© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Im digitalen Tiefschlaf
Paul Rosen

Als die Pandemie begann, verhielt man sich im Bundestag wie in vielen anderen Behörden und Firmen: Die meisten Mitarbeiter wurden in die Heimarbeit geschickt. Verwaltung, Fraktionen und Abgeordnetenbüros fuhren wie die Wirtschaft den Betrieb herunter. 

Doch jetzt ist wieder eine Sitzungswoche, in der eigentlich Parlamentsdebatten und unzählige kleinere Sitzungen stattfinden sollten. Normalerweise stecken dann viele verschiedene Leute im wahrsten Sinne des Wortes die Köpfe zusammen, um sich zu verständigen – über Gesetze, Anträge und Initiativen. Genau das geht aber in Corona-Zeiten nicht. Denn kein Sitzungssaal im Bundestag ist groß genug, als daß man das Abstandsgebot einhalten könnte. Im Plenum erscheint wieder nur ein kleiner Teil der Abgeordneten, jeweils im Verhältnis zu den Mandaten der Fraktion – der Rest sitzt als eine Art Eingreifreserve in den kleinen Büros und schaut am Fernseher zu.

Der aktuelle Ausnahmezustand hat ein problematisches Erbe aus Bonner Zeiten offenkundig werden lassen. Als die Planungen für die Neubauten in Berlin anstanden, wurden die Raumverhältnisse aus Bonn, vor allem aus dem Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ (benannt nach dem früheren Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier), übertragen. Dessen damaliger Architekt Egon Eiermann hatte auf Kommunikation in den Fluren gesetzt, wo große Sitzgruppen standen. Dagegen hatte ein Abgeordneter nur 17 Quadratmeter Platz, die Vorzimmer waren noch kleiner. Eiermanns Rechnung ging nicht auf: Die Flure blieben leer, man hockte lieber in den eigenen, engen Büros. Dennoch wurden beim Umzug nach Berlin die Raumgrößen kopiert. 

Die Situation in den Büros ist derzeit beinahe unlösbar. In vielen Fällen wurde Schichtdienst eingeführt, damit die Mitarbeiter sich nicht begegnen. Das nächste Problem: Für Videokonferenzen in größerem Umfang ist die Software „Parlakom“ nicht ausgelegt. Technisch hinkt der Bundestag sehr weit hinterher. Rückgrat des hausinternen Informationsaustausches sind immer noch Faxgeräte und Botendienste; moderne Videotechniken mit Online-Dokumentbearbeitung stehen nicht zur Verfügung. Nur wer einen mit Parlakom bestückten Rechner hat, kann auf die Bundestagsdatenbanken zugreifen. Das sind die Bürocomputer. Tragbare Geräte mit dieser Software gibt es nur wenige.

Vorschläge zur Modernisierung von Technik und Medien gab es häufiger, sie stießen jedoch bei Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundestagsdirektor Horst Risse auf taube Ohren. Schäuble sei an Technik desinteressiert, Risse habe ohnehin den Ruhestand vor Augen, heißt es im Haus. Zuletzt hatte der Direktor eine Stabsstelle für soziale Medien einrichten lassen, damit es vom Bundestag endlich ein Lebenszeichen auf Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram gibt. Denn für das deutsche Parlament sind soziale Medien absolutes Neuland. Die Stabsstelle gibt es, nur Personal steht keines zur Verfügung. Der Bundestag befindet sich weiter im digitalen Tiefschlaf.