© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Angst vor einer Troika-Herrschaft der EU
Italien: Ministerpräsident Giuseppe Conte steht vor dem Scherbenhaufen der Corona-Politik
Marco F. Gallina

Giuseppe Conte hatte schon bessere Tage. Anders als in Deutschland profitiert der italienische Ministerpräsident kaum von der Ausnahmesituation: Das Vertrauen in den Regierungschef nimmt mit jedem Tag ab, den der „Lockdown“ andauert. Noch bitterer sieht es für die linke Koalition aus. Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) kommt auf 22 Prozent, die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) erreicht 14 Prozent. Italia Viva, die Abspaltung von Ex-Premier Matteo Renzi, entpuppt sich mit drei Prozent als Rohrkrepierer. Von einer parlamentarischen Mehrheit wäre die Regierung bei Neuwahlen meilenweit entfernt. Und das in Zeiten, in denen das Krisenmanagement üblicherweise die Regierung gegenüber der Opposition begünstigt.

„Kein ESM, wir sind Italiener“

Conte steht vor dem Scherbenhaufen der Corona-Politik. Zwar geht die Zahl der bestätigten Neuinfektionen zurück, Anfang Mai sollen die Restriktionen langsam zurückgefahren werden. Aber über 20.000 Tote, der Kollaps des Gesundheitssystems in weiten Teilen des Nordens und die wirtschaftlichen Verwerfungen sind eine schwere Hypothek. Viele kleine und mittlere Unternehmen werden nach der Quarantäne nicht mehr öffnen. Die Einbußen im Tourismus für die Oster- und die kommende Sommersaison sind noch nicht zu beziffern. Der Tourismussektor macht 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.

Conte versucht deswegen auf europäischer Ebene zu retten, was zu retten ist. Italiens aggressives Auftreten in Brüssel ist dabei gleich mehreren Faktoren geschuldet, die weit über Contes persönliche Zukunft hinausgehen. Da ist einerseits das alte Dogma, das nicht nur in Rom, sondern auch Paris regiert, daß die Union nicht vollendet ist, solange nicht auch die politische Union den Euro unter seine Fittiche nehmen kann. Hinter dem Euro fehle eine Regierung, die diesen politisch so steuern kann, wie es früher die Nationalregierungen und Nationalbanken taten – insbesondere die italienische. 

Doch andererseits herrscht Groll auf eine EU, der sich Conte an den Hals geworfen hatte, um mit dem Anti-EU-Kurs der Vorgängerkoalition mit Matteo Salvini zu brechen. Der unausgesprochene Deal war: Conte führt Italien zurück in den Schoß der Pro-Europäer, dafür drückt Brüssel zwei Augen beim Haushaltsdefizit zu. Der PD galt als Bollwerk, das sich gegen den Populistensturm anbot. Nun stehen Conte und PD unter Druck, weil sie den Italienern die EU wieder schmackhaft machen wollten, diese in der Corona-Krise aber nur mangelhaft geliefert hat.

Damit legt sich der Schatten Salvinis wieder über die Regierung. Auch der Lega-Chef hat in der Corona-Krise Federn gelassen, aber der Aufstieg der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni hält die Stimmen im rechten Lager. Der Zickzackkurs in Sachen ESM ist nicht zuletzt ein innenpolitisches Schauspiel: Salvini hat gezielt die Hilfe aus dem ESM abgelehnt. Es ist dieselbe Hilfe, die Griechenland kurz vor der Staatspleite bekam. Der M5S befürchtet bereits eine „Troika-Herrschaft“ wie in Griechenland, Salvini skandierte: „Kein ESM, wir sind Italiener.“ Conte weiß, wie unpopulär die Annahme der Hilfsgelder in der Bevölkerung ist.

Die Sorge davor, zu einer EU-Provinz degradiert zu werden, treibt die Sterne so stark um, daß diese mit dem Koalitionsbruch drohten. Auch deswegen ist der Koalitionspartner PD eingeknickt, obwohl die Führungsspitzen sich für eine Hilfe aus dem ESM aussprachen. Da half auch eine Intervention des Ex-Ministerpräsidenten Romano Prodi nichts, der in seiner Partei und darüber hinaus für eine Annahme des ESM warb: Es bleibt vorerst beim europäischen Kurzarbeitergeld und Unternehmenskrediten. Die Italiener trauen dem ESM-Geld, das angeblich ohne Auflagen verteilt wird, nicht über den Weg. Die Bond-Strategie ist für die Regierung alternativlos geworden.

Als wäre das nicht genug, gesellt sich zur Corona- und Finanz- auch noch die Migrationskrise. Rund 100 Migranten erreichten vergangene Woche das sizilianische Pozzallo. Für Salvini ein gefundenes Fressen: „Die Italiener sind zu Hause eingeschlossen, während illegale Migranten an Land gehen. Das ist absurd.“ Dabei sei erst neulich ein Migrant aufgegriffen worden, dessen Corona-Test positiv ausfiel. Die Krise in der Krise hat die Bürgermeister von Sizilien alarmiert, 32 von ihnen haben einen Brief an den Premier gerichtet. Während sie ihren Bürgern „große Opfer abverlangen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern“, könnten sie nicht zeitgleich sichere Plätze für die Migranten bereithalten.