Erkrankten und Toten verhindert wurde.“ Klar sei aber: „Die weitgehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft können kein Dauerzustand sein.“ Und so betont die kleinste Oppositionspartei im Bundestag, daß nicht nur die Exekutive das Sagen haben dürfe. Auch in Krisenzeiten sei „der beste Weg zur besten Antwort die offene demokratische Debatte“. 

Doch sogar wenn die Zeit vorbei ist, da vorrangig die tägliche Zahl der an Covid-19 Erkrankten im Vordergrund stehen, droht den Grünen Unbill. Dann nämlich, wenn es in erster Linie um die schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen des „Shutdowns“ geht – Firmeninsolvenzen, Arbeitslosigkeit und Verschuldung – und die Frage von E-Mobilität, Bio-Landbau und Quotenregelungen vielen Wahlberechtigten wie die Luxusprobleme einer fernen Vergangenheit erscheinen.

Spätestens wenn dann die deutschen Steuerzahler die finanziellen Auswirkungen in den besonders betroffenen Staaten im Süden der Eurozone spüren, könnten indes die Umfragewerte der AfD wieder steigen. Im „gärigen Haufen“ (so die zwar abgenutzte, doch weiter gültige Titulierung durch den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland) macht sich die Corona-Krise auf eine ganz eigene Art bemerkbar. Da ist etwa der Bundesparteitag, der eigentlich an diesem Wochenende in Offenburg hätte stattfinden sollen. Dort sollte nun endlich ein sozialpolitischer Leitantrag beschlossen werden – samt Rentenkonzept. Was seit Jahren immer wieder für teilweise hitzige innerparteiliche Debatten gesorgt hatte, scheint derzeit keinerlei Relevanz zu haben. 

Dafür schlugen und schlagen die Wogen hoch bei der Frage, wie sich die AfD zur Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen von Grundrechten sowie dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stillstand zu positionieren habe. Dabei ist ein erstaunliches Phänomen zu beobachten: Während ein großer Teil der Deutschen laut Umfragen die Verordnungen und Verbote befürwortet und die Zustimmungswerte ausgerechnet für den sich rigoros gebärdenden CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder nach oben schnellten, schafften sich ausgerechnet in der AfD, deren Anhängerschaft gern eine Neigung zu autoritären Politikern à la Wladimir Putin nachgesagt wird, die „Corona-Rebellen“ Gehör. 

„Klare Kante gegen      Schuldengemeinschaft“

Zwar stellen diejenigen, die das Ganze für eine maßlos übertriebene „Hysterie“ angesichts einer „relativ normalen Grippe“ halten, nicht die Mehrheit, aber die Bundestagsfraktion hatte sich erst nach einer hitzigen Sondersitzung Anfang des Monats auf ein Positionspapier einigen können. Die grobe Linie: Weil die Bundesregierung anfangs das neuartige Virus unterschätzt und zu zögerlich reagiert habe, seien nun weitgehende harte „Einschnitte in Grundrechte und Wirtschaftsleben“ nötig geworden. Diese müßten nun schrittweise zurückgenommen werden, weswegen der besondere Schutz der Risikogruppen und die Erhöhung der Testkapazitäten nötig seien. Zudem betont die AfD, der Erfolg der wegen Corona eingeführten Grenzkontrollen gebe der Partei recht. 

Die Kanzlerin gebe „ein kümmerliches Bild ab, zu entscheidungsschwach, zu zögerlich“ sei ihr Handeln, resümierte Parteichef Tino Chrupalla, und sein Kollege Jörg Meuthen forderte „klare Kante gegen jegliche Form der Schuldenvergemeinschaftung“. Kritische Beobachter aus den Reihen der Partei werten die interne Vielstimmigkeit als Versagen der Partei- und Fraktionsspitze. Anstatt zu führen lasse man die Dinge treiben, so ein von mehreren Politikern zu hörender Vorwurf. Einen kleinen Lichtblick bot immerhin die jüngste Insa-Umfrage: die – immer noch sehr große – Zahl derer, die sich nie vorstellen könnten, je die AfD zu wählen, ging diese Woche nach langer Zeit zum ersten Mal etwas zurück; um drei Prozentpunkte auf nun 71 Prozent.