© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Mit den USA gegen die chinesische Herausforderung
Welterklärer Joschka Fischer beschreibt Deutschlands künftig einzunehmende Rolle in Europa und den neuen globalen Antagonismus
Felix Dirsch

Schon seit einiger Zeit versorgt der einstige „Turnschuh“-Minister Joschka Fischer als Elder Statesman eine ansehnliche Leserschaft mit weltpolitischen Analysen. Seine Erörterungen behandeln die globalen Brennpunkte im Überblick: die derzeitige Situation in den USA; die Auswirkungen für Europa und Deutschland; den Wettlauf um die Digitalisierung; den Aufstieg Chinas; den neuen Systemantagonismus zwischen den USA und China und die Rolle Europas in deren Windschatten.

Natürlich wird das Agieren des US-Präsidenten Donald Trump gebührend negativ dargestellt, wie es für einen Vertreter der Deutungseliten wohl nicht anders geht. Europa wird demnach durch die vermeintlich nationalistische Isolation der USA ins kalte Wasser geworfen und muß für seine eigene Sicherheit vermehrt sorgen, was es bisher nicht ausreichend getan hat. Der nukleare Schutzschirm ist in der Tat schwer zu ersetzen. Richtig ist die Einschätzung der USA insofern, als derzeit noch unklar ist, ob der Rückzug der US-Präsenz aus Teilen der Welt, etwa Nordsyriens, wirklich zu einem Rückzug aus der Stellung des Weltordnungspolizisten führt. Manches ist noch unausgegoren. Wenig hilfreich ist es, das Verhalten einer Weltmacht nur vom Wirken einer Person her zu deuten, wie es der Autor tut; vielmehr sind die isolationistischen Tendenzen in struktureller Hinsicht mit der Überdehnung der eigenen Ressourcen schon in der Ära Bush und Obama zu erklären.

Rußlands unaufhaltsamer Abstieg als Großmacht

Die Kritik Fischers an der deutschen Politik ist deutlich: Die Zentralmacht der Mitte tut angeblich zu wenig, damit Europa weiter zusammenrückt, sie gibt sich noch zu wenig selbst auf, so könnte man die Anmerkungen interpretieren. Die Position der Bundesrepublik ordnet er zwischen „Furor teutonicus und Pazifismus“ ein. Kein Wort über neue Sonderwege besonders in der Migrationspolitik, die die EU bis heute spalten, und den Brexit maßgeblich mit ermöglicht haben! Immerhin stellt er heraus – was ohnehin banal ist –, daß nationalistischer Überschwang in Deutschland keine Chancen mehr besitzt. Daß allerdings vielmehr das extreme Gegenteil vorherrscht, nämlich die bis zur Selbstschädigung wahrgenommene Rolle als Weltretter (Klima, Europa, Migration), ist auf Fischers Feldherrnhügel wohl nicht wahrzunehmen.

Auf die Digitalisierung als ein entscheidendes globales Schlachtfeld geht er ausführlich ein. Die sozialen Auswirkungen dürften in der Tat gravierend sein. Wie stark Europa bereits abgehängt ist, zeigt die Dominanz der bekannten Global Player, die noch von den USA bestimmt werden, zukünftig aber immer stärker vom riesigen chinesischen Markt.

Eine Problematik, die Fischer diskutiert, ist die Stellung Rußlands. Das flächenmäßig größte Land der Welt mit seinen zahllosen Disparitäten, etwa zwischen „Eurasiern“ und „Westlern“, sowie Völkern im Innern wird sich künftig wohl eher nach Asien orientieren, weil dort neue Märkte locken. Langfristig jedoch dürfte der Abstieg in demographischer, technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht unaufhaltsam sein. 

Jenseits des Dreiecks der Großen zwischen den USA, Europa und China existieren noch diverse Nebenkriegsschauplätze (Ukraine, Jemen, Kaschmir, Syrien und andere), die jederzeit zum zentralen Schauplatz der Weltpolitik werden können. Der Systemantagonismus zwischen China und den USA gilt als ein Charakteristikum der unmittelbaren Weltpolitik. Der Konflikt um Handelshemmnisse verdeckt den tieferen Grund der Auseinandersetzung mit der asiatischen Großmacht: den Wettstreit um die führende Technologienation, derzeit vor allem ausgetragen um den Mobilfunkstandard 5G. 

Neu sind nicht alternative, mit westlicher Lebensart konkurrierende Politikmodelle; neu ist nach Fischer, daß erstmals ein autoritäres System wirtschaftlich drauf und dran ist, den freien (und damit ökonomisch scheinbar immer überlegenen) Westen zu überrunden. Die neue Konkurrenz aus Ostasien werde alle Teile des Westens zu neuen Formen der Solidarität zwingen, so der Welterklärer. Europa muß sich aufraffen zu alter Stärke und mit den USA kooperieren, so sein Patentrezept. Daß das nicht ohne verstärktes militärisches Engagement funktionieren dürfte, wird nicht deutlich genug herausgestellt. Auch die Nachfolger Trumps werden darauf drängen.

Joschka Fischer: Willkommen im 21. Jahrhundert. Europas Aufbruch und die deutsche Verantwortung. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020, gebunden, 199 Seiten, 20 Euro