© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Negativer Ölpreis bei West Texas Intermediate in Oklahoma
324 Prozent Verlust
Thomas Kirchner

Negative Preise gibt es seit Jahren an der Leipziger Strombörse EEX: Wenn der Wind stark weht und die Sommersonne scheint, herrscht kurzfristig soviel Überschuß, daß Abnehmer für den Energieverbrauch bezahlt werden. Rentable Stromspeicher gibt es nicht. Wenn hingegen zuviel Öl gefördert wurde, landet es in Tanklagern. Auch Öltanker werden als Lager gechartert. Doch im Corona-Shutdown füllen sich jetzt alle Speicher. JP Morgan schätzte Anfang April, daß Ende Mai alle Lagerkapazitäten an Land voll sind. Im Juni wäre auch der letzte Tanker randvoll.

Regional können Engpässe früher auftreten, wie nun in Cushing. Der 7.800-Einwohner-Ort in der Trump-Hochburg Oklahoma ist am ersten Tag jedes Monats Lieferort für West Texas Intermediate-Rohöl (WTI), das an der New Yorker Rohstoffbörse Nymex mit Futures gehandelt wird. Dabei verpflichten sich die Vertragspartner, zu einem am Handelstag festgelegten Kurs Öl am Liefertag auszutauschen. Die meisten Kontrakte werden vor dem Liefertermin glattgestellt, ohne daß Öl geliefert wird.

Der Kurs dient nur als Referenzpreis für andere Geschäfte. Wer dennoch eine Lieferung in Cushing entgegennimmt, muß das Öl irgendwo lagern – und daran hapert es derzeit. Deshalb waren viele Ölhändler gezwungen, ihre Kontrakte für Lieferung am 1. Mai noch vor dem letzten Handelstag am 21. April zu verkaufen. Käufer fanden sich wegen der Lagerprobleme kaum – also ging der Kurs nicht nur auf Null, sondern schoß kurzfristig sogar auf minus 40,32 Dollar.

Der Kurs des Futures für Lieferung am 1. Juni oder in den darauffolgenden Monaten ist von den Turbulenzen nicht betroffen. Rohöl für Lieferung am 1. Juni hielt sich über 20 Dollar, die darauffolgenden Liefermonate entsprechend höher. Unter normalen Umständen würden diese Händler (Arbitrageure) die Integrität der Kurse sicherstellen. Deshalb unterscheiden sich die Kurse von einem Monat zum anderen meist nur um Lagerkosten von ein bis zwei Dollar pro Barrel und Monat. Die Händler würden Öl mit Liefertermin 1. Mai kaufen, es gleichzeitig zum Liefertermin 1. Juni verkaufen und einen Monat lang zwischenlagern.

Sobald sich die Kurse um mehr als die Lagerkosten unterscheiden, können Arbitrageure risikolose Gewinne einstreichen. Bei negativen Kursen von minus 40 für den 1. Mai und positiven 20 zum 1. Juni ließe sich ein Gewinn von 59 Dollar erwirtschaften. Aber nur in der Theorie, denn ohne Lagerkapazität klappt das nicht.

Stattdessen sehen die Schnäppchenjäger gigantischen Verlusten entgegen. Wer am Montag morgen ein Ölfuture für 17 Dollar pro Barrel (159 Liter) gekauft hatte, mußte am Abend 38 Dollar draufzahlen, um es loszuwerden. Ein Verlust von 324 Prozent an weniger als einem Tag.


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