© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Wenn Linke über Linke forschen
Umstrittene Fördermittel: Die Arbeit des staatlich finanzierten Kompetenzzentrums „Linker Extremismus“ wirft Fragen auf
Björn Harms

Am Abend der sächsischen Landtagswahl im September vergangenen Jahres war Michael Lühmann sauer, aber so richtig sauer. Zu seinem Ärger hatte die AfD gerade 27,5 Prozent der Wählerstimmen erzielt. Seinem Haß ließ der 40jährige auf Twitter freien Lauf: „Jeder dritte männliche Wähler in Sachsen hat mutmaßlich Scheiße im Kopf (weil er entweder ein Drecksnazi ist oder weil er glaubt, eine Drecksnazipartei wählen zu müssen, ohne ein Nazi sein zu wollen)“, schrieb er.

Nur: Wie verträgt sich eine solche Äußerung mit der Arbeit eines vermeintlich objektiven Politikwissenschaftlers, dessen Arbeitsstelle großzügig vom Steuerzahler gefördert wird? Denn Lühmann ist nicht einfach nur eine weitere Stimme im Konzert „gegen Rechts“, sondern Teil des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, genauer gesagt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der daran angeschlossenen Bundesfachstelle „Linke Militanz“, kürzlich umbenannt in Kompetenzzentrum „Linker Extremismus“.

Über eine Million Euro an staatlichen Geldern bewilligt

Dessen Aufgabe ist es, „themenbezogene Expertise für die bundesweite Fachpraxis in ihrem Themenfeld bereitzustellen und weiterzuentwickeln“. Die 2017 gegründete Fachstelle soll pädagogische Ansätze „zur Prävention demokratie-

feindlicher Aspekte linksradikaler Denk- und Verhaltensweisen“ entwickeln.

Finanziell braucht sich der fünfköpfige Mitarbeiterstamm unter der Leitung des Politologen Matthias Micus, der durch studentische Hilfskräfte zusätzlich unterstützt wird, keine großen Sorgen zu machen, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier beweist. Die Gelder für das Projekt aus dem Topf des Förderprogramms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) steigen rasant: Waren es im Gründungsjahr 2017 noch 142.922,48 Euro, wurden ein Jahr später bereits 285.924,80 Euro bewilligt. Der Beitrag wuchs 2019 auf 297,143,73 Euro, im aktuellen Jahr kann mit satten 397.810,74 Euro geplant werden.

Wie aber werden diese Mittel verwendet? Publizistisch tritt die Fachstelle jedenfalls kaum in Erscheinung. 2018 veröffentlichte die Forschergruppe ganze vier Kurzaufsätze im Umfang von jeweils 5 bis 10 Seiten – und das ausschließlich in der hauseigenen Gazette Demokratie-Dialog, die vom Göttinger Institut für Demokratieforschung herausgegeben wird. Ein Jahr später verringerte sich dies auf zwei Kurzaufsätze, zudem erschien ein 48seitiger Leitfaden zur „Linken Militanz“.

„‘Linke Militanz’ hat bis 2020 insgesamt über eine Million Euro an staatlichen Fördermitteln bewilligt bekommen“, kritisiert AfD-Politiker Markus Frohnmaier im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Wenn man allein die fast 300.000 Euro Förderung für das Jahr 2019 heranzieht und sich anschaut, daß in jenem Jahr lediglich zwei kurze Aufsätze und ein Leitfaden veröffentlicht wurden, kostet eine Publikation der Bundesfachstelle rund 100.000 Euro. Das ist die teuerste steuergeldfinanzierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Geisteswissenschaftler, die ich kenne.“ 

„Die Aufgaben der Bundesfachstelle umfassen weit mehr als die Veröffentlichung von Publikationen“, widerspricht hingegen das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gegenüber der JF. Genaueres erwähnt die Behörde nicht. Auf der Internetseite des Projekts finden sich lediglich Berichte von vier Fachtagungen seit 2017. Daß das Kompetenzzentrum seine „Aufgaben erfüllt und dabei fachliche Standards berücksichtigt, wird im Rahmen der begleitenden Erfolgskontrolle und der Verwendungsnachweisprüfung nachgehalten“, versichert der Sprecher des BMFSF.

Vor zwei Monaten – knapp dreieinhalb Jahre nach Gründung der Fachstelle – ist nun die erste 240seitige Großpublikation „Linke Militanz – pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis“ erschienen, wenngleich das Buch größtenteils aus Gastbeiträgen anderer Wissenschaftler besteht, die nicht bei der Bundesfachstelle angestellt sind. Darunter befinden sich auch bekannte „Anti-Rechts-Kämpfer*innen“ wie Naika Foroutan, Leiterin des Deutschen Instituts für Migration und Integrationsforschung (DeZIM), die den Satz prägte: „Wer Deutschland bewohnt, ist Deutscher.“ 

AfD-Mann Frohnmaier findet es jedenfalls „bemerkenswert“, daß eine „weit linke politische Gesinnung von Wissenschaftlern, die bei der Bundesfachstelle mitarbeiten, kein Risiko für die wissenschaftliche Arbeit der Stelle bedeutet. Dieses Versprechen der Regierung ist ungefähr so glaubwürdig wie die Idee, es sei kein Problem, einen Atheisten zum Papst zu machen.“

Wie aber steht es um das inhaltliche? „So manches Urteil in der Debatte um linke Militanz scheint überzogen, politisiert und aus dem Kontext gerissen“, heißt es in dem 40seitigen Leitfaden der Fachstelle aus dem vergangenen Jahr. Linker Militanz wohne keine „generalisierte menschenfeindliche Grundhaltung inne“, sind sich die Autoren sicher. Ganz im Gegenteil: „Radikal linke Kritik versteht sich oft als wahre Anwältin der Menschenrechte. Die radikal linken Forderungen nach einem Mehr an Gleichheit stimmen mit den Grundsätzen der liberalen Demokratie prinzipiell überein.“

Nur eine Seite später heißt es: Linke Militanz und Linksextremismus eine, daß sie Gruppen und Personen bezeichne, die sich gegen das „bestehende wirtschaftliche und politische System stellen“. Sie artikulieren „eine grundlegende Kritik an den Herrschaftsverhältnissen und der Eigentumsordnung“. Den Begriff Linksextremismus lehnen die Verfasser jedoch ab. Er sei weder „für die demokratische Auseinandersetzung noch für die pädagogische Arbeit geeignet“, da er eine „sicherheitspolitische Verengung“ darstelle. Dafür gelten der Marxismus-Leninismus und der Anarchismus in der Broschüre als „historische und aktuelle Befreiungsbewegungen“. 

Das BMFSFJ sieht sich weder für derartige Aussagen noch für die Twitter-Beschimpfungen eines Michael Lühmann in der Verantwortung. „Die Veröffentlichungen des Trägers oder einzelner Mitarbeiter stellen keine Meinungsäußerung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dar. Für inhaltliche Aussagen tragen allein die Autorinnen bzw. Autoren die Verantwortung“, teilt die Behörde mit.

„Gewalt wirkt auch gegen Nazis“

Als vertiefende Lektüre empfehlen die Autoren des Leitfadens unter anderem ein Buch des Autors Horst Schöppner über die autonome Szene der 1980er Jahre. Kritische Distanz dürften die Leser hier nicht erwarten. Schöppner, das Pseudonym eines alten Kämpfers aus der linksextremen Szene, hatte 2016 im Neuen Deutschland offen zu Gewalt aufgerufen und einen gewaltfreien Diskurs als verlogen bezeichnet. „Gewalt wirkt auch gegen Nazis“, schrieb er. „Vielleicht wirkt sogar nur Gewalt gegen Nazis.“

Auf aktuelle Studien zum Linksextremismus, etwa auf die des „Forschungsverbunds SED-Staat“ an der FU Berlin, geleitet durch den Politikwissenschaftler Klaus Schroeder, oder auf die Standardwerke zum Thema Linksextremismus der Politologen Eckhard Jesse und Uwe Backes, wird gar nicht erst verwiesen. Eben weil die Extremismustheorie von vornherein abgelehnt wird. 

„Viele der Publikationen von ‘Linke Militanz’ legen nahe, daß hier Linksradikale eine Stelle zur Bekämpfung des Linksextremismus unterwandert haben und linksextremes Gedankengut unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung verharmlosen“, ist sich Frohnmaier sicher. Besonders verheerend daran sei, daß für den uninformierten Beobachter der Charakter von ‘Linke Militanz’ nicht unmittelbar zum Vorschein komme. „Die Bundesregierung kann so gegenüber der Öffentlichkeit behaupten, sie würde etwas gegen Linksextremismus unternehmen, obwohl ‘Linke Militanz’ in vielen ihrer Publikationen das genaue Gegenteil tut.“

Seit dem 1. Januar 2020 ist nun die zweite Förderperiode des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ angelaufen. Das Projekt am Institut für Demokratieforschung in Göttingen, das sich weiterhin über erhebliche Fördermittel freuen kann, wird nun als Kompetenzzentrum „Linker Extremismus“ geführt. Warum genau diese Namensumbennenung getroffen wurde, ist unklar – schließlich dürften die angestellten Wissenschaftler den Begriff „Linksextremismus“ auch weiterhin ablehnen.