© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Die Antike wird zur europäischen Angelegenheit
Schiffsladungen von Skulpturen
(dg)

Als nach 1815 „immer mehr Universitäten“ in Preußen gegründet wurden, habe dies die Nachfrage nach der Kunst des Altertums rasant steigen lassen. Das behauptet die Klassische Archäologin Charlotte Schreiter in ihrem auf den „Spuren der weißen Antike“ wandelnden Essay über die seit dem 18. Jahrhundert zunehmende Verbreitung von Gipsabgüssen in europäischen Museen (Zeitschrift für Ideengeschichte, 1/2020). Sieht man einmal davon ab, daß vor 1914 in Preußen nur eine einzige Universität gegründet wurde (Bonn 1818), erkennt Schreiter doch richtig, daß nach den Befreiungskriegen eine „Kaskade der Verbreitung“ antiker Abgüsse zu beobachten ist, die in großen Stückzahlen Museen, Kunstakademien, Gymnasien und auch die Schausammlungen der an den Universitäten neu eingerichteten archäologischen Lehrstühle füllten. Den Wunsch nach Teilhabe an antiker Kunst hegte Nordeuropas Kulturelite zwar seit der Renaissance. Aber sie konnte ihn zumindest für großformatige Skulpturen lange nicht befriedigen. Selbst Johann Joachim Winckelmann verfaßte seine Programmschrift über die „Nachahmung griechischer Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ (1755), die das idealistische Antike-Bild der deutschen Klassik wesentlich beeinflußte, in Unkenntnis von Abgüssen, geschweige denn von Originalen. Erst eine ökonomische Krise habe das Schönheitsbedürfnis gestillt, die „edle Einfalt und stille Größe“ antiker Marmorstatuen zu erleben. Denn sie zwang die verarmte römische Aristokratie, sukzessive ihre Sammlungen auf den Markt zu werfen. So verließen „ganze Schiffsladungen von Skulpturen Italien, und die Antike wurde zu einer europäischen Angelegenheit“. 


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