© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

„Da muß schon mehr kommen als so ein Virus“
Er zählt zu den bekanntesten Unternehmern Deutschlands: Ernst Prost. In der Corona-Krise hat der Liqui-Moly-Chef mit seinem außergewöhnlichen Engagement erneut für Aufmerksamkeit gesorgt
Moritz Schwarz

Herr Prost, was tun Sie gegen die Krise?

Ernst Prost: Sehr viel arbeiten, ich lebe quasi im Büro, esse und schlafe hier. Privatleben gibt es seit Wochen nicht mehr. 

Und das mit 63?

Prost: Keine Sorge, so leicht klappt ein altes Schlachtroß nicht zusammen. Da muß schon mehr kommen als so ein Virus. Denn wenn das Alter einen Vorteil hat, dann daß man stabiler wird.

Andersherum, die Jungen sind belastbarer.

Prost: Ach was!

Aber ab fünfzig gilt man auf dem Arbeitsmarkt als kaum noch zu vermitteln, weil nicht mehr leistungsfähig.

Prost: Da lache ich doch! Vor allem, wenn so was von der Kaffee-Latte-Generation kommt, die nach 36 Wochenstunden schon unter Streßsymptomen leidet und sich deshalb ein Sabbatjahr nehmen muß. Wobei ich nicht pauschalieren will. Klar gibt’s auch Berufe, für die man mit 63 zu alt ist, etwa Dachdecker, während man für anderes zu jung ist. 

Für welchen Beruf ist man mit 63 zu jung?

Prost: Papst, zum Beispiel! Spaß beiseite, ich meinte, zu jung, um in Ruhestand zu gehen. Jedenfalls habe ich durch das Alter an Gelassenheit und Reife gewonnen, was mir mehr Streßstabilität, ja mehr Stabilität insgesamt verleiht – und das kommt mir nun in dieser Krise zupaß.

Wie schwer hat die Liqui Moly getroffen?

Prost: Natürlich sind die Zahlen schlecht. Doch ist, wie wir hier gemeinsam diese Krise meistern, bereichernd! Den ökonomischen Verlusten steht ein menschlicher Mehrwert gegenüber.

Sie lehnen Kurzarbeit ab – wie geht das in der Krise?

Prost: Indem man über Rücklagen verfügt, mit Umsicht die Geschäfte führt und noch nicht im Minus ist. 

Aber warum zahlen Sie zudem Ihren Mitarbeitern eine Corona-Zulage. Sind die nicht schon durch einen Arbeitgeber privilegiert, der sie nicht entläßt oder freistellt?

Prost: Stimmt, aber jeder zweite hier hat einen Partner, der von einem coronabedingten Verdienstausfall betroffen ist. Und für einen Schwaben stellt so was schon eine Härte dar, denn Sie wissen ja, was der alles braucht: Auto, Haus etc. Aber natürlich zahle ich die Zulage nicht nur meinen Schwaben, sondern, da wir Werke in etlichen Ländern haben, auch an meine Portugiesen, Spanier, Chinesen, Amerikaner und Südafrikaner. Und die Gesamtsumme ist überschaubar: 1.500 Euro mal tausend Mitarbeiter, macht 1,5 Millionen – das muß bei einer Firma, die normalerweise fünfzig Millionen im Jahr verdient, schon drin sein. 

Allerdings verschenken Sie zudem inzwischen Ihre Produkte an Ihre Kunden.

Prost: Nur einen Teil. Neulich rief mein griechischer Importeur an. Bei ihm da unten stünden zwei von drei Sankas, also Krankenwagen, kaputt in der Garage, weil Ersatzteile fehlten. Er spende diese und ob ich nicht mitmachen möchte? Ich mochte die Idee und schickte ihm Ware für 30.000 Euro. Dann fiel mir nachts im Bett ein, daß bestimmt auch hierzulande so was gebraucht wird – und nicht nur für Sankas, auch für Feuerwehren, Pflegedienste, Behindertentransporte. Ich nenne es mal die „Blaulichtszene“, auch wenn einige kein Blaulicht haben – also von allen, die wir in Corona-Zeiten zu Recht „Helden“ nennen. So kam Ware im Wert von einer Million Euro zusammen, die nach drei Tagen verteilt war. Wieder nachts im Bett wurde mir klar, daß wir aufstocken müßten – nun haben wir Ware im Wert von drei Millionen gespendet – das hat dann erstmal ausgereicht. Aber wieder nachts im Bett fiel mir ein, daß wenn es schon im reichen Deutschland solchen Bedarf gibt, es anderswo erst recht so sein muß. Und inzwischen spenden wir in allen möglichen Ländern, darunter sogar Vietnam.

Zulagen, Spenden, Umsatzverlust – ist das nicht doch ein wenig viel für einen Mittelständler in unsicherer Corona-Krisenzeit?

Prost: Solange wir Löhne und Rechnungen bezahlen können, ist für mich die Welt in Ordnung – selbst sollten wir 2020 mit einer schwarzen Null abschließen, statt mit fünfzig Millionen Euro Gewinn, wie im Jahr davor. Denn Geld und Profit ist nicht alles – es gibt auch noch andere Werte! 

Haben Sie keine Angst, Liqui Moly könnte in Gefahr geraten? 

Prost: Warum sollte ich Angst haben?

Weil Ihre Zukunft ungewiß ist. 

Prost: Zukunft ist immer ungewiß – das eben ist ja ihre Natur. Es ist seltsam, daß diese Selbstverständlichkeit den Menschen heute Angst macht. Früher war das anders, da hat man mit Gottvertrauen reagiert. Aber genau das ist es wohl, was heute fehlt.

Bei Ihnen ist das noch so? 

Prost: Ich vertraue in der Tat auf den Herrgott: Der Mensch denkt und Gott lenkt! Und ich empfehle jedem, mit vier Eigenschaften an die Arbeit zu gehen: mit einem weiten Herzen, starken Händen, klugem Kopf und sicherem Gottvertrauen. Dann bleibt man auch nicht in der Vorstellung gefangen, Opfer des Schicksals zu sein, sondern wird sich bewußt, daß man sich aus Krisen auch wieder herausarbeiten kann. Heute dagegen sind wir stark darauf fixiert, was uns als nächstes passiert – so wie derzeit: Alle schauen wie gebannt auf die neuesten Zahlen, die irgendwelche Institute uns präsentieren. Das ist verrückt. Sind sie positiv, wird vor voreiligem Optimismus gewarnt. Und sind sie negativ – was eben manchmal der Fall, also nichts Unnormales ist – wird gleich der Teufel an die Wand gemalt. Das aber ist es, was tatsächlich unnormal ist! 

Sie empfehlen, Zahlen zu ignorieren? 

Prost: Nein, aber ich empfehle über diese nicht den Mut, die Schaffenskraft und Kreativität von 82 Millionen Deutschen, oder vierzig Millionen Beschäftigten, aus dem Auge zu verlieren. Wo bleiben diese Tugenden, wenn wir nur noch wie Kaninchen auf das starren, was uns als nächstes widerfährt?

Warum hat sich das, wie Sie meinen, gewandelt?

Prost: Tja, vielleicht weil wir Deutsche uns schon lange in keiner Krise mehr erproben mußten. Oder vielleicht weil die Menschen heute so gläubig gegenüber dem Fortschritt sind – und erwarten, daß dieser die Probleme löst. Irgendwie haben wir jedenfalls verlernt, auf Gott und uns selbst zu vertrauen, so wie ich das noch von früher kenne. Deshalb nenne ich mich auch ein altes Schlachtroß, weil ich noch gelernt habe, das Leben so zu bestehen. Und wissen Sie, wen ich anrufe, wenn auch ich einmal nicht mehr weiterweiß? Meine alte Tante! Denn die hat noch mehr durchgestanden, den Weltkrieg, die Vertreibung als volksdeutsche Donauschwäbin, das Lager, in dem Cholera und Typhus wüteten. Außer Krankheiten hatte sie damals gar nichts mehr! Aus diesem Nichts mußte sie neu anfangen. Heute ist sie neunzig und hatte einen Schlaganfall. Aber das ficht sie nicht an! Sie lernt wieder das Gehen – und das mit einem Lebensmut und einer Zuversicht! Auch sie wundert sich über die Deutschen von heute. Jüngst sagte sie, wir sollten unserem Bundesadler eine Ziege hinzufügen – bei all dem Gemeckere hierzulande.

Welche Schuld tragen Politik und Eliten an unserem Abstieg?

Prost: Abstieg? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Deutschland nicht schlechtmachen. Das ist nämlich auch so eine Meckerei, unser Land runterzureden. Tatsächlich aber gibt es sehr viel Gutes bei uns. Das erkennt man spätestens, wenn man durch die Welt reist, wo die Menschen meist viel ärmer, viel weniger sicher sind, oft unter bitterer Not, Unfreiheit oder gar Verfolgung leiden. Meist gibt es keine Demokratie, keinen Rechtsstaat, aber viel Korruption, Ausbeutung und Unrecht. Wollen wir aber den hohen Standard bei uns erhalten, dann müssen wir wieder lernen, Dinge anzupacken, statt zu jammern! 

Die Frage war allerdings, ob die Politik für die Mißstände, die Sie diagnostizieren, mitverantwortlich ist?

Prost: Sicher, aber es ist auch nicht so, daß die Politik alles falsch macht – vieles hat sie auch richtig gemacht. So sind etwa unsere Staatsschulden gesunken, wir haben Vollbeschäftigung und keine Zustände wie in den USA, Großbritannien, Rußland oder der Türkei, wo Populisten und Nationalisten regieren. 

Andere Länder sind doch nicht der Maßstab – sondern unsere eigenen Ansprüche. So haben Sie selbst im Zusammenhang mit der Corona-Krise davon gesprochen, unser Gesundheitssystem sei „kaputt-gespahnt“ – obwohl es ja zu den besten der Welt gehört.

Prost: Das liegt daran, daß die Politik es privatwirtschaftlich organisiert hat. Ich liebe ja die freie Marktwirtschaft – aber für ein Gesundheitswesen, das auch auf Krisen vorbereitet sein muß, ist diese untauglich. Denn es muß dem Allgemeinwohl dienen, nicht dem Profit! Und das garantiert allein der Staat – inklusive angemessener Löhne für die für uns alle so wichtige Berufsgruppe, die im Gesundheitswesen arbeitet. Auch Herr Spahn und Frau Merkel haben nicht nur Fehler gemacht – im Gegenteil, sie haben auch etwas geleistet! Überhaupt paßt kein Mensch in eine Schublade – und „die“ Politik sowieso nicht. Bedenken Sie, wie viele Politiker es bei uns gibt – nicht nur die Regierung, dazu gehört auch das Parlament, die Ministerpräsidenten, bis runter zu den Landräten und Kommunalpolitikern. Wir können froh sein, diesen Föderalismus zu haben!

Der steht allerdings mal wieder – nun wegen der unterschiedlichen Corona-Maßnahmen in den Ländern – in der Kritik. Sie meinen also, zu Unrecht?

Prost: Auf jeden Fall! Schon weil er ein wichtiges Stück Gewaltenteilung ist und wir ja kein Staat sind, in dem einer oben befiehlt und alle anderen nachlaufen. Ein weiterer großer Vorteil, auch in der Corona-Krise, ist, daß man dank dem Föderalismus regional reagieren kann. Ist etwa die Lage in Bayern anders als in Bremen, wäre doch ein und dieselbe Politik in beiden Ländern kein Vor-, sondern ein Nachteil! 

Ja, aber wie paßt das eigentlich zu Ihrer Begeisterung für die EU und den Euro?

Prost: Was die EU angeht, die ist doch dementsprechend organisiert: Es gibt Brüssel, aber auch die Nationalstaaten und die Regionen, sowie das Prinzip der Subsidiarität. Und ich meine, so sollte es auch bleiben. Bezüglich des Euro: Ich erinnere mich eben noch sehr gut an die Zeit der nationalen Währungen in Europa. Erst wie ich als Lehrling immer gleich zur Bank rennen mußte, wenn ein Scheck aus Italien kam, weil die Lira anderentags schon weniger Wert sein konnten. Aber auch an die Probleme später, als ich selbst Geschäftsmann war. 

Die nationalen Währungen waren allerdings so etwas wie der Föderalismus des Geldwesens. Mit dem Euro dagegen haben wir, was Sie doch nicht wollen: nämlich „einen, der oben befiehlt“ – die EZB – „und alle anderen laufen nach“; sowie eine Einheitslösung, nicht nur „für Bayern und Bremen“, sondern sogar für die völlig unterschiedlichen Nord- und Süd-Euro-Länder. 

Prost: Was bitte ist die Alternative? Wir stehen den USA, China und Rußland gegenüber – und es herrscht ein brutaler Konkurrenzkampf. Wenn Europa da nicht gemeinschaftlich auftritt, sondern wieder jeder Staat für sich – ich warne Sie, dann haben wir verloren! 

Die USA und Rußland sind erheblich vom fallenden Ölpreis getroffen. Ist dieser für Sie eigentlich Grund zur Freude? 

Prost: Gut für uns ist natürlich, daß wir Rohstoffe – die ja alle im Preis abgestürzt sind – günstiger einkaufen können. Aber andererseits sind die OPEC-Staaten auf ihre Öleinnahmen angewiesen, und es ist für niemanden gut, wenn diese Probleme bekommen. Denken Sie etwa an Nigeria mit seinen 200 Millionen Einwohnern. Was tun diese, wenn das Land in eine Krise rutscht? Zudem besteht die Mineralölwirtschaft nicht nur aus den paar Öl-Konzernen. Da hängen jede Menge Zulieferer und Subunternehmer dran! Und so kann sich keiner wünschen, daß diese Branche in die Krise kommt! Denn in unserer global vernetzten Wirtschaft können immer Domino-Effekte entstehen.

Es wirkt, als sei der Ölpreissturz Folge der Corona-Krise. Tatsächlich aber war er doch schon zuvor im Verfall.

Prost: Stimmt. Allerdings haben wir durch Corona nun einen wirklich brutalen globalen Produktionseinbruch. Gleichzeitig wird aber weiter Öl gefördert. Es ist also klar, daß der aktuelle Preisabsturz beim Öl und den anderen Rohstoffen maßgeblich darauf zurückzuführen ist. Ohne Corona hätten wir keinen Lockdown in vielen Ländern und ganz zweifellos auch andere Rohstoffpreise.

Bis vor kurzem schien dem ÖPNV die Zukunft zu gehören. Doch der hat sich als wahre Virenschleuder erwiesen, wie US-Forscher – die nach den Ursachen für die Eskalation der Lage in New York gesucht haben – nun feststellen. Und die nächste Pandemie kommt ja bestimmt: Steht das Auto damit als einzig virensicheres Transportmittel vor einer Renaissance?

Prost: Ich sehe das Auto auch ohne das nicht vor dem Aus. Weil es einen Komfort, eine Flexibilität und einen Privatraum bietet, die die Menschen nicht mehr hergeben möchten. Auch nicht, obwohl es in der Tat große Nachteile hat, was die Energie- und Umweltbilanz und auch die Zahl der Toten und Verletzten angeht. Sicher werden wir neue Technologien entwickeln, aber trotz allem auch für und nicht nur gegen das Auto.

Einige Ökonomen sagen für die Zeit nach der ersten Erholung unserer Wirtschaft von der Corona-Schließungspolitik einen großen Crash und/oder eine Inflation – auch als Folge der Corona-Rettungs- und Verschuldungspolitik – voraus. Trifft das zu?

Prost: Ganz ehrlich: Keine Ahnung.  

Heißt das, Sie zweifeln solche Prognosen an oder nicht?

Prost: All diese Vorhersagen bauen doch auf Annahmen, von denen keiner weiß, ob sie zutreffend sind oder nicht. Und demzufolge sind die Prognosen ja auch meist ganz unterschiedlich. Und wenn man, wie ich, verfolgt hat, was weltweit im Laufe der Zeit schon so alles prognostiziert worden ist – übrigens auch hier bei uns, von unseren Wirtschaftsweisen: Was davon ist tatsächlich eingetroffen? Meist ist es nicht oder zumindest nicht so wie vorhergesagt gekommen. Der Mensch möchte gerne daran glauben, er könne die Zukunft berechnen – und deshalb glauben so viele daran. Doch tatsächlich ist das unmöglich. Vielleicht kommen diese Krisen ja – vielleicht aber auch nicht. Ich glaube jedenfalls nicht, daß das jemand weiß – weil die Zukunft einfach von viel zu vielen völlig unwägbaren Faktoren abhängt.          






Ernst Prost, der ehemalige Inhaber von Liqui Moly (Logo rechts) in Ulm, wozu auch die Meguin Mineralölwerke in Saarlouis gehören, ist seit dem Verkauf an den Schraubenhersteller Würth 2017 Geschäftsführer seines früheren Unternehmens. Geboren 1957 in Altötting, hatte der gelernte Kfz-Mechaniker den Schmiermittelhersteller von der Gründerfamilie übernommen. Durch eine sozial vorbildliche Firmenkultur, gemeinnütziges Engagement, etwa in Form dreier Stiftungen, sowie seine Medienpräsenz wurden Ernst Prost und Liqui Moly über die Branche hinaus bekannt. Zeitweilig war er der deutsche Unternehmer mit den meisten Talkshowauftritten.           

Foto: „Schlachtroß“ Prost: „Zukunft ist immer ungewiß, das ist ja eben ihre Natur. Seltsam, daß diese Selbstverständlichkeit den Leuten Angst macht. Früher war das anders, da hatte man Gottvertrauen ... Heute sind wir darauf fixiert, was uns passiert ... so bleibt man der Vorstellung verhaftet, Opfer des Schicksals zu sein. Wir haben es verlernt, auf Gott und uns selbst zu vertrauen“    

 

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