© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Donald Trump und die Fledermausfrau
Das Coronavirus, das dreckige Dutzend, Verschwörungstheorien und ein möglicher Laborunfall in Wuhan
Jörg Schierholz

Zwischen Washington und Peking tobt weiter ein heftiger Streit über die Herkunft des Coronavirus. US-Außenminister Mike Pompeo nannte Sars-CoV-2 „Wuhan virus“, was bei den Europäern bei einer G7-Videokonferenz auf Ablehnung stieß. Präsident Donald Trump sprach vom „Chinese virus“, das sei „überhaupt nicht rassistisch, nein, überhaupt nicht. Es kommt aus China, deshalb“, entgegnete der US-Präsident auf eine Journalistenfrage.

Das sorgte für scharfe Gegenreaktionen, und chinesische Stellen verbreiteten Zweifel daran, daß das neue Virus in der zentralchinesischen 8,9-Millionen-Metropole seinen Ausgang nahm. Das Virus sei vom US-Militär nach Wuhan gebracht worden. US-Generalstabschef Mark Milley konterte, daß das Coronavirus aus einem chinesischen Labor stammen könne. „Wir haben viele Geheimdienste, die sich das genau angesehen haben“, sagte er bei einer Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Mark Esper. „Ich würde an dieser Stelle einfach sagen: Es ist nicht eindeutig.“ Das Gewicht der Beweise gehe zwar in Richtung eines natürlichen Ursprungs, „aber wir wissen es nicht genau“.

Biowafe oder ein Virus vom Huanan Seafood Market?

Die KP-Regierung unterbindet dazu jede Recherche und verhängt nun sogar eine Wissenschaftszensur. Danach dürfen chinesische Wissenschaftler nicht mehr frei über den Ausbruch der Pandemie publizieren, und jede Veröffentlichung zur Herkunft des Virus werde einer Sonderprüfung unterzogen. Ursprünglich hieß es, Sars-CoV-2 sei von einem Tier auf den Menschen übergesprungen. Einige der Erstinfizierten hatten auf dem Huanan Seafood Wholesale Market gearbeitet. Im Science-Magazin wurde nun ein Artikel publiziert, nach dem 13 der 41 Erstinfizierten in Wuhan keinerlei Verbindung zum Markt hatten. War er also nicht der „Ground zero“?

Gleichzeitig wird in Wuhan in der Nähe des Tiermarktes ein Fledermausprogramm betrieben, welches nach den Sars- und Mers-Epidemien an Coronaviren forscht. Die Chefin des zuständigen Wuhan Institute of Virology (WIV) ist die mehrfach ausgezeichnete Professorin Zhengli Shi, die für ihre Arbeit 2016 sogar den „Ordre des Palmes académiques“ der französischen Regierung bekam. Shi sammelte in den tiefen Höhlen von Chinas Bergen jahrelang Fledermauskot, was ihr den Spitznamen „Batwoman“ einbrachte.

Dank der weltweit größten Datenbank von Fledermausviren konnte Sars-CoV-2 mit hoher Wahrscheinlichkeit als direkter Abkömmling eines Wildstammes aus dem Kot einer Fledermaus in der Südwestprovinz Yunnan identifiziert werden. Es wird gemutmaßt, daß im WIV Ferkel zu Testzwecken mit dem Virus infiziert wurden und es zu einem ungewollten Ausbruch des Virus in die Umgebung kam. „Batwoman Shi“ veröffentlichte zudem am 2. März 2019 eine verblüffend seherische Warnung, daß von Fledermäusen übertragene Coronaviren bald mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektionswelle in Gang setzen würden.

Doch auch ein militärischer Hintergrund wird nicht völlig ausgeschlossen. Bekannte Biowaffen sind Bakterien, Viren und auch Toxine, welche sich gegen Menschen, Tiere, Pflanzen und Materialien richten. Die USA forschten zu Zeiten des Kalten Krieges beispielsweise an Bakterien, welche Treibstoffe zersetzen und an Pilzen, die die Tarnfarbe von Flugzeugen abbauen können. Moderne biotechnologische Verfahren können dazu genutzt werden, Erreger natürlichen Ursprungs so zu verändern, daß sie noch gefährlicher werden.

Schon die Hethiter setzten verseuchtes Vieh in Feindesland ein. Perser, Griechen und Römer kontaminierten die Brunnen ihrer Feinde mit verwesenden Leichen. Skythische Bogenschützen bestrichen ihre Pfeile mit Exkrementen, Leichenteilen und Blut von Kranken, und der Karthager Hannibal ließ mit giftigen Schlangen gefüllte Tonkrüge auf die Schiffe seiner Feinde werfen.

Bei der Eroberung von Akkon im Dritten Kreuzzug ließ Richard Löwenherz mehrere hundert Bienenkörbe von seinen Soldaten einsammeln und diese über die Mauern werfen, daraufhin ergaben sich die Einwohner der Stadt. Im Jahr 1346 beschossen die Tataren nach dreijähriger Belagerung die Bevölkerung der Stadt Kaffa per Katapult mit Pesttoten – die folgende große Pestwelle in Europa könnte durch die infizierten Flüchtlinge aus der Stadt ihren Anfang genommen haben.

Einfache Übertragung und eine hohe Sterberate

Im 15. Jahrhundert verschenkte Francisco Pizarro González mit dem Pockenvirus infizierte Wolldecken an süd­amerikanische Indianer – Briten wie Franzosen imitierten das Vorgehen: „Wir müssen jede Methode anwenden, um diese abscheuliche Rasse auszulöschen“, so der britische Militärgouverneur Jeffrey Amherst. Im 17. Jahrhundert füllte ein polnischer General Artilleriegeschosse mit dem Speichel tollwütiger Hunde. Nachdem der deutsche Nobelpreisträger Robert Koch im 19. Jahrhundert erstmals eine Methode zur Züchtung von Bakterien entwickelte, begannen viele Länder damit, die militärischen Anwendungsmöglichkeiten von Biowaffen systematisch zu erproben.

Seit 1972 sind Herstellung und Besitz solcher Mittel durch die Biowaffenkonvention weltweit verboten – die Forschung an Gegenmaßnahmen ist aber erlaubt. Von über 200 potentiell waffenfähigen Erregern und Toxinen hatten die Centers for Disease Control (CDC) zwölf Kandidaten – das „Dreckige Dutzend“ – identifiziert, die sich durch ihre leichte Verbreitung, ihre einfache Übertragung oder auch ihre hohe Letalitätsrate als effektive Kampfstoffkandidaten auszeichnen würden. Dazu zählen Pocken, Pest, Milzbrand wie auch die Vergiftung mit Botulinumtoxinen, Rizin, Aflatoxin, Ebola und das Marburg-Virus.

Es ist davon auszugehen, daß zumindest im Graubereich der Erforschung von „Gegenmaßnahmen“ an diesen Erregern gearbeitet wird und diese unbemerkt in die Umwelt gelangen. Am 1979 kam es im sowjetischen Swerdlowsk über eine defekte Belüftungsanlage zur Exposition von Milzbrand-Sporen, worauf das Gebiet unter Quarantäne gestellt wurde. Offizielle Stellen behaupteten, die Epidemie wäre durch kontaminiertes Fleisch ausgebrochen. Erst 1992 gestand die russische Regierung den Unfall und seine Vertuschung ein.

Ein Team um Kristian G. Andersen, Professor bei Scripps Research in La Jolla (Kalifornien), veröffentlichte am 17. März in Nature Medicine eine Genomanalyse und schlußfolgerte, daß Sars-CoV-2 ein neues Virus sei – das könne man im besten Labor der Welt nicht herstellen. Weiterhin gäbe es viele gefährlichere Andockpunkte, die den Befall von menschlichen Zellen erleichtern. Warum sollte das aus einem Kampfstoffprogramm stammen? Das „Dreckige Dutzend“ wäre viel effektiver. Shi Zhengli wies in einem Post auf dem WhatsApp-Konkrenten WeChat alle Vorwürfe zurück: Sie garantiere mit ihrem Leben dafür, daß das Virus nichts mit ihrem Labor zu tun habe.

Dem Coronavirus ist seine vermeintliche Herkunft egal – es will sich nur möglichst schnell vermehren. Der teure Shutdown war nach dem fahrlässigen anfänglichen Ignorieren der Pandemie wohl vorerst die beste aller schlechten Optionen.

 ws-virology.org

 nature.com

 www.mdpi.com